Finanzen

Lebens- und Rentenversicherungen: Die Luft wird dünn, Finanzaufsicht kündigt Intervention an

Lesezeit: 2 min
02.12.2019 12:13  Aktualisiert: 02.12.2019 12:13
Die Situation bei den deutschen Lebens- und Rentenversicherungen spitzt sich weiter zu. Ursächlich dafür ist die seit Jahren betriebene und kürzlich verschärfte Geldpolitik der EZB. Inzwischen äußert sich sogar die Finanzaufsicht öffentlich besorgt.
Lebens- und Rentenversicherungen: Die Luft wird dünn, Finanzaufsicht kündigt Intervention an
Der Schriftzug Lebensversicherung hinter schemenhaften Gestalten. (Foto: dpa)
Foto: Jens B

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

Es geht wieder abwärts für Deutschlands Sparer: Zahlreiche Kunden klassischer Lebens- und Rentenversicherungen müssen sich nach einer kurzen Atempause erneut auf sinkende Zinsen einstellen. «Das Niedrigzinsumfeld schmerzt extrem. Die Zinsen am Kapitalmarkt sind zuletzt noch einmal gesunken. Das Thema verfestigt sich immer mehr», beschreibt der Geschäftsführer der Rating-Agentur Assekurata, Reiner Will, die Lage. Er geht davon aus, dass die laufende Verzinsung des Altersvorsorgeklassikers im kommenden Jahr im Schnitt auf etwa 2,30 Prozent sinkt, nach durchschnittlich berechneten 2,46 Prozent 2019, berichtet die dpa.

Kunden mit alten Verträgen bekommen vielfach aber eine höhere Rendite, da sie teilweise noch von Zinsgarantien von bis zu 4 Prozent profitieren. Den Unternehmen fällt es jedoch immer schwerer, die hohen Versprechen der Vergangenheit in der von der EZB erzeugten Zinsflaute an den Kapitalmärkten zu erwirtschaften.

Die ersten der mehr als 80 Lebensversicherer haben ihre Daten für 2020 nun veröffentlicht. Deutschlands größter Lebensversicherer Allianz Leben senkt die laufende Verzinsung. Das gilt auch für die Alte Leipziger und die Nürnberger Leben. Unter anderem Axa und die Ideal Lebensversicherung halten die Verzinsung stabil.

Versicherungsmathematiker Henning Kühl erwartet in der Breite aber keinen starken Rückgang: «Bei der Verzinsung sind die Gestaltungsmöglichkeiten weitgehend ausgeschöpft», argumentiert der Chefversicherungsmathematiker von Policen Direkt. Der Spielraum nach unten sei bei den meisten Anbietern wegen der Garantien in den bestehenden Verträgen eng begrenzt. Policen Direkt kauft bestehende Lebensversicherungsverträge von Kunden auf und führt sie bis zum Ablauf weiter.

Die laufende Verzinsung setzt sich aus dem Garantiezins und der Überschussbeteiligung zusammen. Über die Höhe der Überschussbeteiligung entscheiden die Versicherer je nach Wirtschaftslage und Erfolg ihrer Anlagestrategie jedes Jahr neu.

Hinzu kommt der Garantiezins, der nach einer Festlegung des Bundesfinanzministeriums seit Anfang 2017 für Neuverträge bei mageren 0,9 Prozent liegt. Bei Altverträgen sind es noch bis zu 4 Prozent. Diese müssen die Unternehmen auch in der Zinsflaute erfüllen. Die laufende Verzinsung bezieht sich nur auf den Sparanteil, den der Versicherer nach Abzug von Abschluss- und Verwaltungskosten sowie dem Beitrag für einen Todesfallschutz anlegt.

Um die hohen Versprechen der Altverträge abzusichern, müssen die Versicherer seit 2011 Geld zurückstellen. Dieses Geld kann nicht an die Kunden ausgeschüttet werden. Der Kapitalpuffer - im Fachjargon Zinszusatzreserve genannt - wird inzwischen zwar langsamer aufgebaut als zu Beginn.

Assekurata-Geschäftsführer Will zufolge hat das gesunkene Zinsniveau einen Teil der Entlastung jedoch zunichte gemacht. «Wir gehen inzwischen davon aus, dass die Versicherer in diesem Jahr etwa 9 Milliarden Euro für die Zinszusatzreserve aufwenden müssen.» Ursprünglich hatte Assekurata mit 6 bis 7 Milliarden gerechnet. «Die Zusatzbelastung drückt auf die Fähigkeit, Rendite an die Kunden auszuschütten.»

