Politik

Risse in der Nato: Erdogan blockiert Militärstrategie für Osteuropa

Die türkische Regierung erpresst Medienberichten zufolge andere Nato-Partner, um nationale Politikziele zu erreichen.
15.06.2020 10:53
Aktualisiert: 15.06.2020 10:53
Lesezeit: 2 min
Risse in der Nato: Erdogan blockiert Militärstrategie für Osteuropa
04.12.2019, Großbritannien, Watford: Jens Stoltenberg, Nato-Generalsekretär (l-r), geht neben US-Präsident Donald Trump, Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), und Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei, zur Arbeitssitzung des Nato-Gipfels. (Foto: dpa) Foto: Michael Kappeler

Die Türkei blockiert in der Nato die Umsetzung von neuen Verteidigungsplanungen für Osteuropa. Nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur will Ankara der Arbeit mit den geheimen Dokumenten erst dann zustimmen, wenn die Bündnispartner der Türkei im Gegenzug eine stärkere Unterstützung ihrer Interessen zusichern. Die Türkei fordert beispielsweise, die Kurdengruppen PYD und YPG als Terrororganisationen einzustufen. Etliche Bündnispartner lehnen das ab.

Brisant ist die Blockade vor allem, weil die Verteidigungsplanungen („Graduated response plans“ - GRP) ein Schlüsselelement der Abschreckungsmaßnahmen der Nato gegen Russland sind. Sie geben zum Beispiel detailliert vor, wie bedrohte Alliierte im Krisen- oder Angriffsfall unterstützt werden sollen. Dazu werden beispielsweise konkrete Alarmierungszeiten für die superschnelle Nato-Eingreiftruppe (VJTF) festgelegt.

Beim Nato-Gipfel im vergangenen Dezember in London hatte es zuletzt eigentlich so ausgesehen, als sei der Weg für die neuen Pläne frei. Man habe sich auf den aktualisierten Plan für die baltischen Staaten und Polen geeinigt, verkündete Nato-Generalsekretär Jens Stoltenberg damals in der Abschlusspressekonferenz. Dies zeige, dass man in der Lage sei, voranzukommen. Was Stoltenberg damals nicht sagte: Der Plan muss noch promulgiert, also zur Verwendung freigegeben werden. Auch dafür ist eine einstimmige Entscheidung aller Nato-Partner erforderlich. Diese blockiert die Türkei bislang.

Die Nato-Zentrale wollte sich zu dem Thema auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur nicht äußern. Ein Sprecher sagte lediglich, das Bündnis habe Pläne zur Verteidigung aller Alliierten. Zu Details könne man sich aus Geheimhaltungsgründen nicht äußern. Ein Sprecher der türkischen Vertretung teilte mit: „Wir halten es nicht für angebracht, dass Themen, die für die Allianz von sensibler und vertraulicher Natur sind, Gegenstand von Presseartikeln werden.“

Besonders für die baltischen Staaten dürfte der bündnisinterne Streit bitter sein. Sie hatten den neuen GRP bereits im Dezember als lange überfälligen Schritt bezeichnet. „Wenn wir die gleiche Sicherheit für die Bürger aller Nato-Mitgliedstaaten wollen, muss dieser Plan gelten“, sagte der lettische Verteidigungsminister Artis Pabriks damals der lettischen Nachrichtenagentur Leta. Er lege für die ganze Allianz konkrete Vorbereitungen für den Krisenfall fest und werde es auch erlauben, auf das Thema einer möglichen Truppenaufstockung im Baltikum zurückzukommen.

Für Unverständnis sorgte vor einigen Monaten zudem die Entscheidung Präsident Erdogans, russische Boden-Luftraketen vom Typ S-400 zu erwerben. Die US-Regierung blockierte daraufhin den versprochenen Verkauf neuartiger F35-Kampfjets.

Erpressung gehört für die Regierung in Ankara zum Standardrepertoire: So wird auch die EU seit Jahren faktisch mit der Drohung um Geld erpresst, dass man die Schleusen für Migranten nach Europa öffnen werde. Diese Tatktik scheint aufzugehen: So will die EU die Gelder für Flüchtlinge in der Türkei aufstocken. Wie die Zeitungen der Funke-Mediengruppe berichteten, will die EU-Kommission weitere 485 Millionen Euro bereitstellen, um zwei zentrale Projekte für die Unterstützung von Flüchtlingen weiter zu finanzieren. Die Gelder sollen demnach zusätzlich zu den sechs Milliarden Euro gezahlt werden, die die EU im Flüchtlingsabkommen mit der Türkei von 2016 zugesagt hatte.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Finanzen
Finanzen Goldpreis aktuell weiter auf hohem Niveau: Kurs steigt deutlich über 4.100 Dollar – Blick geht zur Fed
25.11.2025

Der Goldpreis zieht weiter an und überschreitet wieder wichtige Marken. Doch hinter dem jüngsten Sprung stehen mehr als nur kurzfristige...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Großprojekt Suedlink: Baubeginn trotz jahrelanger Debatten
25.11.2025

Nach jahrelangen Diskussionen fällt heute im thüringischen Wasungen der offizielle Startschuss für den Bau der Stromautobahn Suedlink,...

DWN
Politik
Politik Putins Risikooffensive: Warum 2027 zum Wendepunkt für Europa werden kann
25.11.2025

Ein zunehmend risikofreudiger Kreml und eine bröckelnde amerikanische Schutzgarantie treffen auf ein Europa, das gefährlich unvorbereitet...

DWN
Politik
Politik G20 in Afrika: Geschlossenheit trotz US-Abwesenheit – Signal für Frieden und Entwicklung
24.11.2025

Beim ersten G20-Gipfel auf afrikanischem Boden bleibt der Platz der USA demonstrativ leer – doch die übrigen Mitglieder setzen ein...

DWN
Panorama
Panorama Abnehmwirkstoff ohne Alzheimer-Erfolg: Novo-Nordisk-Studie enttäuscht Anleger
24.11.2025

Der Pharmakonzern Novo Nordisk hat mit seinem Abnehmmittel Semaglutid in einer Alzheimer-Studie einen Rückschlag erlitten. Die...

DWN
Finanzen
Finanzen Marktrisiko: Weshalb Topinvestoren jetzt Alarm schlagen
24.11.2025

Die jüngsten Kursstürze an den Märkten zeigen, wie angespannt die Lage geworden ist. Während Anleger nervös auf jede Bewegung...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Konjunkturtrübung: Ifo-Index sinkt überraschend – Hoffnungen auf Erholung schwinden
24.11.2025

Die Stimmung in den deutschen Chefetagen hat sich unerwartet eingetrübt: Im November fiel das Ifo-Geschäftsklima auf 88,1 Punkte und...

DWN
Finanzen
Finanzen Bayer-Aktien auf Jahreshoch: Pharma-Erfolg mit dem Gerinnungshemmer Asundexian
24.11.2025

Nach Jahren des Abstiegs erlebt die Bayer-Aktie einen überraschenden Kursschub. Ein neuer Studienerfolg weckt Hoffnung auf...