Finanzen

Liquiditätskrise hinter den Kulissen? Die seltsame Entwicklung eines wichtigen Zinses wirft Fragen auf

Obwohl die Zentralbanken die Finanzmärkte mit billigem Kreditgeld fluten, deutet ein wichtiger Indikator auf eine sich verschärfende Liquiditätsknappheit im Bankensystem hin. Der Indikator sollte in den kommenden Wochen genau beobachtet werden.
31.03.2020 12:28
Aktualisiert: 31.03.2020 12:28
Lesezeit: 2 min
Inhalt wird nicht angezeigt, da Sie keine externen Cookies akzeptiert haben. Ändern..

In den vergangenen Tagen hatten praktisch alle großen Zentralbanken der Welt die Finanzmärkte in massivem Umfang mit günstigem Kreditgeld geflutet, um die durch die Coronavirus-Epidemie verursachten Einbrüche an den Aktienmärkten und in der Realwirtschaft abzufedern. Während die US-Zentralbank und die EZB nun aus allen Rohren feuern (beispielsweise werden von beiden Notenbanken nun in zeitlich und mengenmäßig unbegrenztem Umfang Anleihen von Staaten und Unternehmen gekauft), haben auch die beiden führenden Institute in Asien – die chinesische Volksbank und die japanische Notenbank – weitreichende Erleichterungen bei der Vergabe von Liquidität angekündigt.

In einem Umfeld, welches durch den Überfluss an aus dem Nichts geschaffenen, zinslosen Kreditgeldes gekennzeichnet ist, sollten eigentlich alle Indikatoren auf eine breite Verfügbarkeit an Liquidität im Banken- und Finanzsystem hindeuten.

Das ist allerdings nicht der Fall. Beobachter verweisen hierbei insbesondere auf die seltsame Entwicklung des Libor beziehungsweise auf den zunehmenden Kursunterschied des Libor zur OIS-Rate, welcher seit der Finanzkrise 2008 von Analysten als Warnzeichen für eine Knappheit an Liquidität im Bankensystem und als Indikator für das gegenseitige Misstrauen unter Finanzmarktteilnehmern gedeutet wird.

Obwohl die Märkte nun mit Geld geflutet werden, steigt der Libor-Kurs für dreimonatige Dollar-Kredite seit Mitte März stetig an und führt zu einem sich ausweitenden Zinsunterschied zur OIS-Rate, welcher am 30. März den Umfang von 117 Basispunkten (1,17 Prozent) erreicht hatte, wie Seeking Alpha berichtet. Noch Anfang des Jahres lag der Unterschied zwischen 10 und 20 Basispunkten, vor der Finanzkrise 2008 bei praktisch null.

Verkürzt gesagt handelt es sich beim Libor (London Interbank Offered Rate) um den durchschnittlichen Zinssatz, zu dem Banken bereit sind, sich kurzfristig Geld zu leihen. Steigt der Libor an, verlangen die verleihenden Finanzinstitute einen höheren Zins von den Schuldnern, was wiederum die erhöhte Unsicherheit widerspiegelt.

Der Libor - welcher für verschiedene Währungsräume und Kreditlaufzeiten berechnet wird - ist nach wie vor ein extrem wichtiger Zins, weil er weltweit das Zinsniveau und die Zinsentwicklung von Hypotheken, Kreditkartenzinsen, Derivategeschäften und Darlehen an Privathaushalte im Umfang vieler Dutzender Billionen Dollar bestimmt - Bloomberg zufolge beträgt das Volumen der vom Libor abhängigen Finanzpapiere und Derivategeschäfte weltweit rund 370 Billionen Dollar.

Bei der OIS-Rate (Offered Interest Swap) handelt es sich hingegen verkürt ausgedrückt um den als risikolos eingestuften Leitzins eines Landes in einer bestimmten Zeitspanne.

