Wirtschaft

Russland und Türkei sind die wettbewerbsfähigsten Schwellenländer

Einer Studie zufolge haben Russland und die Türkei ihre Wirtschaftsstandorte in den vergangenen Jahren massiv ausgebaut.
14.01.2020 17:04
Aktualisiert: 14.01.2020 17:04
Lesezeit: 3 min
Russland und Türkei sind die wettbewerbsfähigsten Schwellenländer
Der russische Präsident Wladimir Putin und sein türkischer Amtskollege Recep Tayyip Erdoğan. (Foto: dpa) Foto: -

Russland und die Türkei haben ihre Standort-Attraktivität in den vergangenen Jahren kräftig ausgebaut. Das geht aus dem „Länderindex Familienunternehmen – Emerging Markets“ hervor, den das „ZEW – Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung“ der Universität Mannheim erstellt hat. Auftraggeber der Untersuchung war die „Stiftung Familienunternehmen“. Insgesamt wurden die Bedingungen in sieben Schwellenländern untersucht. Dabei belegt Russland den ersten und die Türkei den zweiten Platz. Sie wurden beide in die Spitzenkategorie aufgenommen. Die Ränge drei, vier und fünf nehmen China, Südafrika und Mexiko ein – ihnen bescheinigen die Wissenschaftler ein durchschnittliches Ergebnis. Die beiden Staaten auf Platz sechs und sieben, Indien und Brasilien, fallen deutlich ab – sie finden sich in der dritten Kategorie wieder und erhalten von den Studien-Autoren ein Ungenügend.

Die Untersuchung stützt sich auf Daten zu Wettbewerbsfaktoren, die von international anerkannten Institutionen stammen. Erstmals wurden auch hohe CO2-Emissionen als Standortrisiko gewertet. Die Daten sagen nichts über politische Entwicklungen aus. Gleichwohl wird deutlich, dass Demokratiedefizite und mangelhafte Rechtstaatlichkeit auf Dauer Wirtschaftsstandorten einen Schaden zufügen, so die „Stiftung Familienunternehmen“.



„Viele Schwellenländer haben in den vergangenen Jahren große Anstrengungen unternommen, um wettbewerbsfähiger zu werden. Es liegt in ihrem Interesse, Fortschritte bei den Wirtschaftsbedingungen auch in Einklang mit Demokratie, Menschenrechten und Rechtstaatlichkeit zu bringen“, sagt Prof. Rainer Kirchdörfer, Vorstand der Stiftung Familienunternehmen. „Das schafft die beste Grundlage für stabile Geschäftsbeziehungen.“



Russland konnte die Stellung als attraktivster Standort im Kreis der wichtigsten Emerging Markets (Schwellenmärkte) ausbauen. Unternehmen können hier auf gut ausgebildete Arbeitskräfte zugreifen. Die Regelungen in den Bereichen Besteuerung, Regulierung sowie Energiekosten sind günstig. Die größte Schwäche des Standorts bleibt allerdings die Dimension „Institutionen“. In dieser Kategorie erzielt das Land wegen autokratischer Tendenzen das zweitschlechteste Ergebnis, wie es in einer Pressemitteilung der „Stiftung Familienunternehmen“ heißt. Auch in den Bereichen Rechtssicherheit und Eigentumsrechte schneide Russland schlecht ab, heißt es dort weiter.



Ähnlich verhält es sich mit der Türkei. Das Land hat in den vergangenen Jahren viel unternommen, um sich für Investoren attraktiver aufzustellen. Die Türkei bietet günstige Steuerregelungen und ein liberales Regulierungsumfeld sowie gut ausgebildete Arbeitskräfte. Die institutionellen Bedingungen sind – ähnlich wie im Fall Russlands – die größte Schwachstelle.



Auch China hat seine Wettbewerbsfähigkeit verbessert. Die Staatsführung geht hart gegen Kriminalität und Korruption vor, die Finanzierungsbedingungen sind gut. Die klare Standortschwäche liegt auf dem Arbeitsmarkt. Die relativ hohen Löhne stehen einer vergleichsweise geringen Produktivität gegenüber, darüber hinaus bestehen merkliche Defizite beim Bildungsniveau.



Die negativste Entwicklung hat Südafrika durchlaufen. „Hier spiegelt sich noch die neunjährige Präsidentschaft des erst Anfang 2018 zurückgetretenen Jacob Zuma wider, die zu einem erheblichen Vertrauensverlust bei internationalen Investoren geführt hatte“, schreibt Studienautor Prof. Dr. Friedrich Heinemann, Forschungsbereichsleiter am ZEW. In drei von sieben Bereichen des Länderindex´ sanken die Punktwerte deutlich. Das Schlusslicht bildet Brasilien. Die größten Schwachstellen des südamerikanischen Landes sind das vergleichsweise restriktive Regulierungsumfeld sowie die unzureichende Infrastruktur.



