Politik

Türkei führt Wende im Libyen-Konflikt herbei

Türkische Drohnen sollen in den vergangenen Tagen zahlreiche Luftabwehrsysteme des libyschen Söldner-Generals Haftar zerstört haben. US-Medien führen aus, dass die Türken eine Wende im Libyen-Konflikt herbeigeführt hätten. Die USA und die Nato schlagen sich auf die Seite der Türken.
22.05.2020 16:11
Aktualisiert: 22.05.2020 16:11
Lesezeit: 4 min
Türkei führt Wende im Libyen-Konflikt herbei
Die militärische Lage in Syrien (Kampfgebiete in rot). (Foto: dpa)

Nachdem die von der Türkei koordinierten libyschen Regierungstruppen in den vergangenen Tagen den Luftwaffenstützpunkt Watiya und alle umliegenden Gebiet von der Söldner-Armee Libyan National Army (LNA) erobert hatten, rückten sie auf die Stadt At Talaiyah vor, um alle noch südwestlich von Tripolis stationierten LNA-Streitkräfte abzuschneiden, wobei diese zweite Attacke von der LNA abgewehrt wurde. Die libyschen Truppen in Schlagdistanz zu Awlad Badr, einem wichtigen LNA-Stützpunkt südlich von Zawiya.

Ein weiterer Hotspot ist Tarhuana, wo Artilleriegefechte zwischen libyschen Regierungstruppen und der LNA stattfinden. Aus militärischer Sicht ist besonders auffällig, dass in den vergangenen Tagen neun Pantsir-S1-Luftverteidigungssysteme, die von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) an die LNA geliefert wurden, von türkischen Drohnen zerstört wurden. Auf dem Luftwaffenstützpunkt Watiya wurden zwei Systeme unschädlich gemacht. Türkische Bayraktar TB2-Kampfdrohnen trafen auch LNA-betriebene Systeme in der Nähe von Sirte, Tarhuna und al-Wishka. Türkischen Medienberichten zufolge wurden seit April 2019 15 Luftwaffensysteme der LNA zerstört.

Ankara verstärkt die Verteidigung von Tripolis mit zusätzlichen Luftverteidigungssystemen, elektronischen Kriegssystemen und Bayraktar TB2-Drohnen. Die Systeme werden von türkischen Militärs betrieben. Einen zusätzlichen Schutz für die libyschen Regierungstruppen bieten türkische Kriegsschiffe vor der Küste Libyens.

Am 21. Mai 2020 behauptete der Chef der LNA-Luftwaffe, Saqr al-Jaroushi, dass die “größte Luftkampagne in der libyschen Geschichte” gegen die libyschen Truppen gestartet wurde, berichtet Bloomberg. “Sie werden in den kommenden Stunden die größte Luftkampagne in der libyschen Geschichte sehen. Alle türkischen Positionen in allen Städten sind legitime Ziele für unsere Luftwaffenjets, und wir fordern die Zivilbevölkerung auf, sich von ihnen fernzuhalten”, so al-Jaroushi.

Direkt nach der Ankündigung des LNA-Luftwaffenchefs hatten libysche Regierungstruppen Wamis/Al-Mashashiyah erobert. Sie rückten anschließend auf der Wüstenstraße vor, die aus dem Süden nach Al-Rujban und Al-Zintan führt.

Der lokale Stammesrat von Al-Araban und der Gemeinderat von al-Urban (östlich von Gharyan) entschieden sich, den libyschen Truppen kampflos zu ergeben. Die Al Shiqaqa-Kreuzung wurde ebenfalls von den Regierungstruppen eingenommen. Der libysche Analyst Mohamed Buisier behauptet, dass Haftar bis zum Ende des aktuellen Jahres besiegt wird: “Haftars Kampagne geht zu Ende: Der Kriegsherr wird bis Ende dieses Jahres und vielleicht sogar vorher von der Leinwand verschwinden. Die Stämme Ostlibyens haben begonnen, Haftar zu verlassen, nachdem sie erkannt haben, dass sein Weg in eine Sackgasse führt. Dies ist der Beginn einer Rebellion gegen Haftar.”

Am Freitagvormittag des 22. Mai 2020 gingen die Regierungstruppen dazu über, die Küstenstraße vom Qasr-Khiyar-Gebiet nach Al-Quway'a zu sperren, um die Sicherheit der Bürger zu gewährleisten.

Die New York Times berichtet, dass die Türkei mit einer Reihe von schnellen erfolgreichen Schlägen den Verlauf des Libyen-Konflikts gedreht hat. Russland und die VAE, die beide die LNA unter der Führung des Söldner-Generals Chalifa Haftar unterstützen, würden nun vor einer schweren Wahl stehen. Das European Council on Foreign Affairs (ECFR) berichtet, dass sich die Türkei in Libyen durchgesetzt habe. "Die neue Durchsetzungskraft der Türkei ist eine direkte Folge des Scheiterns der Berliner Konferenz im Januar. Die deutsche Initiative sollte internationale Akteure auf einen politischen Weg aus dem Morast in Libyen bringen, trug jedoch wenig dazu bei, die massive Mobilisierung der Vereinigten Arabischen Emirate zur Unterstützung von Haftar zu verhindern. Ankara hat nun die feste Absicht bewiesen, Haftar aus Tripolis und Umgebung zu entfernen", so das ECFR.

Aus libyschen Regierungskreisen und LNA-Kreisen geht hervor, dass Russland sechs MiG-29-Jets und zwei Su-24-Jets zum Luftwaffenstützpunkt Al Jufra in Zentrallibyen verlegt haben soll, so Bloomberg. Moskau hat die Verlegung noch nicht offiziell bestätigt. Allerdings geht aus Satellitenfotos vom 19. Mai 2020 hervor, dass sich mindestens ein Jet des Typs MiG-29 sich in Al Jufra befindet. Der libysche Innenminister Fathi Bashaga bestätigt nach Angaben des Libya Observers diese Berichte.

