Trotz der weltweiten Ausbreitung der Corona-Pandemie hat Schweden seine Schulen, Sportstätten, Cafés, Bars und Restaurants durchgehend geöffnet gelassen. Während die meisten anderen Länder das wirtschaftliche Leben in großen Teilen lahmgelegt haben, hat die Regierung in Stockholm die Bürger schlicht dazu aufgefordert, verantwortungsbewusst zu handeln und eine Reihe von Richtlinien zu befolgen. So soll man zuhause bleiben, wenn man sich krank fühlt.
Doch in Schweden gibt es keine neuen Gesetze und keine Bußgelder für Personen, die sich unerlaubt treffen oder einander zu nahe kommen. Dennoch hat sich das Verhalten der Menschen geändert. So sind zum Beispiel Reisen von Stockholm nach Gotland - einem beliebten Urlaubsziel - nach Angaben des größten Mobilfunkbetreibers des Landes, Telia Company, am Osterwochenende um 96 Prozent zurückgegangen.
Dieser auf Freiwilligkeit beruhende Ansatz zur Bekämpfung der Coronavirus-Pandemie zeigt nach Ansicht des führenden Epidemiologen des Landes nun erste Erfolge. Laut Anders Tegnell, dem Architekten hinter der relativ entspannten Reaktion Schwedens auf Covid-19, deuten die neuesten Zahlen zu Infektionsraten und Todesfällen darauf hin, dass sich die Situation zu stabilisieren beginnt. "Wir befinden uns auf einer Art Plateau", sagte Tegnell gegenüber der schwedischen Nachrichtenagentur TT.
Zwar ist es noch zu früh für eine abschließende Einschätzung darüber, welche Strategie letztlich am wirksamsten ist - davor warnen auch die Experten in Schweden selbst. Doch angesichts des enormen wirtschaftlichen Schadens, der durch die strengen Maßnahmen in vielen anderen Ländern verursacht wird, hat der schwedische Ansatz weltweit großes Interesse geweckt.
Schweden hat - ähnlich wie Deutschland - ein relativ gut funktionierendes Gesundheitssystem. Zu keinem Zeitpunkt der Corona-Krise gab es hier bisher einen wirklichen Mangel an medizinischer Ausrüstung oder an Krankenhauskapazitäten. Die Zelte, die zur Notfallversorgung im ganzen Land aufgestellt wurden, haben meist vollkommen leer gestanden.
Zwar sind die Todeszahlen verschiedener Länder aufgrund abweichender Standards bei der Zählung nicht wirklich vergleichbar. Doch Stand Sonntag hat Schweden 1.540 Todesfälle in Verbindung mit Covid-19 gemeldet. Hochgerechnet auf die Bevölkerungszahlen ist das deutlich mehr als in Deutschland und als im übrigen Skandinavien. Es ist aber viel weniger als etwa in Italien, Spanien und Großbritannien.
Grippesaison kommt plötzlich zum Ende
Anders Tegnell räumt ein, dass Schweden kurzfristig mehr Infektionen haben könnte. Doch dafür drohe dem Land nicht das Risiko einer riesigen Infektionsspitze wie in den Nachbarländern. "Norwegen und Dänemark sind jetzt sehr besorgt, wie man diesen vollständigen Lock-Down beenden kann, ohne dass diese Welle sofort einsetzt, wenn die Lockerung beginnt", sagte er. Die Behörden wüssten, dass die Maßnahmen in Schweden funktionieren, da man als Nebeneffekt auch ein plötzliches Ende der Grippesaison verzeichnet hat.
Zudem könnte Schweden das Schlimmste nun bereits überstanden haben. "Der Trend, den wir in den letzten Tagen mit einer flacheren Kurve gesehen haben stabilisiert sich - wir haben viele neue Fälle, aber keinen täglichen Anstieg", sagte am Freitag Karin Tegmark Wisell, Leiterin der mikrobiologischen Abteilung der schwedischen Gesundheitsbehörde. "Wir sehen dasselbe Muster bei Patienten auf der Intensivstation."
Noch vor zwei Wochen war das Bild in Schweden erheblich düsterer, sodass Premierminister Stefan Lofven sagte, seine Regierung müsse ihr Vorgehen möglicherweise überdenken. Insbesondere beim Schutz der Menschen in Pflegeheimen traten klare Schwächen zum Vorschein, was zu den relativ höheren Todesraten beigetragen hat.
Ungewöhnlich für einen Politiker räumte Lofven sogar Versäumnisse ein. "Der Schutz für Menschen in der Altenpflege hätte besser sein müssen", sagte er letzte Woche. "Wir müssen uns genauer ansehen, was da schief gelaufen ist." Doch trotz der Fehler unterstützen die Schweden den entspannten Kurs ihres Premiers im Corona-Kampf, und seine persönliche Popularität ist in die Höhe geschnellt.
Schwedens Strategie führt voraussichtlich dazu, dass die Rezession in dem Land deutlich glimpflicher ablaufen wird, als im Rest Europas, zitiert Bloomberg den Ökonomen James Pomeroy von HSBC Global Research. Einige schwedische Besonderheiten könnten dem Land bei der Bewältigung der aktuellen Krise helfen.
So sind mehr als die Hälfte der schwedischen Haushalte Einpersonenhaushalte, sodass eine soziale Distanzierung leichter zu bewerkstelligen ist. Zudem arbeiten in Schweden mehr Menschen von zuhause als irgendwo sonst in Europa, und praktisch jeder hat Zugang zu schnellem Internet, was dazu beiträgt, dass große Teile der Arbeitskräfte auch außerhalb des Büros produktiv bleiben.