Mit der Corona-Pandemie dürfte sich die Nutzung von kontaktlosen Bezahlverfahren, Giro- und Kreditkarten sowie mobilem Zahlen per Smartphone beschleunigen, glauben Zahlungsexperten der Beratungsfirma Oliver Wyman.
Der Anteil von Barzahlungen nach Umsatz könnte bis 2025 auf 32 Prozent sinken, schreiben sie in einer am Sonntag veröffentlichten Studie. Zum Vergleich: Für das vergangene Jahr schätzen sie den Bargeld-Anteil auf 47 Prozent. Berücksichtigt wurden Käufe in Geschäften sowie im Online-Handel, die dort mit Karte oder etwa Paypal bezahlt wurden. “Eine Entwicklung, die mehrere Jahre dauern sollte, wird durch die Corona-Pandemie nun auf wenige Monate kondensiert”, zitiert die dpa Gökhan Öztürk, Partner bei Oliver Wyman. Wegen der Corona-Pandemie bieten Handelsketten, Restaurants und Geschäfte verstärkt Kartenzahlungen anstelle von Bargeld an, um Kontakt mit Beschäftigten an den Kassen und potenzielle Übertragungen zu vermeiden. Doch aus einem Faktencheck geht hervor, dass von Bargeld keine Corona-Infektionsgefahr ausgeht.
Die Bundesvereinigung Deutscher Geld- und Wertdienste (BDGW) wehrt sich ebenfalls gegen das gezielte Schlechtreden des Bargelds. Die BDGW wörtlich: “Die Anbieter unbarer Zahlungsmittel locken Händler mit Flatrates und verbesserten Zahlungsmodalitäten. Das Infektionsrisiko ist vorgeschoben, um auf bargeldlosen Zahlungsverkehr umzusteigen. Wer im Supermarkt einkauft und seine Karte aus dem Geldbeutel holt, ist nicht weniger gefährdet, als derjenige, der bar zahlt", sagte jüngst BDGW-Hauptgeschäftsführer Harald Olschok. Bei Kunden und dem Verkaufspersonal würden Ängste geschürt”, so der Verband.
Die Deutschen haben mit rund 235 Milliarden Euro mehr als doppelt so viel Bargeld in Banknoten zu Hause wie vor zehn Jahren, so Reuters. Gemessen an einer Bevölkerungszahl von 83 Millionen wären dies im Schnitt rund 2800 Euro pro Person. Über die Zahl von rund 235 Milliarden Euro in Banknoten nach knapp 102 Milliarden Euro im Jahr 2009 hatte zuerst die Bild-Zeitung berichtet.
Der Business Insider behauptet, dass “erste Tendenzen zu erkennen” seien, wonach die Bedeutung von Bargeld immer weiter abnimmt. Schweden wird als positives Gegenbeispiel zu Deutschland genannt, wo Bargeld angeblich ab dem Jahr 2023 überhaupt keine Rolle mehr spielen soll.
Für Deutschland gelten allerdings andere Maßstäbe. Denn nur 25 Prozent der Deutschen haben ihr Zahlungsverhalten im Verlauf der Corona-Krise geändert. “Wir können aus der aktuellen Momentaufnahme nur erkennen, dass - auch wenn es ernst wird, also in der Krise - Bargeld immer noch ein sehr beliebtes Zahlungsmittel des täglichen Gebrauchs ist”, sagte Bundesbank-Vorstand Johannes Beermann der Deutschen Presse-Agentur. “Unmittelbare Auswirkungen auf das mittelfristige Bezahlverhalten können wir aus der momentanen Situation nicht erkennen.” Die Nachfrage nach Scheinen und Münzen bei der Bundesbank ist Beermann zufolge nicht geringer geworden. Nach einem Anstieg zu Beginn der Pandemie hätten sich die Volumina jetzt wieder in etwa auf Vorjahresniveau eingependelt. Dagegen habe die Bundesbank Erkenntnisse, “dass im bargeldlosen Bereich, zum Beispiel bei Kreditkarten, die Zahlungsvolumina deutlich zurückgegangen sind. Das kann auch gar nicht anders sein, weil viele Geschäfte ja geschlossen sind”, sagte Beermann. Beermann betonte, es gebe keine Erkenntnisse, dass Verbraucher bei der Verwendung von Bargeld einem höheren Ansteckungsrisiko mit dem neuen Coronavirus ausgesetzt seien.
