Finanzen

Bloß kein Schema F: EZB darf in der Krise nicht in alte Gewohnheiten verfallen

Lesezeit: 4 min
13.03.2020 09:26  Aktualisiert: 13.03.2020 09:26
Die Wirtschaft muss in Zeiten der Corona-Krise gestützt werden, schreibt Daniel Gros. Dabei darf die EZB jedoch nicht in alte Gewohnheiten verfallen.
Bloß kein Schema F: EZB darf in der Krise nicht in alte Gewohnheiten verfallen
Das EZB-Hochhaus in Frankfurt. (Foto: dpa)
Foto: Boris Roessler

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Die Ausbreitung des Coronavirus COVID-19 in Europa und den USA hat zu einer steilen Korrektur an den Finanzmärkten geführt und Forderungen nach einer aktiven Geld- und Fiskalpolitik zur Verhinderung einer Rezession ausgelöst. Bei genauerer Betrachtung jedoch ist ein derartiger Ansatz womöglich nicht sonderlich hilfreich.

Die COVID-19-Epidemie ist von Unsicherheit gekennzeichnet. Technisch stellt es kein „Black-Swan-Ereignis“ dar, weil es schon früher Pandemien gegeben hat. Doch war sie zumindest konkret betrachtet bis vor wenigen Monaten unvorhersehbar. Und sie wird lang andauernde Auswirkungen haben, auch wenn ihre genaue Entwicklung heute noch nicht genau absehbar ist.

Derzeit scheint das Virus immer weiter westwärts zu wandern. In China gehen die Infektionen nach radikalen Maßnahmen der Behörden, die die Wirtschaft für mehr als zwei Wochen zum Erliegen brachten –unter anderem der Einrichtung von Sperrzonen – inzwischen zurück. Zwar lässt sich derzeit noch nicht sagen, ob das Virus wirklich eingedämmt wurde. Doch scheint sich das wirtschaftliche Leben inzwischen allmählich zu normalisieren, was nahelegt, dass der „China-Schock“ womöglich abklingt.

In den USA und Europa dagegen scheint die Erschütterung gerade erst zu beginnen: Eine schnell wachsende Zahl an Neuinfektionen beschwört das Gespenst schwerer wirtschaftlicher Störungen herauf. Zwar scheinen die unmittelbaren Folgen der Epidemie für die öffentlichen Haushalte verkraftbar. Selbst Italien, das derzeit am stärksten leidet, könnte die öffentlichen Ausgaben für Maßnahmen zur Bekämpfung des Virus steigern, ohne gegen die EU-Haushaltsregeln zu verstoßen.

Zwar ist es wahrscheinlich, dass die Kosten in Italien steigen werden, da ein Viertel des Landes zur Sperrzone erklärt wurde, und zwar ausgerechnet der Teil, auf den ein gewaltiger Teil der Industrie- und Finanzaktivität entfällt. Dennoch sollte die Europäische Union imstande sein, Italien in einer Weise zu unterstützen, die darüber hinausgeht, dem Land ein höheres Haushaltsdefizit zu gestatten. Artikel 122.2 des Vertrages über die Arbeitsweise der EU erlaubt es dem Europäischen Rat, einem Mitgliedstaat finanzielle Unterstützung zu gewähren, der aufgrund von „außerordentlichen Ereignissen, die sich seiner Kontrolle entziehen“, von „gravierenden Schwierigkeiten“ bedroht ist. Dieses Verfahren sollte jetzt eingeleitet werden.

Auf jeden Fall legt der Verlauf von COVID-19 nahe, dass es sich weiter ausbreiten wird. Dies wird andere EU-Mitgliedstaaten zwingen, Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit zu verabschieden, die auf Kosten der Wirtschaftsaktivität insbesondere in wichtigen Branchen wie dem Reise- und Touristik-Sektor gehen. Darüber hinaus werden die Lieferketten beschädigt werden, und zwar nicht nur durch den vorübergehenden Stillstand der chinesischen Export-Maschinerie, sondern auch durch die Störungen innerhalb Europas. Weder Zinssenkungen noch neuerliche Regierungsausgaben würden viel tun, um die kurzfristigen Auswirkungen derartiger Erschütterungen auszugleichen.

Ernstere Probleme dürften vom Finanzsystem ausgehen. Während viele Unternehmen ihre Produktion rasch herunterfahren können, kostet der Betrieb eines Unternehmens auch im „Katastrophenmodus“ Geld, und Schulden werden trotzdem fällig. In Europa, wo sich die Arbeitskosten nicht kurzfristig senken lassen, könnten die hierdurch bedingten Herausforderungen besonders schwerwiegend sein.