Die Studie zeigt auf, dass Staaten wie Russland und die Türkei ein hohes Potenzial für eine Intensivierung der Geschäftsbeziehungen mit der Europäischen Union bieten. Ein Ende der politischen Spannungen hätte positive wirtschaftliche und politische Folgen. Beide Seiten würden von intensiveren Wirtschaftsbeziehungen profitieren, zudem könnte die EU stärker als Anwältin für Menschenrechte, Rechtstaatlichkeit und Demokratie auftreten, so die „Stiftung Familienunternehmen“.



Der „Länderindex Familienunternehmen – Emerging Markets“ wirft auch ein Schlaglicht auf den Reformbedarf in Deutschland. „Die Konkurrenz der Schwellenländer für etablierte Standorte von Familienunternehmen wächst kontinuierlich“, heißt es in der Studie. „Das regulatorische Umfeld entwickelt sich in eine unternehmensfreundliche Richtung, und zumeist ist die staatliche Kontrolle über Märkte rückläufig. Dies steht in einem bemerkenswerten Kontrast zur stark steigenden Regulierungs- und Interventionsfreude der deutschen Wirtschaftspolitik.“



Für die deutsche Politik ergebe sich aus der Studie ein klarer Handlungsauftrag, so Stiftungsvorstand Rainer Kirchdörfer: „Dass die Schwellenländer schon seit Jahren entschieden daran arbeiten, ihre Standortbedingungen zu verbessern, muss für Deutschland ein Weckruf sein. Wir brauchen eine neue Reformdynamik. Sonst droht Deutschland im internationalen Standortwettbewerb abgehängt zu werden.“ Im „Länderindex Familienunternehmen“, einem Vergleich von 21 Industrienationen, war Deutschland zuletzt um vier Plätze auf Rang 16 zurückgefallen.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Finanzen
Finanzen Airbus-Aktie fällt nach A320-Software-Update
01.12.2025

Ein Pflicht-Update für die A320-Reihe schickt die Airbus-Aktie auf ein Zweimonatstief. Airlines reagieren hektisch, doch der Hersteller...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Kurs rutscht zum Wochenstart ab: Liquidationswelle bringt Kryptowährungen unter massiven Druck
01.12.2025

Der Bitcoin-Kurs startet tiefrot in den Dezember: Ein Wochenend-Schock hat den Markt binnen Stunden umgekrempelt. Liquidationen rollen auf...

DWN
Politik
Politik Bürgergeldreform „Bullshit“: Arbeitsministerin Bas muss bei Jusos einstecken - wackelt die neue Grundsicherung?
01.12.2025

Die Bürgergeldreform steht bevor, der erste Teil der neuen Grundsicherung soll noch im Dezember durch das Bundeskabinett von Kanzler Merz...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutsche Industrie: Materialmangel trifft Autoindustrie am härtesten – Ursache wohl in China
01.12.2025

Materialmangel trifft die deutsche Industrie unerwartet hart und legt Schwachstellen in globalen Lieferketten offen. Besonders Halbleiter...

DWN
Politik
Politik NATO-Krise: Ex-Spitzenoffizier fordert im DWN-Interview totale Umstellung von Gesellschaft und Wirtschaft
01.12.2025

Ein früherer NATO-Spitzenoffizier warnt in einem exklusiven Interview, dass Europa nur wenige Jahre hat, um sich auf einen möglichen...

DWN
Finanzen
Finanzen Hugo Boss-Aktie: Machtkampf mit Großaktionär Frasers?
01.12.2025

Beim Modekonzern Hugo Boss knirscht es im Machtgefüge: Der wichtigste Investor zieht dem Aufsichtsratschef die Unterstützung weg,...

DWN
Finanzen
Finanzen US-Börsen: Wird 2026 alles steigen? Prognose für Aktien, Bitcoin-Kurs und Goldpreis
01.12.2025

Der November brachte an den US-Börsen einen synchronen Aufschwung über sämtliche Anlageklassen hinweg. Jetzt legen die größten Häuser...

DWN
Finanzen
Finanzen Dividenden-Aktien: Wie Anleger jetzt potenzielle Dividendenrenditen erkennen
01.12.2025

Dividenden-Aktien gewinnen für Anleger in unsicheren Zeiten an Bedeutung, da sie regelmäßige Ausschüttungen mit potenziellem...