Dem Finanzexperten Ernst Wolff zufolge hätte der Reiseanbieter Thomas Cook mit rund 50 Millionen Pfund vergleichsweise leicht gerettet werden können. Nun profitieren Hedgefonds – während rund 21.000 Beschäftigte das Nachsehen haben. Ein Interview.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Welche sozialen Folgen hat die Pleite von Thomas Cook?
Ernst Wolff: Mit der Pleite von Thomas Cook endet nicht nur die 178-jährige Firmengeschichte des ältesten Reiseanbieters der Welt, sondern es verlieren auch 21.000 Angestellte ihren Arbeitsplatz und – sofern sie nicht bereits im Ruhestand sind – je nach Höhe ihres Gehalts zwischen zehn und fünfzig Prozent ihrer Rentenansprüche.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Hätte die britische Regierung die Pleite von Thomas Cook verhindern können?
Ernst Wolff: Das wäre ohne größere Probleme möglich gewesen. Thomas Cook verhandelte sowohl mit dem chinesischen Mischkonzern Fosun als auch mit Banken und Anleihegläubigern. Es gab ein bereits ausgehandeltes Rettungspaket in Höhe von 900 Millionen Euro. Hätte die britische Regierung wie gefordert 150 Millionen Pfund (170 Millionen Euro) draufgelegt, wäre die Pleite vermieden worden.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Hat die Rückholaktion der betroffenen britischen Urlauber den britischen Staat nicht rund 150 Millionen Euro gekostet?
Ernst Wolff: Ja. Es scheint absurd, aber hier hätten offensichtlich 20 Millionen Euro ausgereicht, um 21.000 Arbeitsplätze zu erhalten. Es scheint, als seien andere Interessen als die der Angestellten für die Entscheidung der Regierung Johnson entscheidend gewesen.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wer profitiert von der Thomas-Cook-Pleite?
Ernst Wolff: Das sind in erster Linie eine Reihe von Hedgefonds. Zu ihnen zählen TT International, Whitebox Advisors, Kite Lake Capital Management, Melqart Asset Management, Silver Point Capital und Pictet Asset Management.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie genau haben die von der Pleite profitiert?
Ernst Wolff: Auf zweierlei Art und Weise: Durch Leerverkäufe und durch den Abschluss von Kreditausfall-Versicherungen.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Können sie kurz erläutern, wie Leerverkäufe funktionieren?
Ernst Wolff: Ja. Die einfache Variante sieht folgendermaßen aus: Bei einem Leerverkauf setzt ein Händler auf fallende Aktienkurse. Er kauft eine Aktie nicht, sondern leiht sie sich und verkauft sie umgehend. Nach dem von ihm erwarteten Kursrückgang kauft er sie wieder auf, gibt sie zurück – und steckt die Differenz als Gewinn ein.
Die verschärfte Variante ist der nackte Leerverkauf. Der Händler verkauft eine Aktie, die er gar nicht besitzt, und kauft sie anschließend günstig auf. Im Fall von Thomas Cook konnte man auf diese Weise enorme Gewinne machen, da die Aktie ja am Schluss nichts mehr wert war.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Und wie verdienen Hedgefonds am Ausfall von Krediten, wenn sie gar nicht am Unternehmen beteiligt sind?
Ernst Wolff: Sie nutzen die in den Neunziger Jahren von einem J. P. Morgan-Team erfundene Kreditausfall-Versicherung, die es jedem an einer Kreditvergabe nicht beteiligten Dritten erlaubt, den Kredit zu versichern. Es gibt Hedgefonds, die den Markt ständig nach Unternehmen absuchen, die in Schwierigkeiten stecken, um diese Versicherungen auf sie abzuschließen.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Gibt es weitere Beispiele von Firmenpleiten, aus denen Hedgefonds auf diese Art und Weise Gewinn geschlagen haben?
Ernst Wolff: Ja, allein in den letzten Wochen und Monaten haben wir das bei den Modeketten Forever 21 und New Look und bei Rallye SA, der Muttergesellschaft der französischen Supermarktkette Casino, erlebt. Der bisher extremste Fall liegt 21 Jahre zurück: Als der Hedgefonds Long Term Capital Management 1998 insolvent wurde, waren auf ihn so viele Kreditausfall-Versicherungen abgeschlossen worden, dass ihre Auszahlung das globale Bankensystem zum Einsturz gebracht hätte, wenn die betroffenen Banken ihn nicht mit 4 Milliarden US-Dollar gerettet hätten.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Heißt das nicht, dass Finanzinstrumente wie Leerverkäufe und Kreditausfall-Versicherungen eine Gefahr für das globale Finanzsystem darstellen?
Ernst Wolff: Allerdings. Es sind volkswirtschaftlich sinnlose, schädliche und zerstörerische Instrumente, die einzig und allein der Bereicherung hemmungsloser Spekulanten dienen. Nur, dass dieser Teil der Finanzelite heute über so viel Macht verfügt, dass er ganz offenbar sogar die Entscheidungen der britischen Regierung beeinflussen kann.
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Ernst Wolff, 69, befasst sich mit der Wechselbeziehung zwischen internationaler Politik und globaler Finanzwirtschaft. Sein jüngstes Buch ist der Spiegel-Bestseller „Finanztsunami – Wie das globale Finanzsystem uns alle bedroht“.