Wie Business Korea schreibt, deutet der sich ausweitende Zinsunterschied zwischen Libor und OIS auf Liquiditätsprobleme innerhalb des Bankensystems hin: „Der Libor/OIS-Spread repräsentiert den Unterschied zwischen der dreimonatigen Interbankenrate und der risikolosen Rate. Wie Sie sehen können, liegt dieser Unterschied nun wieder auf dem Niveau des Jahres 2008 – obwohl die Fed bereits 2 bis 3 Billionen Dollar in die Märkte geleitet hat. Was bedeutet das? Es bedeutet, dass die Banken einander kein Geld leihen wollen oder aber einen riesigen Risikoaufschlag von 117 Basispunkten verlangen, selbst für die kurze Zeitspanne von drei Monaten. Hinzu kommt, dass der Unterschied zwischen der FRA-Rate ("forward rate agreement") und OIS sich inzwischen auf rund 50 Basispunkte ausgeweitet hat, was darauf hindeutet, dass Schuldner damit rechnen, in den kommenden drei Monaten mehr Schwierigkeiten zu haben, an Kredite zu kommen.“

Weiter schreibt Business Korea:

„Die gegenwärtige Krise entwickelte sich folgendermaßen: 1) Die Corona-Pandemie führte zu einer Rezession in der Realwirtschaft, 2) der Einbruch der Ölpreise führte zu einer Schuldenkrise bei überschuldeten Unternehmen der Branche und 3) dies führte zu einer Liquiditätskrise im Bankensystem. Derweil lief die Antwort der Politik andersherum ab: Seit vergangener Woche kauft die Fed auch hypothekenbesicherte Wertpapiere und führte ein unbefristetes Anleihekaufprogramm ein. Als Folge davon blieben die Zinsen auf dem Repo-Geldmarkt stabil. Aber der Libor/OIS-Spread weitet sich rapide aus und impliziert eine sich entfaltende Liquiditätskrise.“

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen US-Investoren strömen zu EARN Mining Cloud Mining und erzielen über 1.000 XRP pro Tag

Onchain-Daten zeigen, dass große Investoren bei einem XRP-Anstieg auf 3,10 US-Dollar Gewinne mitgenommen haben. Adressen mit Beständen...

DWN
Politik
Politik Finanzloch im Verkehrsetat: Länder warnen vor Baustopp
18.09.2025

Milliarden für Straßen und Schienen sind zwar eingeplant, doch sie reichen nicht aus. Länder und Bauindustrie schlagen Alarm, weil...

DWN
Politik
Politik Suwalki-Korridor: Europas Achillesferse zwischen NATO und Russland
18.09.2025

Der Suwalki-Korridor gilt als Achillesferse der NATO. Moskau und Minsk üben die Einnahme des Gebiets – Polen warnt, Deutschland blickt...

DWN
Finanzen
Finanzen SAP-Aktie: Milliarden gegen US-Dominanz
18.09.2025

SAP-Vorstand Thomas Saueressig gibt den Ton an: Mit einer Milliardenoffensive will er Europas digitale Selbstständigkeit sichern – von...

DWN
Politik
Politik Frankreich-Proteste: Hunderttausende gegen Sparpläne und Regierung
18.09.2025

Hunderttausende Menschen ziehen durch Frankreichs Straßen, Schulen und Bahnen stehen still. Die Wut über Macrons Personalentscheidungen...

DWN
Politik
Politik Draghi warnt: EU verliert geopolitische Bedeutung – welcher Reformplan für Europa dringend nötig ist
18.09.2025

Mario Draghi rechnet ab: Die EU habe ihre geopolitische Bedeutung überschätzt und sei heute schlecht gerüstet für die globalen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Amazon fährt Investitionen in Deutschland hoch
18.09.2025

Amazon baut seine Dominanz in Deutschland massiv aus. Milliarden fließen in neue Standorte, Cloud-Infrastruktur und Künstliche...

DWN
Politik
Politik USA liefern wieder Waffen mit europäischem Geld
18.09.2025

Die USA nehmen Waffenlieferungen an die Ukraine wieder auf – doch diesmal zahlt Europa. Für Deutschland könnte das teuer und politisch...

DWN
Immobilien
Immobilien Immobilienmarkt Deutschland: Käufer kehren zurück, Zinsen steigen
18.09.2025

Der deutsche Immobilienmarkt lebt wieder auf. Mehr Käufer greifen zu, doch steigende Bauzinsen bremsen die Euphorie. Während die...