Die Bundesregierung hatte sich im Verlauf der Corona-Krise – nach anfänglichem Zögern – zunächst als agil und handlungsfähig sowie als durchaus innovativ erwiesen. Es wurden Maßnahmen durchgeführt, um den heraufziehenden Konjunktureinbruch, der durch die Bekämpfung der Pandemie ausgelöst worden war, abzudämpfen. Die massive Ausweitung und zusätzliche Finanzierung der Kurzarbeit, Garantien für Bankkredite zur Liquiditätssicherung an Unternehmen sowie die soziale Sicherung verschiedener Gruppen standen dabei im Vordergrund. Diese Woche nun schnürte die Bundesregierung ein Konjunkturpaket, um die Wirtschaft nach der Öffnung wieder in Fahrt zu bringen. Die Details wurden in zweitägigen Koalitionsgesprächen in dieser Woche festgelegt. Die folgende Analyse versucht, die Logik aufzuzeigen und auf mögliche Defizite hinzuweisen. Hauptkritikpunkt: Es gibt zu wenig Stimulus, zu viele der Maßnahmen beschränken sich auf reine Schadensminimierung.
Nach wochenlangen Vorbereitungen und zweitägigen Verhandlungen haben die Koalitionsspitzen am Donnerstag ein Papier veröffentlicht, das die geplanten Maßnahmen detailliert auflistet. In der Summe wird ein Volumen von 130 Milliarden Euro gewährt, in Form von Steuerkürzung sowie als Ausgaben beziehungsweise Zuschüsse für eine Reihe von privaten und öffentlichen Aktivitäten.
Zur Einordnung: 130 Milliarden Euro, einfach als Summe gerechnet, entsprechen rund 3,8 Prozent des deutschen Bruttoinlandsprodukts von 2019. Dabei werden – genau lässt es sich nicht rechnen – rund 2,4 Prozent im Jahr 2020, rund ein Prozent 2021 sowie circa 0,3 Prozent in den Folgejahren ausgegeben. Damit relativiert sich bereits die Größenordnung. Sie erscheint substantiell für die zweite Jahreshälfte 2020, aber gar nicht mehr so viel für das Jahr 2021 und die folgenden Jahre. Das ist kein gewaltiges Konjunkturpaket, wie es verkauft wird und wie man es auf den ersten Blick denken könnte.
Dieser Eindruck verstärkt sich noch, wenn man die Details analysiert. Die größte Einzel-Position umfasst Beihilfen von maximal 25 Milliarden, die bis Ende November 2020 gewährt werden. Sie werden an kleine und mittlere Unternehmen ausbezahlt, welche als Folge des Lockdowns hohe Umsatzeinbußen gegenüber dem Vorjahr erlitten haben. Diese Beihilfen gehen an Gaststätten, Hotels, Caterer, Clubs, Bars, Reisebüros, Profisportvereine der unteren Ligen, Sozialeinrichtungen, Veranstaltungs-Logistiker und eine Reihe von Unternehmen anderer Branchen. Dieser größte Betrag ist also eine zeitlich eng befristete Überlebenshilfe an Unternehmen, die von den Pandemie-Maßnahmen schwer gezeichnet sind. Die Hilfe ist sinnvoll und gerechtfertigt, aber sie bedeutet in keiner Weise eine echte zusätzliche Stimulierung der Nachfrage. Darüber hinaus ist sie auch restriktiv gestaltet. Wenn in der Sommersaison der Rückgang nur 40 Prozent gegenüber dem Vorjahr beträgt statt der vom Staat geforderten 50 Prozent, gibt es keine Hilfen. Im Charakter ist es also eine Ausgabe, die in der Sprache der Makroökonomie einem Stabilisator entspricht, aber nicht einem konjunkturellen Impuls.
Die zweite große Position umfasst eine Absenkung des allgemeinen Mehrwertsteuersatzes von 19 auf 16 Prozent sowie für Lebensmittel von 7 auf 5 Prozent. Sie kommt effektiv einem Konjunktur-Impuls gleich; weil sie jedoch auf die Zeit von Juli bis Dezember 2020 begrenzt ist, dürfte es sich nur um einen geringen Impuls handeln. Ab Januar 2021 gelten wieder die alten Mehrwertsteuersätze, eine Verlängerung wird ausgeschlossen. Insgesamt wird diese – vorübergehende –Steuersenkung auf 20 Milliarden Euro veranschlagt. Ob damit der Konsum kräftig angestoßen wird, erscheint deshalb mindestens ungewiss, eher schon zweifelhaft.
