Technologie

Das Wohlstandsversprechen des Technologie-Zeitalters hat sich als Farce entpuppt

Zu Beginn des digitalen Zeitalters wurden Chancengleichheit und Wohlstand für alle propagiert. Davon ist heute nichts mehr zu erkennen, schreibt der Ökonom Kaushik Basu.
Autor
10.11.2019 12:00
Lesezeit: 4 min

Das Internet wurde einst als mächtige demokratisierende Kraft gefeiert, die innovative Start-ups in die Lage versetzt, mit etablierten Unternehmen zu konkurrieren, ganze Branchen zerlegt und neue entstehen lässt. Aber als einige dieser Start-ups zu Giganten wurden, kehrten sie diese Macht um. Big Tech hat keineswegs faire Bedingungen für alle Akteure auf dem Markt geschaffen, sondern ist vom Teilnehmer zum Herrscher des Marktes geworden. Und anstatt die Wirtschaft zu demokratisieren, hat das Internet das Problem der Ungleichheit in der Welt am Ende verschärft.

Der Aufstieg von Big Tech hat einige wenige Menschen sehr wohlhabend gemacht. Der reichste von allen, Amazon-Chef Jeff Bezos, hat in der vergangenen Woche sieben Milliarden Dollar Verlust gemacht – mehr als das Gesamtvermögen mehrerer Länder, darunter Burundi und Sierra Leone (jeweils drei Milliarden Dollar) – und das an einem einzigen Tag. Die größte Gefahr, die ihm nun droht, besteht darin, im globalen Vermögensranking auf Platz zwei hinter Bill Gates und damit einem weiteren Tech-Gründer abzurutschen.

Unterdessen lebten im Jahr 2015 noch rund 736 Millionen Menschen in extremer Armut (von weniger als 1,90 Dollar pro Tag), und Milliarden weitere mussten mit weniger als 2,50 Dollar pro Tag auskommen. Viele Arbeitskräfte auf aller Welt – darunter geringqualifizierte Beschäftigte von Technologieunternehmen wie Amazon und Freiberufler, die Plattformen wie Uber nutzen, um Kunden zu finden – sind mit schlechten und immer schlechter werdenden Arbeitsbedingungen und stagnierenden Löhnen konfrontiert. Während der Anteil der Arbeitskräfte am Einkommen sinkt, wächst der Anteil des Kapitals – Trends, von denen in erster Linie die Reichen profitieren.

Angesichts der Macht großer Technologieunternehmen, den Wettbewerb zu unterdrücken, wird staatliche Einmischung notwendig sein, um diese Trends umzukehren. Und tatsächlich ist die Zähmung der Tech-Giganten zu einem wichtigen Thema im Vorfeld der Präsidentschaftswahlen 2020 in den Vereinigten Staaten geworden. Insbesondere die Senatoren Bernie Sanders und Elizabeth Warren – in meinen Augen die beiden stärksten Kandidaten, die um die Nominierung der Demokratischen Partei als Herausforderer von Präsident Donald Trump kämpfen – haben die Zerschlagung großer Technologiekonzerne gefordert.

Die vorgeschlagenen Lösungen, unter anderem von Rechtswissenschaftlerinnen wie Lina Khan, konzentrieren sich tendenziell auf eine bessere Anwendung kartellrechtlicher Vorschriften. Doch dieser Ansatz wird wahrscheinlich nicht funktionieren, da sich die Märkte seit der Konzeption des Kartellrechts drastisch verändert haben.

Ende des 19. Jahrhunderts entwickelte Léon Walras die ersten Modelle, wie auf Wettbewerb beruhende Märkte funktionieren, und zeigte, wie Käufer und Verkäufer anhand der Preise entscheiden, wie viel sie kaufen und verkaufen. Walras stellte sich einen fiktiven Auktionator vor, der dafür verantwortlich ist, Käufer und Verkäufer zusammenzubringen und die Preise anzupassen, bis ein Marktgleichgewicht erreicht ist – wenn die Gesamtnachfrage nach jeder Ware gleich dem Gesamtangebot ist. Spätere Arbeiten, wie die von Kenneth Arrow und Gérard Debreu, entwickelten das walrasianische Modell weiter, aber der Auktionator blieb im Hintergrund erhalten.

