Finanzen

Analyst: Weltweite Handels- und Schuldenprobleme werden Europa besonders stark treffen

Lesezeit: 2 min
12.09.2019 11:58  Aktualisiert: 12.09.2019 12:05
Darren Williams, Director Global Economic Research beim Asset Manager AllianceBernstein (AB), steht den längerfristigen Aussichten der europäischen Konjunktur wenig optimistisch gegenüber - aus seiner Sicht hat die jüngste Marktentwicklung gleich zwei Haken.
Analyst: Weltweite Handels- und Schuldenprobleme werden Europa besonders stark treffen
Foto: Oliver Berg

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Nach Ansicht von Williams haben die globalen Märkte vordergründig wegen der Anzeichen für noch mehr Impulse der Geldpolitik und aufgrund der Waffenruhe im Handelskrieg neuen Mut geschöpft. Billiges Geld könnte die Anlagekurse kurzfristig steigen lassen, für die längerfristigen Aussichten ist der Experte von AllianceBernstein jedoch nicht so optimistisch. Denn die jüngste Marktentwicklung gibt unter einigen Aspekten Anlass zur Sorge.

Zunächst einmal gehen die Experten von AB davon aus, dass die Waffenruhe im Handelskrieg trügerisch ist. Falls der Handelskrieg lediglich den Beginn eines breiteren, mehrjährigen Konflikts zwischen den USA und China darstellt, wird es nicht lange dauern, bis sich die Lage wieder verschlechtert. Dann wäre es möglich, dass sich der Handelskrieg recht bald auf andere Länder ausweitet – Zölle auf europäische Autos nicht ausgeschlossen.

Hinzu kommt nach Williams, dass die Zentralbanken zwar bereit sind, weitere positive Impulse zu geben, jedoch habe man Bedenken hinsichtlich der Wirksamkeit der Maßnahmen. Sicher, die Antworten auf die Gründe für die kränkelnde Weltwirtschaft können nicht noch tiefere Zinssätze und eine weitere quantitative Lockerung sein. Selbst wenn weitere Impulse helfen sollten, das Wachstum zu stabilisieren, wird dies wahrscheinlich zur Aufnahme von noch mehr Schulden ermuntern. Dies würde die Zinssensitivität erhöhen und den Gleichgewichtszinssatz noch weiter drücken. Die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) hat dies als Schuldenfalle bezeichnet – AllianceBernstein meint: zu Recht.

Williams schreibt: „Keine Region sollte uns größere Sorgen bereiten als Europa. Nicht nur weil die Länder des Euroraums stärker vom internationalen Handel abhängig sind als die USA und China, sondern auch weil sie auf politischer Ebene viel weniger flexibel agieren können. Wenn sich in der Weltwirtschaft erste Abwärtsrisiken abzeichnen, brauchen Exportländer politische Flexibilität.“

Indizien dafür liefert ein Blick auf die Handelsbilanzüberschüsse der europäischen Mitgliedsstaaten – allen voran die Daten Deutschlands. Hierzulande wurde im Jahr 2018 unter diesem Aspekt laut statista.com ein Plus von 232,8 Mrd. Euro erwirtschaftet, was die Anfälligkeit der heimischen Konjunktur bei einem weiteren, sich möglicherweise verschärfenden Handelskonflikten belegt. Darüber hinaus wird es auch weniger beachtete Staaten wie die Niederlande (Überschuss 2018: 65,7 Mrd. Euro) oder Irland (Überschuss 2018: 50 Mrd. Euro) treffen.

Beunruhigend sei dabei, dass der Mangel an Flexibilität im Euroraum sowohl die Geld- als auch die Fiskalpolitik betrifft. Die Europäische Zentralbank (EZB) habe ihre Absicht signalisiert, neue Impulse zu setzen, aber da die Zinsen negativ sind und ihre Bilanz bereits aufgebläht ist, verbleiben nur wenige geldpolitische Pfeile im Köcher. Die jüngsten Bitten von EZB-Präsident Draghi um mehr Unterstützung durch die Finanzpolitik deuten darauf hin, dass die EZB diese Bedenken teilen könnte. Der fiskalpolitische Handlungsspielraum wird durch die Haushaltsvorschriften im Euroraum, die schlechte Ausgangslage in vielen Ländern und Deutschlands Zurückhaltung, die eigenen fiskalpolitischen Möglichkeiten auszuschöpfen, massiv eingeschränkt.