Da die LNA wahrscheinlich das geschulte Personal, die Ausrüstung und die Finanzen fehlen, um moderne Kampfflugzeuge effektiv zu warten und zu betreiben, besteht eine erhebliche Wahrscheinlichkeit, dass solche Flugzeuge von russischen Militär- oder Söldnerpiloten besetzt und gewartet werden.

Im Inventar der LNA befinden sich unter anderem Drohnen des Typs Wing Loong II mit lasergelenkten Blue Arrow-Raketen, die von den VAE geliefert wurden. Obwohl der Wing Loong II theoretisch einen Betriebsradius von 932 Meilen hat, ist seine Direktbefehlsverbindung auf 124 Meilen begrenzt. Dies kann die Fähigkeit der LNA beeinträchtigen, da Al Jufrah etwa 300 Meilen von Tripolis entfernt ist. Die Wing Loong II kann jedoch auch über eine Satellitenverbindung über größere Entfernungen gesteuert werden.

Buisier meint, die USA sehen Haftar nun als Bedrohung für ihre nationalen Interessen. “Mit der zunehmenden russischen Präsenz in Libyen stellen wir fest, dass die Amerikaner Haftar jetzt als Bedrohung für ihre strategischen Interessen betrachten”, so der Analyst. Buisier wörtlich: “[Jede russische Präsenz in Libyen] ist eine Bedrohung für Südeuropa, insbesondere für Griechenland, Italien und Frankreich, die von den Amerikanern nicht akzeptiert werden kann.”

Die USA würden sich nun der türkischen Linie annähern, zumal Haftar es versäumt habe, die französische, russische, emiratische, ägyptische und saudische Unterstützung zur Eroberung von Tripolis zu nutzen. Damit sei klar geworden, auf welcher Seite sich Washington positionieren müsse. Die US-Regierung würde nun Druck auf die VAE ausüben, um die Unterstützung für Haftar zu drosseln.

Dass sich der Wind in Libyen zugunsten der Türkei gewendet hat, erklärt auch, warum die Nato in Abstimmung mit dem türkischen Verteidigungsministerium dazu entschieden hat, Kontakt zur libyschen Regierung aufzunehmen. Am 16. Mai sagte Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg in Bezug auf eine mögliche Unterstützung der Nato, die Nato sei weiterhin bereit, Libyen beim Aufbau seiner Verteidigungs- und Sicherheitsinstitutionen zu unterstützen, wie dies von den Staats- und Regierungschefs der Nato im Jahr 2018 und auf Ersuchen der libyschen Regierung festgelegt wurde. Die Nato-Hilfen für Libyen werde die politischen und sicherheitspolitischen Bedingungen berücksichtigen.

In einer weiteren Ansprache sagte Stoltenberg, dass für Libyen ein Waffenembargo gelte. Doch dies bedeute nicht, Haftar und die libysche Regierung auf derselben Ebene zu behandeln, zumal die Regierung die einzige von der UN anerkannte Partei im Libyen-Konflikt ist. “Aus diesem Grund ist die Nato bereit, die Regierung von Tripolis zu unterstützen”, so Stoltenberg.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Technologie
Technologie KI als Mobbing-Waffe: Wenn Algorithmen Karrieren zerstören
13.07.2025

Künstliche Intelligenz soll den Arbeitsplatz smarter machen – doch in der Praxis wird sie zum Spion, Zensor und Karriere-Killer. Wer...

DWN
Finanzen
Finanzen Geldanlage: Keine reine Männersache – Geschlechterunterschiede beim Investieren
13.07.2025

Obwohl Frauen in sozialen Medien Finanzwissen teilen und Banken gezielt werben, bleibt das Investieren weiterhin stark männlich geprägt....

DWN
Unternehmen
Unternehmen Renault: Globales KI-System soll helfen, jährlich eine Viertelmilliarde Euro einzusparen
13.07.2025

Produktionsstopps, Transportrisiken, geopolitische Schocks: Renault setzt nun auf ein KI-System, das weltweite Logistik in Echtzeit...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Kaffeepause statt Burn-out: Warum Müßiggang die beste Investition ist
12.07.2025

Wer glaubt, dass mehr Tempo automatisch mehr Erfolg bringt, steuert sein Unternehmen direkt in den Abgrund. Überdrehte Chefs,...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Europas Kapitalmarktunion im Rückstand: Banker fordern radikale Integration
12.07.2025

Europas Finanzelite schlägt Alarm: Ohne eine gemeinsame Kapitalmarktunion drohen Investitionen und Innovationen dauerhaft in die USA...

DWN
Immobilien
Immobilien Bauzinsen aktuell weiterhin hoch: Worauf Häuslebauer und Immobilienkäufer jetzt achten sollten
12.07.2025

Die Zinsen auf unser Erspartes sinken – die Bauzinsen für Kredite bleiben allerdings hoch. Was für Bauherren und Immobilienkäufer...

DWN
Finanzen
Finanzen Checkliste: So vermeiden Sie unnötige Kreditkarten-Gebühren auf Reisen
12.07.2025

Ob am Strand, in der Stadt oder im Hotel – im Ausland lauern versteckte Kreditkarten-Gebühren. Mit diesen Tricks umgehen Sie...

DWN
Technologie
Technologie Elektrische Kleinwagen: Kompakte Elektroautos für die Innenstadt
12.07.2025

Elektrische Kleinwagen erobern die Straßen – effizient, kompakt und emissionsfrei. Immer mehr Modelle treten an, um Verbrenner zu...