Die Stiftung Datenschutz führt aus: "Auch die Wirtschaftswissenschaft gab sich skeptisch: Von 184 im ifo-Ökonomenpanel im März befragten Volkswirtschaftsprofessoren hielten mehr als die Hälfte sogar wirtschaftliche Nachteile in der Folge von Bargeld-Einschränkungen für realistisch. Abgesehen von möglichen handfesten negativen Auswirkungen war es gleichwohl richtig, dass auch das Grundsätzliche betont wurde. So hatte es der F.A.Z.-Herausgeber Steltzner getan: ,In einer Welt, in der alles, was man kauft und konsumiert, verfolgt wird, gibt es keine Privatheit mehr, sondern herrscht die perfekte Kontrolle'."
Trotzdem kursieren in der Öffentlichkeit zahlreiche Berichte, die die Nutzung von Bargeld offenbar indirekt verächtlich machen sollen. Dadurch schwenken viele auf die Linie der EZB-Chefin Christine Lagarde ein, die das Bargeld abschaffen möchte. Stattdessen unterstützt sie den Gedanken, dass Notenbanken digitale Währungen ausgeben sollen.
Fakt ist: Die Corona-Krise führt in vielen Ländern zu deutlich steigender Bargeld-Nachfrage. Das berichtete das Münchner Traditionsunternehmen Giesecke + Devrient (G+D), einer der weltweit führenden Banknotenhersteller. Vermehrte Anfragen der Zentralbanken in dieser Hinsicht kommen unter anderem aus Osteuropa, wie Vorstandschef Ralf Wintergerst sagte. Der Manager geht aber davon aus, dass zumindest ein Teil des Bargelds nicht zum Einkaufen genutzt, sondern von besorgten Bürgern gehortet wird: “Immer dann, wenn es unsicher ist, legen die Leute es auf die Seite. Das stellen wir auch jetzt wieder fest.”
Gleichzeitig arbeiten nach Wintergersts Angaben die Zentralbanken Chinas und mehrerer anderer Länder an der Ausgabe digitaler Währungen - wobei dies nicht im Zusammenhang mit der Corona-Krise steht. “Es könnte sein, dass die chinesische Zentralbank da sehr schnell ist, man hat dort sehr große Projekte”, sagte der Manager. “Die Anfragen sind sehr stark aus dem afrikanischen, aus dem Mittleren Osten und auch aus dem asiatischen Bereich.” Über konkrete Projekte dürfe G+D keine Auskunft geben, da das Unternehmen Vertraulichkeitserklärungen unterschrieben habe. Zur Kundschaft von Giesecke + Devrient zählen nach Firmenangaben weltweit 145 Zentralbanken, so die dpa.
Die Bargeldnutzung hat auch eine soziale Komponente. Info Sperber wörtlich: "In Dänemark ist es schon seit 2015 kleineren Läden erlaubt, die Annahme von Bargeld zu verweigern. Damit werden die Leute gezwungen, ein Bankkonto und eine Debitkarte zu haben. Was aber ist mit den Randständischen, den Armen und den Heimatlosen, den neu und noch arbeitslosen Zugewanderten? Was mit den Strassenmusikanten und den Bettlern, denen man gerne einen Franken oder einen Euro in den Hut legt?"
Nicht ohne Grund fragt Peter Frankl, Geschäftsführer der Deutschen Wirtschaftsnachrichten sowie Herausgeber von “Finance”, des führenden Wirtschaftsportals und Wirtschaftsmedien-Verlags von Slowenien, in einem deutlichen Meinungsartikel: “Das Bargeld gerät zunehmend ins Kreuzfeuer von Lobbyisten. Wollen wir seiner Abschaffung wirklich tatenlos zuschauen? In unseren Augen wäre es eine gute Idee, den Besitz von Bargeld als Recht im Grundgesetz zu verankern.”