Fernando Ríos hat bis vor kurzem bei Spaniens größter Bank als Trader gearbeitet. Dann wurde er wegen Restrukturierungs-Maßnahmen frühzeitig entlassen und darf jetzt offiziell ohne Erlaubnis der Bank keine Geschäfte mehr machen. „Privat pokere ich aber immer noch“, gesteht er. Der jetzige Zeitpunkt, nachdem die Aktienindizes der europäischen Börsen in nur drei Wochen mehr als 30 Prozent verloren haben, ist für ihn ideal, um dort einzusteigen, wo die Kurse besonders stark gefallen sind: „Jetzt ist das Blut auf den Straßen, wie die Briten sagen“. Währenddessen fragt sich der in Barcelona lebende Deutsche Ernst Schneider, Geschäftsführer eines deutschen Unternehmens, wie er seinen seit Januar aufgelaufenen Verlust von inzwischen über 300.000 Euro an den Börsen dieser Welt kompensieren soll und ob es nicht noch schlimmer kommen kann: „Mir ist wirklich schlecht und ich merke, dass mir dieser Nervenkitzel gesundheitlich nicht gut tut“, gibt er ehrlich zu. Eigentlich liegen ihm jetzt eher Anleihen, aber davon rät Thomas Meißner von der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) ab: „Die Rendite der zehnjährigen Bundesanleihe fällt wie ein Stein.“ Risikostreuung dagegen sei die beste Strategie. ETF-Fonds eignen sich dafür ideal. Sie bilden zu geringen Kosten einen Index wie den MSCI World Index oder den DAX ab.
Wie weit kann die Börse noch fallen?
Investieren bei den aktuellen Turbulenzen ist nichts für sensible Gemüter. Der deutsche Leitindex ist am Donnerstag um mehr als zwölf Prozent abgestürzt und erlitt damit den zweitgrößten Tagesverlust seiner Geschichte. An den US-Aktienmärkten musste der Handel aufgrund hoher Verluste zum zweiten Mal in dieser Woche ausgesetzt werden. Die Kryptowährung Bitcoin ist im Sog der allgemeinen Marktpanik ebenfalls um 25 Prozent in die Tiefe gestürzt. Zeitweise brach der Dow Jones um mehr als neun Prozent ein, der größte Kurssturz seit dem „Schwarzen Montag“ von 1987.
Die Ausrufung der Corona-Pandemie und das Einreiseverbot für Europäer in den USA hatten die Panik an den Märkten initiiert. Vor allem Flugtitel wie Lufthansa oder das Reiseunternehmen TUI geraten jetzt enorm unter Druck „Es ist mit einem längeren Abwärtstrend zu rechnen, aber nicht alle Aktien fallen gleich schnell und einige steigen jetzt schon wieder wie zum Beispiel Lebensmittelketten oder Streamingdienste wie Netflix“, sagt Ríos, der als „junger“ Pensionär jetzt den Großteil seiner Zeit in Madrid auf dem Golfplatz verbringt.
Aber auch da ist im Moment Quarantäne angesagt. Egal ob Sportclubs, Theater oder Museen, in Spanien hat mit Hinblick aufs Wochenende wie auch in den meisten anderen Ländern Europas alles geschlossen. Dennoch weiß der 54jährige aus seiner 30jährigen Karriere als Broker und Trader, dass jetzt der richtige Moment ist, einzusteigen: „Alles rutscht ab, aber es ist absehbar, dass die Krise irgendwann zuende geht, weil sie durch einen bestimmten externen Faktor verursacht wurde. Lufthansa oder TUI waren vorher weitgehend gesunde Unternehmen“. Und die Aktienkurse von Gesundheitsunternehmen weisen schon jetzt deutliche Gewinne auf, darunter teilweise völlig unbekannte asiatische Titel, aber auch „Blue Chips“ (Aktien von Großunternehmen – Anm. d. Red.) wie Roche. Das Schweizer Unternehmen hat gerade eine Notzulassung von der US-Gesundheitsbehörde für einen Covid-19-Test bekommen.