Bei einer solchen vorübergehenden Steuersenkung für wenige Monate stellen sich unmittelbar Fragen: Werden Produzenten und/ oder der Einzelhandel überhaupt ihre Verkaufspreise anpassen, oder werden sie einfach temporär ihre Margen erhöhen und dafür spezielle Rabatte für jene Produkte geben, welche bedingt durch den Lockdown zu Ladenhütern zu werden drohen?
Und noch eine Frage: Werden die Verbraucher ihr eingespartes Geld wirklich sofort wieder in den Konsum stecken, oder werden sie es aus Angst oder Vorsicht einfach sparen? Vorstellbar ist, dass vor allem Gutsituierte die Käufe teurer Güter vorziehen, die dann 2021 nicht stattfinden werden. Ähnliche Fragen beziehen sich auch das einmalige Kindergeld von 300 Euro pro Kind. Es kostet den Steuerzahler rund 4,3 Milliarden Euro.
Vorübergehende Steuerkürzungen und einmalige Transferleistungen an Haushalte sind Thema langer Diskussionen in der Makroökonomie. Es ist empirisch keineswegs gesichert, dass dabei wie angestrebt ein substantieller Ausgabeneffekt eintritt. Wenn mit einer Mehrwertsteuer-Reduktion operiert wird, was an sich sozial gerechtfertigt und wirtschaftlich effektiv ist, wäre es besser, dies für ein bis zwei Jahre zu tun, statt nur für sechs Monate. So wie sie im Koalitionspapier ausgestaltet ist, privilegiert sie eher vorgezogene hochpreisige Käufe.
Wahrscheinlich ist die Mehrwertsteuer-Reduktion bewusst gewählt worden, weil nämlich auf eine spezifische Kaufprämie für alle Autos verzichtet wird. Das ist insofern eine Überraschung, weil die Autoindustrie heftig dafür geworben hatte. Es werden aber für den Kauf von Elektroautos zusätzliche 3.000 Euro Bundesbeiträge gewährt. Zudem sollen zusätzliche Ladestationen finanziert werden. Das Schwergewicht bei der Auto-Förderung liegt also auf einer Strukturverlagerung Richtung Elektrifizierung und weniger auf einem generellen Nachfrage-Impuls. Die Prämie betrifft nämlich nur ein kleines Segment von rund fünf Prozent der Autoverkäufe.
In eine ähnliche Kategorie wie die Unterstützung für hart getroffene kleine und mittlere Unternehmen gehören Transferleistungen und Zahlungen an öffentliche Haushalte wie an Gebietskörperschaften und für Sozialversicherungen. Es sind im Charakter Stabilisatoren, die aber keine zusätzliche Endnachfrage entfachen werden. Sie verhindern aber unwillkommene Erhöhungen der Steuern oder Beitragssätze, die sich aus der Corona-Krise ergeben. Darüber hinaus sind es bis auf die EEG-Finanzierung Transferzahlungen innerhalb verschiedener öffentlicher Haushalte, die keinerlei Wirkung auf die Endnachfrage ausüben.
- Den Kommunen werden vom Bund und den zuständigen Ländern zur Hälfte die Steuerausfälle bei der Gewerbesteuer für die Jahre 2020 rückvergütet (Anteil Bund: 5,9 Milliarden Euro). Aber: Damit wird primär den wohlhabenden, mit einem hohen Steueraufkommen aus der Gewerbesteuer versehenen Kommunen geholfen. Der Verzicht auf einen Altschulden-Fonds bedeutet, dass finanzschwächere Gemeinden weiterhin keine Investitionen tätigen können und sogar sparen müssen. Die einzige Wirkung ist im Grunde also die, dass die finanzstarken Kommunen nicht sofort auf die Ausgaben-Bremse treten müssen. Aber damit werden keine kommunalen Neuinvestitionen angestoßen.