Im Vergleich zu anderen Geldanlagen sei die Verzinsung aber immer noch recht gut, argumentiert Will. Bei der Allianz Leben beispielsweise liegt die Gesamtverzinsung 2020, zu der unter anderem der Schlussüberschuss am Ende der Laufzeit des Vertrages zählt, bei klassischen Lebens- und Rentenversicherungen bei 3,1 Prozent und bei 3,4 Prozent für das neuere Modell ohne Garantiezins. «In Zeiten von Null- und Negativzinsen ist eine 3 vor dem Komma ein starkes Signal», sagt Produktvorstand Volker Priebe.

Viele Assekuranzen bieten keine Produkte mit klassischem Garantiezins mehr an. Sie setzen im Neugeschäft auf Verträge, die lediglich den Erhalt der eingezahlten Beiträge ganz oder teilweise zusagen. Dafür sollen sie eine etwas höhere Rendite abwerfen.

Mit wachsender Sorge beobachtet die Finanzaufsicht Bafin die Lage der Assekuranzen. «Die Situation der Lebensversicherer und Pensionskassen erfordert, dass wir unsere Kontrolle verstärken», sagte der Chef der Versicherungsaufsicht, Frank Grund, kürzlich. Die jüngste Zinssenkung im Euroraum habe die Herausforderung für die Versicherer noch einmal vergrößert.

Die Europäische Zentralbank hatte ihre ultralockere Geldpolitik im September nochmals verschärft. Dazu zählen höhere Strafzinsen (negativer Einlagenzins) für Banken, frische Milliarden für Staats- und Unternehmensanleihenkäufe und ein auf unbestimmte Zeit zementiertes Zinstief.

Zuletzt hatte die Ankündigung in den Niederlanden für Aufsehen gesorgt, demzufolge erstmals die Auszahlungsbeträge der gesetzlich rentenversicherten Bürger gekürzt werden sollen.


Mehr zum Thema:  

DWN
Politik
Politik Moldau und Georgien: Reif für die EU?
27.07.2024

Moldau und Georgien wurden lange in der deutschen Öffentlichkeit kaum beachtet. Erst durch den Ukrainekrieg rückten beide Länder...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Neue Verträge: Nach dem KaDeWe sind auch Oberpollinger und Alsterhaus gerettet
26.07.2024

Die berühmten Flaggschiffe der deutschen Warenhäuser scheinen nach der Pleite des Immobilien-Hasardeurs René Benko endlich gerettet zu...

DWN
Politik
Politik Ukraine-Hilfsgelder von Russland: EU gibt Erträge aus dem eingefrorenen Vermögen frei
26.07.2024

Die Europäische Union hat jetzt die ersten Zinserträge aus dem im Westen eingefrorenem russischen Staatsvermögen freigegeben. Die...

DWN
Politik
Politik Der Chefredakteur kommentiert: Islamisches Zentrum Hamburg - ein längst überfälliges Verbot, Frau Faeser!
26.07.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Politik
Politik Bundeskanzler Scholz zu irregulärer Migration: „Die Zahlen müssen runter“
26.07.2024

Erwerbsmigration nach Deutschland sei erwünscht, meint der Kanzler. Problematisch findet er unerlaubte Einreisen. Eine Innenexpertin der...

DWN
Panorama
Panorama ADAC warnt: Es droht schlimmstes Stau-Wochenende der Saison
26.07.2024

Wer nun in den Urlaub fährt, sollte etwas mehr Zeit einplanen und mitunter starke Nerven haben. Der ADAC rechnet mit vielen Staus. Lassen...

DWN
Politik
Politik Außenministerin Baerbock: Seegerichtshof in Hamburg wird an Bedeutung gewinnen
26.07.2024

In Hamburg informiert sich die Außenministerin bei ihrer Sommerreise über die Arbeit des Internationalen Seegerichtshofs. Anschließend...

DWN
Finanzen
Finanzen EZB nach Stresstest: Banken haben Verbesserungsbedarf bei Cyber-Angriffen
26.07.2024

Seit der Finanzkrise 2008 wird genauer hingeschaut bei den Banken. Im Euroraum müssen sich die Institute nach Einschätzung der...