Die Vereinten Nationen warnen davor, dass sich die Zahl der unterernährten Menschen wegen der Corona-Pandemie und ihrer wirtschaftlichen Folgen weltweit fast verdoppeln könnte. Das geht aus einem Bericht hervor, den das Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen (WFP) vergangene Woche in Rom vorstellte. Die Zahl der Menschen, die sich nicht ausreichend ernähren können, um gesund zu leben, oder die sogar Hunger leiden, könnte 2020 sprunghaft auf 265 Millionen Menschen anwachsen, heißt es darin.
Die Welt stehe kurz vor einer „Hunger-Pandemie“, warnte WFP-Chef David Beasley auch vor dem UN-Sicherheitsrat in New York. „821 Millionen Menschen gehen jede Nacht überall auf der Welt hungrig zu Bett“, sagte er. Weitere 135 Millionen seien existenzieller Sorge wegen der Knappheit von Nahrung ausgesetzt, noch einmal 130 Millionen könnten am Ende des Jahres vor dem Hungertod stehen. „Wenn wir uns jetzt nicht vorbereiten und handeln - um den Zugang (zu Hungerleidenden) zu sichern, Finanzierungs- und Handelsengpässe zu vermeiden - könnten wir innerhalb weniger Monate mehreren Hungersnöten von biblischem Ausmaß ausgesetzt sein“.
Unter der drastischen Verschlechterung ihrer Ernährungslage durch die Folgen der Corona-Krise dürften besonders Menschen in ärmeren Staaten leiden. „Wir müssen jetzt gemeinsam handeln, um die Auswirkungen dieser globalen Katastrophe zu mildern“, forderte der WFP-Experte Arif Husain anlässlich der Vorstellung des Berichts in Rom.
Die Prognosen für die Entwicklung durch die Covid-19-Krankheit stehen in einem Sonderbericht zum Gesamtüberblick der weltweiten Ernährungskrisen 2019, die das WFP zusammen mit anderen Organisationen präsentierte. Danach wussten im Vorjahr besonders viele Menschen im Jemen, in der Demokratischen Republik Kongo und in Afghanistan nicht, wo sie die nächste Mahlzeit herbekommen sollten. Die weltweite Gesamtzahl von 135 Millionen Menschen, die von Ernährungskrisen betroffen sind, sei schon 2019 die höchste in vier Jahren gewesen, hieß es.
Hilfsorganisationen warnten besonders vor einer Verschärfung der Lage in Westafrika, wo etliche Konflikte herrschen. Die Corona-Krise „trifft mit voller Wucht auf eine bereits sehr fragile Ernährungssituation“, teilten Oxfam, Care und weitere Organisationen mit. Die Vorräte der vergangenen Ernte gehen demnach zu Ende und wegen der Covid-Restriktionen in vielen Ländern steigen Preise und etliche Grundnahrungsmittel seien nicht verfügbar. Die Organisationen forderten Maßnahmen, „um besonders gefährdete Personen zu schützen und die Nahrungsmittelproduktion in der Region sicherzustellen“.
Weil bedeutende Exporteure von Grundnahrungsmitteln wie Reis oder Weizen ihre Exporte in den vergangenen Wochen eingeschränkt hatten, kommt es derzeit zum Bruch zahlreicher Lieferketten auf dem internationalen Markt für Nahrungsmittel und die Preise für Reis oder Getreide steigen in der Folge stark an.
Verschärft wird die angespannte Situation noch durch eine seit Wochen in Ostafrika wütende Heuschreckenplage. Angesichts der sich ausbreitenden Plage hatte Bundesentwicklungsminister Gerd Müller die Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation (FAO) der Vereinten Nationen zu mehr Engagement aufgefordert. „Die FAO muss den Kampf gegen die Heuschreckenplage verstärken“, sagte der CSU-Politiker der Deutschen Presse-Agentur. „Sie muss jetzt entschlossen handeln, um eine Ausbreitung der Schwärme zu verhindern.“ „Die Heuschreckenplage darf nicht zu einer neuen Hungersnot und Vertreibung führen“, sagte der Entwicklungsminister. „Die Menschen brauchen Lebensmittel, Saatgut und Viehfutter, um ihr Überleben sichern zu können.“
Die FAO bezeichnet die Situation in Afrika als „extrem alarmierend“. In Staaten wie Kenia und Somalia formierten sich neue Schwärme. Betroffen sind den Angaben zufolge in Afrika auch Äthiopien, Uganda, der Kongo, der Sudan, der Südsudan und Eritrea. Doch auch nach Pakistan, Indien und die arabische Halbinsel sind die Tiere inzwischen vorgedrungen. „Die Heuschreckenplage wird total unterschätzt. Das ist die größte Plage seit Jahrzehnten, manche sagen sogar seit Menschengedenken“, betonte der Entwicklungsminister. Es gebe Schätzungen der FAO, dass bereits 500 000 Hektar Land betroffen seien, die kahl gefressen würden und nicht mehr bewirtschaftbar seien. „Das Dramatische ist die Voraussage, dass die Schwärme noch zwanzig Mal größer werden können. Die Folge ist: Es fehlt an Lebensmitteln, an Viehfutter und es gibt Hunger, Not und Elend.“