Mit dem Aufkommen digitaler Plattformen wie Alibaba, Amazon und Uber änderte sich jedoch alles. Diese Plattformen übernehmen die Aufgabe von Walras' imaginärem Auktionator. Nur sind sie real – und gewinnorientiert. Sie sind vielleicht sogar bereit, große Anfangsverluste hinzunehmen – wie Amazon in den ersten sieben Jahren seines Bestehens, als es rund zwei Milliarden Dollar Schulden anhäufte – um spätere Gewinne zu maximieren. Sie wissen, dass sie lediglich den Punkt erreichen müssen, an dem sie Größenvorteile ausschöpfen können, indem sie so viele Käufer und Verkäufer zur „Auktion“ bringen, dass die Such-, Informations- und Transaktionskosten sinken.

Insofern stellen digitale Plattformen natürliche Monopole dar. Bringt man kartellrechtliche Vorschriften zur Anwendung, um sie zu zerschlagen, werden sie demzufolge ihres grundlegendsten Vorteils und ihrer Fähigkeit beraubt, einen Nutzen für Volkswirtschaften und Verbraucher zu erzielen.

Dieses Dilemma ist nicht ganz neu. Einige Zentralbanken, wie die Reserve Bank of India, waren einst in privater Hand. Doch die Macht eines einzelnen privaten Akteurs über etwas so Folgenreiches wie die Geldschöpfung wurde schnell als zu riskant eingestuft. Zudem würde die Aufteilung der Verantwortung auf mehrere Behörden es unmöglich machen, für einen reibungslosen Ablauf der Geschäftsvorgänge zu sorgen und zu einer kostspieligen Fragmentierung des Geldsystems führen.

Es gibt ein weiteres potenzielles Hindernis für die Anwendung kartellrechtlicher Vorschriften zur Zerschlagung von Big Tech, das Beachtung verdient. Zumindest in den USA haben sich solche Gesetze vor allem auf den Verbraucherschutz konzentriert. Viele digitale Plattformen sind sich dessen bewusst und vermeiden es, den Verbrauchern zu schaden. Stattdessen ziehen sie die Verkäufer über den Tisch, die ihre Dienste nutzen, um Kontakt zu Käufern herzustellen. Immer mehr Untersuchungen – wie die von Suresh Naidu, Eric Posner und Glen Weyl – zeigen, dass kartellrechtliche Vorschriften auch auf den Schutz von Arbeitnehmern ausgedehnt werden sollten.

Angesichts der Art und Weise, wie digitale Plattformen die Märkte verändert haben, müssen Regierungen jedoch über das Kartellrecht hinausdenken. Ein Ansatz, der infrage kommt, konzentriert sich nicht auf die Zerschlagung der Technologieriesen, sondern darauf, sicherzustellen, dass ihre Gewinne vielen zugutekommen. So könnten Plattformen ab einer bestimmten Größe gesetzlich verpflichtet werden, ihre Anteile auf eine Vielzahl von Einzelnen und außerdem auf Fonds zu verteilen, aus denen Mittel für die Bereitstellung nationaler und globaler öffentlicher Güter fließen.

Für die einflussreichsten Plattformen können Regierungen eine schrittweise Umstellung auf gemeinnützige Modelle in Betracht ziehen, ähnlich wie bei öffentlichen Versorgungsunternehmen. Dieser Ansatz sollte allerdings sparsam eingesetzt werden, um übermäßige und belastende staatliche Eingriffe in die Wirtschaft zu vermeiden. Nichtsdestotrotz liegt es nicht im Interesse der Gesellschaft, dass ein einziges Unternehmen, das für das Funktionieren der gesamten Wirtschaft unabdingbar ist – sei es eine Zentralbank oder eine digitale Plattform –, von einer kleinen Gruppe von Einzelpersonen zu ihrem eigenen Vorteil betrieben wird.