- Der riesige Aufwand für die die Kurzarbeit und bald für die Arbeitslosigkeit sowie die drastisch reduzierten Beitragszahlungen würden die Sozialversicherungen heftig ins Minus bringen. Um konjunkturell unwillkommene Erhöhungen der Beitragssätze zu vermeiden, übernimmt der Bund bis Ende 2021 die anfallenden Defizite (2020: 5,3 Milliarden Euro, 2021 noch unbekannt). Wiederum: Das ist eine stabilisierende, keine impulsgebende Maßnahme, um negative konjunkturelle Folgewirkungen der Pandemie-Rezession zu vermeiden. Sie ist korrekt, aber sie wird keine zusätzliche Endnachfrage stimulieren, sondern nur Rückgänge bei Konsum und Exporten wegen möglicher Erhöhungen der Beitragssätze verhindern.
- Die EEG-Zulage für 2021 würde wegen des Wirtschaftseinbruchs und der stark rückläufigen Börsen-Strompreise stark ansteigen. Um dadurch anfallende Strompreis-Erhöhungen für die Endkunden zu verhindern, wird der Bund die Kosten übernehmen (elf Milliarden Euro). Wiederum: Damit werden die Strompreise nicht gesenkt, es werden nur die aufgrund der Corona-Krise fälligen zusätzlichen Strompreis-Erhöhungen verhindert.
- Der Bund wird die Bundesländer für die Corona-bedingten Einbrüche im öffentlichen Nahverkehr 2020 mit 2,5 Milliarden Euro entschädigen. Damit sollen Leistungskürzungen und/oder Tariferhöhungen verhindert werden.
Neben diesen großen Ausgabenposten, die eigentlich nichts anderes sind als diskretionär gewählte Stabilisatoren, gibt es eine Vielzahl von einzelnen kleineren Fördermaßnahmen, die den Charakter von Konjunktur-Impulsen haben können. Ihr Volumen ist aber quantitativ begrenzt. Hervorgehoben zu werden verdienen vor allem zusätzliche Ausgaben für das Gesundheitswesen: Hier sollen rasch die Lücken geschlossen werden, die sich bei der Pandemie offenbart haben. Krankenhaus-Kapazitäten und -Einrichtungen sollen modernisiert, qualifiziertes Personal ausgebaut sowie Investitionen in die Impfstoff-Forschung und -Herstellung vorgenommen werden. Auch soll die inländische Versorgung mit Ausrüstungen für eine Pandemie sichergestellt werden.
Die wichtigsten anderen Positionen betreffen Gelder für die Digitalisierung von Verwaltung und Privatwirtschaft, für eine Nationale Wasserstoff-Strategie, für zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen, für die Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Wirtschaft sowie für einen raschen Ausbau des 5G-Netzes. Sie erscheinen mehrheitlich sinnvoll, sind aber auch nicht zeitlich so stark auf 2020 oder 2021 konzentriert.
Summa summarum: Die 130 Milliarden Euro sind eine Kombination von mehrheitlich stabilisierenden oder verlustmindernden Ausgleichszahlungen für den Corona-bedingten Wirtschaftseinbruch sowie von wenigen echten Nachfrage-Impulsen. Es sind mehrheitlich diskretionäre und nicht automatische Stabilisatoren, weil die Pandemie im Charakter und im Ausmaß außerordentliche Einbrüche und Verluste hervorgebracht hat. Das ist nichts Abwertendes, sondern im Gegenteil durchaus angebracht. Doch es ist zu wenig. Der größte geplante Neuimpuls für 2020 ist dabei in der Nachfragewirkung fraglich, weil er zeitlich zu kurz angesetzt und deswegen mit geringem Multiplikator-Effekt verbunden ist. Andere Impulse sind vorhanden, verteilen sich aber über längere Perioden. Darüber hinaus fehlt ein großes öffentliches Infrastruktur-Investitionsprogramm, das ohnehin seit langem überfällig erscheint.
Die deutsche Konjunktur bleibt somit im Charakter stark vom Export abhängig. Ob und wann ein kräftiger Konjunkturaufschwung einsetzen wird, wird mehr von der Weltkonjunktur bestimmt als von effektiven Konjunktur-Impulsen in Deutschland. Sicher ist: Mit diesem Programm wird die Konjunktur in Europa nicht genügend entfacht, dazu sind die Impulse viel zu schwach. Und weil in Europa ungefähr das gleiche gemacht wird wie in Deutschland, quantitativ aber viel bescheidener, wird es nicht für eine zügige Export-Erholung ausreichen.