Zum Glück verfügen die meisten EU-Mitgliedstaaten über Systeme, bei denen der Staat die Lohnfortzahlung für Arbeitnehmer übernimmt, die aus Gründen, die sich der Kontrolle ihrer Arbeitgeber entziehen, vorübergehend arbeitslos werden. Diese Mechanismen, die die privaten Einkommen während der Krise aufrechterhalten würden, sind der Hauptgrund, warum ein anhaltender Konsumrückgang unwahrscheinlich ist. Ist das Virus erst einmal eingedämmt, werden die europäischen Verbraucher wenig Grund haben, nicht genauso viel auszugeben wie vorher.

Zwei andere mögliche Entwicklungen könnten die Eurozone jedoch in die Rezession stürzen. Die erste ist ein steiler Rückgang beim Welthandel, gegen den die EU nicht viel machen kann. Die zweite ist ein Einbruch bei den Investitionen, den die EU verhindern kann und sollte.

Die letzte Krise in der Eurozone hat gezeigt, dass die Investitionen einbrechen, wenn das Finanzsystem nicht mehr funktioniert. In marktgestützten Systemen wie dem der USA ist dies eine Frage der Risikoaufschläge und des schlichten Zugangs zu Krediten, die die Politik kaum beeinflussen kann. Für Europa mit seinem bankenzentrischen Finanzsystem liegt der Schlüssel zur Bewältigung der COVID-19-Krise darin, den Bankensektor gesund zu halten.

Hierfür ist eine abgestimmte Antwort im Bereich der Aufsicht unverzichtbar. Die Verlagerung der Bankenaufsicht hin zur Europäischen Zentralbank hat zu einer stringenteren und selektiveren Kreditpolitik seitens der Geschäftsbanken geführt und die Risiken für das Bankgeschäft verringert. Doch könnte die Anwendung harter Kreditvergabestandards in einer Zeit ernster wirtschaftlicher Belastungen, die durch Maßnahmen zum Schutz der öffentlichen Gesundheit bedingt sind, ansonsten kreditwürdige Unternehmen, die vorübergehende Verluste erleiden, bestrafen.

Italiens Regierung leistet den von der Einrichtung der Sperrzonen unmittelbar betroffenen Unternehmen direkte Finanzhilfe. Doch falls sich die Krise ausweitet, wird die Zahl der (häufig mittelbar) betroffenen Sektoren zunehmen. Die Regierungen können sie nicht alle finanziell unterstützen. Die Banken können viel mehr tun, aber nur, wenn sie bereit sind, über schlechte Finanzdaten hinwegzusehen. Die Aufsichtsstellen sollten einen derartigen Ansatz zulassen und sogar dazu ermutigen.

Ein nachsichtiger Ansatz würde – zusammen mit den in Europas Sozialversicherungssysteme integrierten „automatischen“ fiskalischen Stabilisatoren – deutlich mehr zur Abmilderung der Krise tun als mikroskopische Zinssenkungen.

Zusätzliche fiskalpolitische Impulse wären nur in dem unwahrscheinlichen Fall erforderlich, dass auf die wirtschaftliche Störung eine Phase verringerter Nachfrage folgt. Die Haushaltsregeln der Eurozone stellen kein Hindernis für einen derartigen Policy-Mix dar; sie sind ausreichend flexibel, um vorübergehende Defizite zuzulassen, die aus niedrigeren Steuereinnahmen oder aus der Unterstützung für durch außergewöhnliche Umstände schwer getroffene Sektoren herrühren. Trotzdem sollte die COVID-19-Epidemie als Mahnung dienen, in normalen Zeiten eine umsichtige Fiskalpolitik zu verfolgen. Länder mit niedrigeren Defiziten und Schulden sind viel besser aufgestellt, auf die Erschütterung durch COVID-19 zu reagieren, als solche wie Italien und Frankreich, die sich keine ausreichenden Haushaltsspielräume geschaffen haben.

Angesichts einer schweren Erschütterung müssen die Behörden handeln – und zwar sichtbar. Doch dürften die üblichen makroökonomischen Instrumente im vorliegenden Fall nicht funktionieren. Notenbanken und staatliche Behörden sollten dies der Bevölkerung erklären und anschließend ihre Aufmerksamkeit auf die weniger glamouröse Arbeit richten, die öffentliche Gesundheit, die Einkommen der privaten Haushalte und das Finanzsystem zu schützen.

Aus dem Englischen von Jan Doolan

Daniel Gros ist Direktor des “Centre for European Policy Studies”.

Copyright: Project Syndicate, 2020.

www.project-syndicate.org

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Daniel Gros ist Direktor des europapolitischen Instituts der Università Commerciale Luigi Bocconi.


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