Die genauen Konturen einer Strategie zur Einschränkung von Big Tech werden sich im Laufe der Zeit herausbilden und weiterentwickeln. Ich hoffe, dass entweder Bernie Sanders oder Elizabeth Warren – zwei Politiker, die die richtige „moralische Absicht“ zu haben scheinen – imstande wären, diesen Prozess so zu führen, dass er den Interessen der Verbraucher, Arbeitnehmer und Unternehmer gleichermaßen dient.

Aus dem Englischen von Sandra Pontow

Kaushik Basu, ehemaliger Chefökonom der Weltbank und ehemaliger oberster Wirtschaftsberater der indischen Regierung, ist Professor für Wirtschaftswissenschaften an der Cornell University und Nonresident Senior Fellow an der Brookings Institution.Copyright: Project Syndicate, 2019.

www.project-syndicate.org

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen MTS Money Transfer System – Sicherheit beginnt mit Eigentum.

In Zeiten wachsender Unsicherheit und wirtschaftlicher Instabilität werden glaubwürdige Werte wieder zum entscheidenden Erfolgsfaktor....

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Finanzen
Finanzen Fed-Zinsentscheid: US-Notenbank senkt Leitzins – was das für Investoren bedeutet
29.10.2025

Die US-Notenbank hat erneut an der Zinsschraube gedreht. Mitten in einer Phase politischer Spannungen und wirtschaftlicher Unsicherheit...

DWN
Finanzen
Finanzen Goldpreis stabilisiert sich nach Korrektur – Anleger hoffen auf neue Aufwärtswelle
29.10.2025

Der Goldpreis schwankt heftig – zwischen Rekorden und Rücksetzern. Nach der jüngsten Korrektur hoffen Anleger nun auf eine neue...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Paketbranche bereitet sich auf starkes Weihnachtsgeschäft vor
29.10.2025

Die Paketbranche steht vor der größten Bewährungsprobe des Jahres: dem Weihnachtsgeschäft. Millionen Sendungen, volle Lager, steigende...

DWN
Politik
Politik Kritische Rohstoffe: Warum die EU im Wettlauf um seltene Erden gegen China und die USA verliert
29.10.2025

Seltene Erden und kritische Rohstoffe prägen die globale Wirtschaftspolitik. Während China und die USA ihre Interessen durchsetzen,...

DWN
Politik
Politik Mindestlohn-Erhöhung: Bundesregierung beschließt Anhebung in zwei Stufen – wer zahlt und wer profitiert
29.10.2025

Der gesetzliche Mindestlohn steigt deutlich – doch was bedeutet das für Arbeitnehmer, Unternehmen und Preise? Die neue...

DWN
Finanzen
Finanzen Nvidia-Aktie: KI-Gigant Nvidia vor Sprung über 5-Billionen-Dollar-Marke
29.10.2025

Die Nvidia-Aktie steht kurz davor, eine historische Marke zu überschreiten – und die Weltbörsen staunen. Doch was steckt wirklich...

DWN
Finanzen
Finanzen Sparplan? Deutsche sparen viel, aber oft ohne klare Strategie
29.10.2025

Die Deutschen lieben das Sparen, doch vielen fehlt ein klarer Sparplan oder Wissen über den Vermögensaufbau. Sicherheit steht meist über...

DWN
Finanzen
Finanzen Porsche-Aktie in der Analyse: Wenn der Mythos wankt und die Rendite schmilzt
29.10.2025

Porsche schreibt fast eine Milliarde Euro Verlust – und das mitten im Strukturwandel. Der Sportwagenhersteller kämpft mit schwachen...