In dieser schwierigen Lage wird Christine Lagarde im November 2019 neue EZB-Präsidentin werden. Alliance Bernstein hält Lagarde für eine gute Wahl: Sie hat das Format und das Kommunikationsgeschick, die für diese Position nötig sind, und dürfte zudem den breiteren politischen Kontext, in dem die EZB tätig ist, zu schätzen wissen. Doch sie wird das Ruder in einer schwierigen Zeit übernehmen.

Die britische Fondsgesellschaft geht fest davon aus, dass die EZB die Geldpolitik weiter lockern wird, was genügen sollte, um die Märkte zu beruhigen, falls sich die Konjunktur global, wie erwartet, nur leicht abschwächt. Doch das wird nicht ausreichen, um das Wachstum und die Inflation in der Region anzukurbeln, insbesondere dann nicht, wenn der Abschwung heftiger ausfallen sollte. In diesem Fall würden die Märkte rasch des Kaisers neue Kleider durchschauen und den eklatanten Mangel an politischen Optionen erkennen.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Panorama
Panorama Halbzeit Urlaub bei ROBINSON

Wie wäre es mit einem grandiosen Urlaub im Juni? Zur Halbzeit des Jahres einfach mal durchatmen und an einem Ort sein, wo dich ein...

DWN
Politik
Politik Europaparlament billigt neue EU-Schuldenregeln nach langwierigen Debatten
23.04.2024

Monatelang wurde über Europas neue Regen für Haushaltsdefizite und Staatsschulden diskutiert. Die EU-Abgeordneten sprechen sich nun für...

DWN
Immobilien
Immobilien Bauministerin: Innenstädte brauchen vielfältigere Angebote
23.04.2024

Klara Geywitz wirbt für mehr Vielfalt in den deutschen Innenstädten, um damit stabilere Immobilienmärkte zu unterstützen. Ein Mix von...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Palantir: Wie Vorurteile die sinnvolle Anwendung von Polizei-Software behindern
23.04.2024

Palantir Technologies ist ein Software-Anbieter aus den USA, der entweder Gruseln und Unbehagen auslöst oder Begeisterung unter seinen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen 20 Jahre EU-Osterweiterung: Wie osteuropäische Arbeitskräfte Deutschland unterstützen
23.04.2024

Zwei Jahrzehnte nach der EU-Osterweiterung haben osteuropäische Arbeitskräfte wesentlich dazu beigetragen, Engpässe im deutschen...

DWN
Finanzen
Finanzen Der DWN-Marktreport: Spannung und Entspannung – Geopolitik sorgt für Bewegung bei Aktien und Rohstoffen
23.04.2024

Die hochexplosive Lage im Nahen Osten sorgte für reichlich Volatilität an den internationalen Finanz- und Rohstoffmärkten. Nun scheint...

DWN
Finanzen
Finanzen Staatsverschuldung auf Rekordhoch: Steuerzahlerbund schlägt Alarm!
23.04.2024

Der Bund Deutscher Steuerzahler warnt: Ohne Kehrtwende droht der fiskalische Abgrund, trotzdem schöpft die Bundesregierung das...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Zahl der Apotheken in Deutschland sinkt weiter - Verband alamiert
23.04.2024

Laut neuen Zahlen gibt es immer weniger Apotheken-Standorte. Der Apothekerverband spricht von „alarmierenden Zeichen“ und erklärt,...

DWN
Finanzen
Finanzen Silber im Aufschwung: Das Gold des kleinen Mannes holt auf
23.04.2024

Silber hinkt traditionell dem großen Bruder Gold etwas hinterher. In den letzten Wochen hat der Silberpreis massiv zugelegt. Was sind die...