Finanzen

Wie Europas Zentralbanken einen globalen Goldstandard vorbereiten - Teil 1

Lesezeit: 5 min
20.07.2020 10:06  Aktualisiert: 20.07.2020 10:06
Schon seit dem Ende von Bretton Woods streben die europäischen Zentralbanken einen neuen globalen Goldstandard an. Lesen Sie in Teil 1 dieser Serie, wie sich Europa auf die Zeit nach dem Dollar vorbereitet.
Wie Europas Zentralbanken einen globalen Goldstandard vorbereiten - Teil 1
Bundesbankpräsident Jens Weidmann in der Zentrale der Deutschen Bundesbank in Frankfurt. (Foto: dpa)
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Am 15. August 1971 setzte US-Präsident Richard Nixon das Abkommen von Bretton Woods außer Kraft. Dies bedeutete, dass die anderen Staaten für ihre Dollar nun kein Gold mehr von den USA erhielten. Die Staaten Europas mussten diesen klaren Vertragsbruch durch die USA damals hinnehmen, auch weil sie gar nicht in der Lage waren, die Einhaltung von Bretton Woods durch die Weltmacht USA mit militärischen oder anderen Mitteln durchzusetzen.

Aber auch wenn sich die Europäer in ihr Schicksal fügen mussten, von den USA um riesige Mengen Gold betrogen worden zu sein, so war es den europäischen Zentralbanken damals offenbar durchaus bewusst, dass die Abkopplung des Dollars vom Gold und damit die Schaffung eines reinen Fiat-Geldsystems im globalen Maßstab letztlich zum Scheitern verurteilt war. Denn im Geheimen arbeiteten sie von nun an an einem Folgesystem für die Zeit nach dem Dollar, das erneut auf Gold basieren sollte.

Nach der unilateralen Aufkündigung von Bretton Woods durch die USA wurde mehrere Jahre über ein Folgesystem verhandelt. Die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft (EWG) veröffentlichte 1973 einen Artikel in der New York Times, worin es heißt: "Europa wird sich für eine Einigung über eine internationale Währungsreform einsetzen, um ein gerechtes und dauerhaftes System zu erreichen, das die Interessen der Entwicklungsländer berücksichtigt."

Die Schaffung eines "gerechten" Währungssystems

Nach Ansicht des finnischen Goldanalysten Jan Nieuwenhuijs war es den Verantwortlichen der EWG damals wirklich ernst mit ihrer Forderung nach einem "gerechten" Währungssystem. Dies sei auch der Grund dafür gewesen, dass die europäischen Zentralbanken in den 1990er Jahren damit begannen, im großen Stil Gold zu verkaufen. Sie wollten ihre Goldreserven denen anderer Nationen angleichen. Denn bei dem angestrebten "gerechten" neuen Goldstandard sollte das gesamte Gold möglichst gleichmäßig verteilt sein.

Nach der Großen Finanzkrise von 2008 wurde der Finanzminister der Niederlande, Jan Kees de Jager, im Parlament des Landes dazu befragt, warum die niederländische Zentralbank seit dem Jahr 1993 insgesamt 1.100 Tonnen Gold verkauft hatte. Der Minister sagte, die Goldverkäufe hätten die niederländische Zentralbank im Hinblick auf ihre Goldbestände "stärker in Einklang mit anderen wichtigen Gold haltenden Staaten" gebracht.

Die Lagerkosten oder andere Gründe hätten bei der Entscheidung, erhebliche Teile des niederländischen Goldes zu verkaufen, keine Rolle gespielt. Bei den Käufern habe es sich um Entwicklungsländer gehandelt, "deren internationale Reserven wachsen oder die historisch gesehen über einen kleinen Goldbestand verfügen", sagte damals Jan Kees de Jager. Er bestritt, dass die Zentralbank Gold verkauft habe, um die Staatsschulden der Niederlande zu tilgen.

Darüber hinaus berichtete NRC Handelsblad im Jahr 1993, dass die niederländische Zentralbank über die Bank für Internationalen Zahlungsausgleich 400 Tonnen Gold verkauft habe, das teilweise von der chinesischen Zentralbank gekauft worden sei. Daher sagt der Goldanalyst Jan Nieuwenhuijs, dass die Niederlande Gold Tonnen verkauft haben, um den Entwicklungsländern dabei zu helfen, anteilsmäßig gleiche Goldreserven zu erhalten und sich auf ein neues auf Gold basierendes Währungssystem vorzubereiten.

Die Rolle der Central Bank Gold Agreements

Andere Zentralbanken in Europa haben dasselbe getan wie die Niederlande. Im Jahr 1999 überraschten vierzehn westeuropäische Zentralbanken den Goldmarkt mit einer Erklärung über ein "konzertiertes Programm" von Goldverkäufen über einen Zeitraum von fünf Jahren. Die Unterzeichner dieses sogenannten Central Bank Gold Agreement (CBGA) sagten: "Gold wird ein wichtiges Element der globalen Währungsreserven bleiben. [...] Die jährlichen Verkäufe werden etwa 400 Tonnen und die Gesamtverkäufe in diesem Zeitraum 2.000 Tonnen nicht übersteigen."