Turbulenzen auf allen Ebenen: Bei Wetter, Gesundheit und Börsen
Viele fragen Ríos als Kenner der Branche, ob sie jetzt einsteigen oder besser noch warten sollen: „Ich sag dann immer: Fang an, wenn alles unten ist und teile dir dein Geld über die nächsten vier Wochen oder zwei Monate auf, falls es noch weiter nach unten geht“. Zum Verkauf rät er nur denen, die keine Kapazität zum Nachkaufen haben: „Wer im Januar, als niemand verstanden hat, warum die Börsen weiter steigen, eingestiegen ist und jetzt kein Geld mehr hat, um von unten nachzuschaufeln, der hat ein Problem.“ Derweil bekommt Schneider, der seine Millionen der Fisher Investment anvertraut hat, fast einen Herzinfarkt: „Ich werde jeden Tag von meinem Berater angerufen. Die Volatilität stresst mich enorm und ich würde am liebsten alles verkaufen“, sagt der 50jährige. Davon rät aber jeder ab, so lange noch kein Totalverlust eingefahren wurde und immer noch Geld zum Nachkauf da ist.
Für Ríos und viele andere Analysten hätte die Korrektur der Börse eigentlich schon Anfang des Jahres kommen müssen, „aber es wurde weitergekauft, was keiner versteht“. Damit ist für ihn der Corona-Virus auch eine Art natürlicher Säuberungsprozess: „Wir werden mit Sicherheit gestärkt aus diesem Prozess hervorgehen und völlig verwandelt.“ Das globalisierte, auf schnellen Profit und Wachstum ausgelegte Weltwirtschaftssystem läge in den letzten Zügen, glaubt er. Anleger mit Geld sollten auch im Auge haben, dass angeschlagene Banken wie die Deutsche Bank und Unternehmen wie ThyssenKrupp derzeit eine Höllenfahrt erleben. An diesen Konzernen hängen Hunderttausende Arbeitsplätze. Es könnte für einige sehr brenzlig werden in den nächsten Wochen, wenn die Panik an den Märkten nicht sinkt. Aber es erwischt derzeit auch völlig von dem Coronavirus unabhängige Konzerne wie das spanische Mode-Unternehmen Inditex (Zara), das innerhalb einer Woche zehn Milliarden Euro an Wert verloren hat. Diese „Blue Chips“ sind aber für Ríos jetzt die richtige Investition.
Jetzt auf Supermärkte und Pharma setzen
Wer jedoch Angst hat, dass jetzt alles zusammenbricht und uns eine Weltwirtschaftskrise wie 1929 vorsteht, der sollte daran denken, wie die Welt sich aus der letzten Finanzkrise gerettet hat und auch aus der Zäsur nach dem 11. September 2001. Der Corona-Virus, der derzeit die Börsen befällt, ist ein zeitlich begrenztes Problem. Der spanische Tourismusexperte und Ökonom Enrique Sancho weist daraufhin, dass bereits 80 klinische Verfahren laufen, um einen Impfstoff zu finden: „Wir vergessen zudem schnell, was wir in der Vergangenheit zum Beispiel mit Aids durchgemacht haben. Da kam nur nicht so eine Börsen-Panik auf, weil die Ansteckung nicht so einfach ist wie bei COVID-19. Aber damals starb jeder, der infiziert war. Heute stirbt kaum jemand mehr an Aids. Bei Covid-19 erleiden nur 14 Prozent eine Lungenentzündung und fünf Prozent müssen um ihr Leben fürchten“. Anleger sollten das im Auge haben und deswegen nicht panisch aus Unternehmen der Tourismus-Industrie verschwinden, die derzeit am meisten leiden.
Borja Ribera von der EAE Business School glaubt, dass jetzt Unternehmen, die Reinigungs- und Waschmittel herstellen wie Henkel, aber auch Supermarkt-Ketten ein guter Griff sind: „Sie alle verlieren im negativen Marktrend, machen derzeit aber weiter gute Umsätze. Die Aktie von Carrefour zum Beispiel ist gering bewertet“, sagt der Analyst aus Madrid, der jedoch eine Streuung des Investments empfiehlt, um das Risiko zu mindern. Bezüglich Tourismusunternehmen empfiehlt er die spanischen Werte Melià (Hotelkette) und Iberia, welche rund 50 Prozent ihres Wertes verloren haben in den vergangenen Wochen. Die Schweizer Bank UBS rät zudem, auf Online-Werte zu schauen wie Spiele-Anbieter, Lieferdienste wie Amazon, Internet-Dating-Anbieter und alle anderen Firmen, die jetzt wichtig werden, wenn wir gefesselt sind ans Haus. Der alte Hase Ríos warnt jedoch: „Jeder, der jetzt in Aktien investiert, muss sehr viel davon verstehen und sollte Zeit haben, das Investment zu kontrollieren und es möglichst nicht über einen Bankberater laufen lassen“.