An den Devisenmärkten hat der Euro gegenüber dem US-Dollar seit einiger Zeit deutlich aufgewertet. Lag der Wechselkurs in den vergangenen Jahren um die Schwelle von 1,10 bis 1,12 Dollar je Euro, so ist der Kurs inzwischen auf über 1,17 Dollar gestiegen.
Die Gründe für die Euro-Stärke wurzeln einerseits in der wirtschaftlich besseren Verfassung Europas im Vergleich zu den USA - diesseits des Atlantiks mit einem hohen Anteil von Industrie-, Produktions- und Ingenieursunternehmen an den Volkswirtschaften und meist ausgeglichenen Handelsbilanzen - jenseits dominieren der Konsum sowie eine seit langem negative Handelsbilanz und hohe Schulden.
Hauptsächlich scheint es jedoch die Schwäche des Dollar zu sein, welche den Euro stark macht. Der Finanzdienstleister Solvencon schreibt dazu:
Die Erholung der USA verliert an Dynamik und ist auf stärkste Subventionierung durch den Staat angewiesen. Das im Raum stehende neue Corona-Hilfspaket, das zeitnah verabschiedet werden muss, um einen weiteren US-Konjunkturunfall zu vermeiden, ist offensichtlicher Beleg des US-Dilemmas, das, wie wir immer wieder betonen, einen strukturellen Hintergrund hat und derzeit von der in den USA unprofessionell gemanagten Corona-Krise zusätzlich forciert wird.
Ergo hat der aktuelle USD-Verfall eine Vielzahl von Katalysatoren:1. Markant geschrumpfte positive Zinsdifferenz zu Gunsten des USD
2. Schwache Wirtschaftsstruktur (keine Reformen seit 2008!)
3. Dynamisch steigende Staatsverschuldung (wegen Reformmangel)
4. Anhaltende US-Außenhandelsdefizite
5. Rechtslose Aggressionen gegen Drittstaaten (Europa, China etc.)
6. Destabilisierung des internationalen Organigramms (WHO, WTO, Klimaschutz)
7. Kontrollverlust in der US-Corona-Epidemie
Auch die Börsenzeitung verweist in einem Kommentar auf Faktoren innerhalb der USA. Sie erkennt zudem Anzeichen dafür, dass der Status des Dollar als Weltleitwährung in Auflösung begriffen ist:
Die europäische Gemeinschaftswährung zeigt sich gegenüber dem Dollar derzeit fest, was viele Analysten hinsichtlich ihrer Prognosen auf dem falschen Fuß erwischt hat. Es spricht momentan einiges dafür, dass der Euro noch mehr Boden gutmachen wird. Denn eine Reihe von Faktoren lässt eine weitere Dollarschwäche erwarten. So hat sich an dem für den Devisenmarkt wichtigen kurzen Ende der Kurve die Zinsdifferenz zwischen Europa und den USA deutlich verringert. Betrug sie zu Jahresbeginn 1,5 bis 1,75%, sind es jetzt nur noch 0,25%. Damit nimmt die Attraktivität des Dollar zum Parken von Liquidität deutlich ab. Hinzu kommt, dass, wie die Analysten der Helaba vermuten, die Akteure am Devisenmarkt derzeit nicht mehr davon ausgehen, dass die Europäische Zentralbank ihre Geldpolitik weiter lockern wird.
Und letztlich wird offenbar auch die Rolle des Greenback als sicherer Hafen in Krisenzeiten inzwischen in Frage gestellt. Die USA bieten derzeit ein eher desolates Bild, da die Trump-Administration die Coronavirus-Pandemie einfach nicht in den Griff bekommt. Die Zahl der Neuerkrankungen steigt an, und der Hauptgrund, weshalb es nicht zu einer Überlastung des Gesundheitssystems kommt, liegt darin, dass viele der jetzt arbeitslos gewordenen US-Bürger auch ihren Krankenversicherungsschutz verloren haben. Die Unruhen auf den Straßen hören nicht auf, sie gehen einher mit einer beispiellosen Kriminalitätswelle. Außerdem erscheinen die Eliten hoffnungslos zerstritten, sowohl Republikaner als auch Demokraten treiben die Polarisierung immer weiter voran.
Derweil haben die Rettungspakete der Federal Reserve und der US-Regierung eher die Finanzmärkte, das Bankensystem und die ganz großen börsennotierten Unternehmen gestützt als die breite Realwirtschaft, dafür aber die Staatsverschuldung deutlich nach oben getrieben, was zukünftige Spielräume weiter einengt.
Dies lenkt den Blick auf die längerfristigen Perspektiven des Greenback. Der prominente US-Ökonom Steven Roach, ehemaliger Chief Economist von Morgan Stanley und jetzt an der Yale University tätig, ist in dieser Hinsicht sehr pessimistisch. Er sagt einen Crash des Dollar um rund 35% auf das Tief von Juli 2011 voraus und erwartet, dass die Sonderrolle, die der Dollar in der Weltwirtschaft genießt, bald der Vergangenheit angehören wird.
Die Basis für die kommenden Kalamitäten des Dollar liegt für Roach darin, dass bereits vor dem Ausbruch der Pandemie die Ersparnis in den USA stark gesunken ist. Sie betrug im ersten Quartal 2020 mit 1,4% des Bruttoinlandsproduktes (BIP) nur noch ein Fünftel des Durchschnitts der Jahre 1960 bis 2005. Für die kommenden Quartale rechnet Roach damit, dass es krisenbedingt zu einer negativen Ersparnis der US-Haushalte in der bisher noch nie gesehenen Größenordnung von 5 bis 10% des BIP kommt. Um dies auszugleichen, sind die USA mehr denn je auf Kapitalimporte angewiesen. Bereits seit fast 30 Jahren besteht ein amerikanisches Leistungsbilanzdefizit, das nun auf einen Rekordwert steigen dürfte. Neben dieses tritt ein gewaltiges Haushaltsdefizit von laut Schätzung des Kongresses 17,9% des BIP im laufenden Jahr. So hoch war es in Friedenszeiten noch nie.
Vor diesem Hintergrund ist es äußerst gefährlich, wenn der US-Präsident und seine unbedarften Berater mit Eifer an einer umfassenden internationalen Destabilisierung arbeiten, in der irregeleiteten Erwartung, dass sich damit die globale Vormachtstellung der USA dauerhaft sichern lässt. Dieser außenpolitische Harakiri-Kurs unterminiert letztlich das internationale Vertrauen in den Dollar. Es ist auffällig, dass sich eine Reihe von Ländern, und zwar nicht nur China und Russland, auf eine Zeit nach der Dollardominanz in der Weltwirtschaft vorbereiten und dazu ihre Goldvorräte stark hochfahren, während US-Treasuries von diesen Notenbanken verkauft werden.
Sollte es zu dem von Roach erwarteten Crash des Dollar kommen, drohen den USA seiner Meinung nach eine Phase der Stagflation und ein tiefgreifender Wohlstands- und Kaufkraftverlust weiter Teile der Bevölkerung. Die Handelsbilanz- und Leistungsbilanzdefizite würden steigen - mit dem Unterschied zu heute, dass China nach einer von der US-Administration erwirkten Abkopplung nicht mehr zur Verfügung stehen wird, um Defizite zu finanzieren.
Ob die gegenwärtige Dollarschwäche bereits der Einstieg in dieses Szenario ist, lässt sich noch nicht sagen. Dass der Dollar seine besten Zeiten als international dominierende Währung gesehen hat, ist aber klar.