Der World Gold Council, die globale Lobby-Organisation der Goldbergbauindustrie, sieht in den Central Bank Gold Agreements den Versuch, Besorgnisse zu beseitigen, "dass unkoordinierte Goldverkäufe durch Zentralbanken den Markt destabilisieren und den Goldpreis stark nach unten treiben" könnten. Tatsächlich hatten einige europäische Länder vor dem ersten CBGA erhebliche Goldmengen verkauft und damit den Preis nach unten getrieben, und unmittelbar nach der Bekanntgabe des ersten CBGA begann der Goldpreis wieder zu steigen.

Das erste Central Bank Gold Agreement aus dem Jahr 1999 wurde dreimal verlängert. Zu den vierzehn ursprünglichen Zentralbanken kamen mit der Zeit zehn weitere europäische Länder hinzu. Im Verlauf der vier CBGAs, die jeweils fünf Jahre lang dauerten, verkauften die europäischen Zentralbanken in den Jahren 2000 bis 2019 etwas mehr als 4.000 Tonnen, wobei allerdings seit 2012 kaum noch nennenswerte Mengen Gold verkauft wurden.

Auch Pentti Pikkarainen, der von 2001 bis 2010 Leiter des Bereichs Bankgeschäfte bei der finnischen Zentralbank war und in deren Auftrag einst das Central Bank Gold Agreement unterzeichnete, hat gegenüber dem Goldanalysten Jan Nieuwenhuijs bestätigt, dass mehrere europäische Zentralbanken das Ziel verfolgten, die Goldbestände stärker in Einklang mit anderen Staaten zu bringen. "Es stimmt, dass einige Zentralbanken ihre Goldbestände mit denen anderer Zentralbanken verglichen und zu dieser Art von Schlussfolgerung kamen."

Vor und während des Central Bank Gold Agreement verkauften vor allem mittelgroße Staaten wie Österreich, Belgien, die Niederlande, Portugal, Spanien und Schweden erhebliche Mengen ihres Goldes. Auffällig ist, dass Zypern, Estland, Italien und Litauen zwar Unterzeichner des CBGA waren, aber während des "konzertierten Verkaufsprogramms" keine einzige Unze Gold verkauften. Im Falle Italien erklärt sich dies möglicherweise daraus, dass die Verantwortlichen in Italien nicht hinter Frankreich zurückfallen wollte.

Die CBGA-Unterzeichner Finnland und Irland kauften während der Dauer des Programms sogar geringere Mengen Gold hinzu, was jedoch aufgrund ihrer niedrigen Goldreserven ins Bild passt. Die massiven Goldverkäufe Großbritanniens unter Premier Gordon Brown scheinen hingegen über das Ziel einer Angleichung der Goldreserven hinauszuschießen. Trotz dieser auffälligen Ausnahme war das CBGA insgesamt wohl kein konzertiertes Programm von Goldverkäufen, sondern zum internationalen Ausgleich der Goldreserven.

Die globale Angleichung der Goldreserven

Tatsächlich sind die offiziellen Goldreserven auf der ganzen Welt heute gleichmäßiger verteilt als im Jahr 1971, als die USA das Abkommen von Bretton Woods einseitig beendeten. Damals hielt Eurasien minus Westeuropa insgesamt rund 2.000 Tonnen, bis heute ist die Menge auf 9.300 Tonnen angestiegen. Und der Ausgleichsprozess dauert weiter an.

Im Jahr 2018 kaufte die ungarische Zentralbank 31,5 Tonnen Gold, das Zehnfache ihrer offiziellen Reserven. Sie gab damals bekannt, dass sie Gold kauft, weil es "in Zeiten struktureller Veränderungen im internationalen Finanzsystem eine stabilisierende Rolle spielen kann", aber auch, um ihre Goldreserven stärker an die ihrer Konkurrenten anzugleichen.

Die polnische Zentralbank NBP kaufte im vergangenen Jahr 125,7 Tonnen und begründete dies auf die gleiche Weise: "Der Anteil von Gold an den Devisenreserven der NBP lag unter dem Durchschnitt aller Zentralbanken (10,5%) und deutlich unter dem Durchschnitt der europäischen Länder (20,5%). Der Kauf von Gold ermöglichte nicht nur eine Erhöhung des strategischen Finanzpuffers des Landes, sondern auch eine Annäherung der NBP in Bezug auf den Anteil von Gold an den Devisenreserven an den Durchschnitt aller Zentralbanken (10,5%)."

Die allenthalben zu beobachtende Angleichung bei den Goldreserven ist entscheidender Schritt auf dem Weg dahin, dass ein neuer globaler Goldstandard von möglichst vielen Staaten unterstützt wird. Denn Staaten, die proportional zur Größe ihrer Wirtschaft und zum Umfang ihrer Gesamtreserven zu wenig Gold haben, würden zu den Verlierern beim kommenden Wechsel im internationalen Finanzsystem zählen - neben den USA, da diese die Kontrolle über die Weltleitwährung verlieren werden.

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Lesen Sie im zweiten Teil dieser Serie, welche Rolle der private Goldbesitz bei den Plänen der europäischen Zentralbanken spielt, und wo sich der Start des neuen globalen Goldstandards nun endlich ankündigt.


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