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DRITTES DWN-INTERVIEW ZUR GEGENWÄRTIGEN RECHTSLAGE: Nach manchen Polizeigesetzen sind sogar finale Todesschüsse zulässig

Die Corona- Krise verändert unser Land in atemberaubendem Tempo. Immer stärker greifen die Behörden in die Freiheitsrechte der Bürger ein. Doch auf welcher Grundlage? Gibt es Grenzen? Die Deutschen Wirtschaftsnachrichten sprachen darüber mit Prof. Ulrich M. Gassner, Co-Direktor des Instituts für Bio-, Gesundheits- und Medizinrecht (IBGM) an der Universität Augsburg.
22.03.2020 10:00
Lesezeit: 2 min
DRITTES DWN-INTERVIEW ZUR GEGENWÄRTIGEN RECHTSLAGE: Nach manchen Polizeigesetzen sind sogar finale Todesschüsse zulässig
Die Polizei muss immer den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten - nichtsdestotrotz stehen ihr weitreichende Mittel zur Verfügung. (Foto: dpa)

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Nach welchen Grundsätzen entscheiden Behörden, Gesundheitsämter und Ministerien, wenn sie - wie jetzt während der Corona- Krise - in die Freiheitsrechte der Bürger eingreifen?

Ulrich M. Gassner: Sie müssen sich an die gesetzlichen Vorgaben halten und hierbei sorgfältig erwägen, ob die ergriffenen Maßnahmen geeignet, erforderlich und angemessen sind. Insbesondere muss sich die Intensität der Maßnahmen an der konkreten Risiko-Einschätzung ausrichten. Andernfalls läge ein Verstoß gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vor.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Gibt es eine Kontrollinstanz für Maßnahmen, die Behörden ergreifen?

Ulrich M. Gassner: Ja, und zwar die Gerichte. Etwas anderes wäre wegen der im Grundgesetz verankerten Rechtsschutzgarantie gar nicht möglich.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Haben die Bürger realistische Möglichkeiten, behördliche Anordnungen anzufechten?

Ulrich M. Gassner: Grundsätzlich kann man etwa gegen Quarantäne-Maßnahmen vor den Verwaltungsgerichten klagen, bei Zwangseinweisungen in eine geschlossene Einrichtung ist der Klageweg bei den Zivilgerichten eröffnet.

Der Erfolg eines Rechtsbehelfs hängt davon ab, ob die jeweilige behördliche Anordnung rechtswidrig ist, also zum Beispiel gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstößt.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Was passiert, wenn sich Bürger über Ausgangssperren und Quarantäne-Maßnahmen hinwegsetzen?

Ulrich M. Gassner: Das ist nicht zu empfehlen, da anderenfalls die Maßnahmen durch Verwaltungszwang, zum Beispiel durch körperliche Gewalt, durchgesetzt werden können. Außerdem bestehen ziemlich drakonische Strafandrohungen. So kann ein Quarantäne-Verstoß mit bis zu zwei Jahren Freiheitsstrafe oder einer Geldstrafe sanktioniert werden.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Können Bürger auf ihrem Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit beharren oder im Zweifel auch einer Zwangsimpfung unterzogen werden?

Ulrich M. Gassner: Auch in das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit kann eingegriffen werden, sofern ein rechtfertigender Grund vorliegt. Zwangsimpfungen können zum Schutz Dritter (zum Beispiel älterer Menschen) unter engen Voraussetzungen zulässig sein.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wie weit reichen die polizeilichen Befugnisse, sollte es beispielsweise zu Revolten und Plünderungen kommen?

Ulrich M. Gassner; Hier stehen eine ganze Palette von Maßnahmen zur Verfügung, wie zum Beispiel ein Platzverweis, der auch durch unmittelbaren Zwang der Polizei durchgesetzt werden kann. Nach manchen Polizeigesetzen sind sogar finale Todesschüsse zulässig, wenn sie das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr oder der gegenwärtigen Gefahr einer schwerwiegenden Verletzung der körperlichen Unversehrtheit sind. Generell muss Bei polizeilichen Maßnahmen und ihre Durchsetzung der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet werden.

Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Inwieweit garantiert das Rechtsstaatsprinzip in Deutschland, dass wir nach einer überstandenen Krise wieder zu dem Status quo ante zurückkehren?

Ulrich M. Gassner: Behörden müssen sich an Gesetz und Recht halten. Ändert sich die Risikoeinschätzung, müssen die freiheitsbeschränkenden Maßnahmen deshalb unverzüglich aufgehoben werden. Andernfalls macht sich der Staat auch schadensersatzpflichtig.

Info zur Person: Professor Gassner ist Co-Direktor des Instituts für Bio-, Gesundheits- und Medizinrecht (IBGM) an der Universität Augsburg. Er berät Ministerien und Unternehmen.

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