Deutschland

Reiche wollen denkmalgeschützte Nazi-Bauten in Luxus-Oasen umbauen

Lesezeit: 3 min
08.08.2020 07:00
In einem Hamburger Villenviertel wurde ein denkmalgeschützter NS-Bau zur Luxus-Wohnanlage umgebaut. Dafür gibt es Kritik von Experten. Auch in München und auf Rügen trifft NS-Historie auf Wohlstand.
Reiche wollen denkmalgeschützte Nazi-Bauten in Luxus-Oasen umbauen
Hamburg: Das ehemalige Generalkommando der Wehrmacht in Hamburg. In dem Gebäudekomplex befinden sich heute Luxus-Wohnungen. (Foto: dpa)
Foto: Daniel Reinhardt

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  

«Vorne NS-Monumentalbau, hinten schicke Wohnungen. Das wird dem Bau in jeglicher Hinsicht nicht gerecht», sagt der Architekturkritiker Ralph Lange über einen denkmalgeschützten Nazibau in Hamburgs Villenviertel Harvestehude. Das ehemalige Wehrmachtsgebäude wurde vor einigen Jahren zur Luxus-Wohnanlage umgebaut. In Anbetracht der Kriegsverbrechen der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg «hätte man sich mehr historische Sensibilität und Verantwortung gewünscht», findet Lange.

Von vorne wirkt der 1936 errichtete Militärbau mit seinen meterhohen Pfeilern am Eingang und zwei großen Adlern auf dem Dach wie ein Fremdkörper zwischen Designerhäusern und Patriziervillen. Nach dem Zweiten Weltkrieg ließen junge Hamburger hier jahrzehntelang ihre Hosen herunter, um von den Amtsärzten des Kreiswehrersatzamtes gemustert zu werden. 2006 verkaufte der Bund das Gebäude an die private Frankonia Eurobau. Mit Zustimmung des Denkmalschutzamtes ließ das Unternehmen Teile des Gebäudes - wie etwa die Rückfassade - abreißen und neu bauen. Diese Teile seien nicht erhaltenswert gewesen und deshalb durch zeitgenössische Architektur ersetzt worden, sagt Frankonia-Chef Uwe Schmitz.

Heute heißt das Gebäude «Sophienpalais» und beinhaltet nach Angaben von Frankonia neben 105 Luxuswohnungen auch vier Saunen, einen Fitnessbereich mit Yogastudio und eine von Karl Lagerfeld mitgestaltete Lounge. Von der Geschichte des Gebäudes als Standortkommandantur der Wehrmacht sind unter anderem die Frontfassade und eine Gedenktafel vor dem Eingang geblieben.

Doch wie gut lassen sich Luxus-Wohnungen vermarkten, wenn das Gebäude eine Nazi-Vergangenheit hat? Tatsache ist: Nicht jede Wohnung im Hamburger Sophienpalais ist belegt. Acht davon suchen immer noch einen Käufer, sagt Frankonia-Chef Schmitz. Dennoch bleibt der Bauherr optimistisch: «Das Sophienpalais hat kein Problem mit Leerstand.»

Auch auf der beliebten Ostsee-Insel Rügen hat ein Baudenkmal mit Nazi-Vergangenheit einen Wandel zur Wohlfühloase vollzogen. Im Ortsteil Prora der Gemeinde Binz steht der zwischen 1936 und 1939 erbaute «Koloss von Rügen», ein 2,5 Kilometer langer Betonriegel. Er besteht aus fünf denkmalgeschützten Blöcken, die allesamt nach und nach an private Investoren verkauft wurden, die dort Hotels und Ferienwohnungen errichten ließen.

Christian Dinse, der in einem von zwei Dokumentationszentren in dem Monumentalbau arbeitet, findet, dass die Leidensgeschichten hinter dem Gebäude ausgeblendet würden. «Hier mussten Menschen, vor allem aus Osteuropa während des Krieges Zwangsarbeit leisten. Hier wurden Polizeibataillone ausgebildet, die später an Deportationen von Juden in Vernichtungslager beteiligt waren oder auch Kriegsverbrechen in der Sowjetunion oder Griechenland verübt haben.» All dem werde in Prora zu wenig Rechnung getragen, sagt Dinse.

An einer viel befahrenen Kreuzung in München-Schwabing steht ein denkmalgeschützter Nazi-Bunker, der eine ungewöhnliche Metamorphose zum exklusiven Büro- und Apartmenthaus vollzogen hat. Investor Stefan Höglmaier kaufte den Bau vor einigen Jahren, um ihn aufwendig zu sanieren. Unter anderem ließ er Fenster in die zwei Meter dicken Mauern schneiden. Die Geschichte des Gebäudes sei bis in die Wohnungen hinein allgegenwärtig, sagt Höglmaier.

Die Auseinandersetzung mit der Geschichte des Hamburger Sophienpalais hingegen, kommt Hamburgs ehemals oberstem Denkmalschützer Frank Pieter Hesse zu kurz. Hesse leitete das Denkmalschutzamt von 2006 bis 2013. Um die Ursprünge des Gebäudes angemessen zu würdigen, bedürfte es eines öffentlich zugänglichen Dokumentationsortes im Gebäude, an dem über dessen Geschichte und Bedeutung aufgeklärt werde, findet Hesse. Uwe Schmitz dagegen hält das für unvereinbar mit der gleichzeitigen Nutzung als Wohnanlage. Ähnlich sieht es das Denkmalschutzamt. Die Behörde verweist zudem darauf, dass sie dem Eigentümer keine Nutzungsart vorgeben könne. «Das wäre ein massiver Eingriff in Eigentumsrechte», heißt es.

Hesse berichtet weiter, die Denkmalpflege habe damals schwere Bedenken gegen die Entscheidung für die private Wohnnutzung gehabt, diese aber zurückgestellt, um wenigstens die Frontfassade, das Haupttreppenhaus und den Saal über dem Haupteingang zu erhalten. Schmitz hält dem entgegen, dass eine Nutzung als Verwaltungsgebäude ein «Störfaktor» für den von Wohnhäusern geprägten Standort gewesen wäre. Die Erinnerung an die NS-Geschichte des Hauses sei mit der Gedenktafel vor dem Eingang ausreichend gewürdigt, sagt Schmitz.

Die Erinnerung an die Geschichte des Schwabinger Nazi-Bunkers findet nach Angaben von Stefan Höglmaier unter anderem in Ausstellungsräumen für Kunst und Architektur statt. Dort werde immer auch die Geschichte des Bunkers mit einbezogen, sagt Höglmaier. Die Ausstellungsräume seien eine offene Plattform und sollten eine gesellschaftliche Diskussion über die Rolle der Architektur in der Gesellschaft anregen.

Der richtige Umgang mit Baudenkmälern aus der Zeit des Nationalsozialismus hängt laut Ralph Lange immer von den Umständen ihrer Entstehung und ihrer Nutzung in der NS-Zeit ab. «Es gibt somit eine große Bandbreite, die sich zwischen relativ unkritischer Weiternutzung und der Umwandlung in ein Mahnmal oder Dokumentationszentrum erstreckt», so Lange.


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Die Edelmetallmärkte

Wegen der unkontrollierten Staats- und Unternehmensfinanzierung durch die Zentralbanken im Schatten der Corona-Krise sind derzeitig...

DWN
Politik
Politik DWN-Kommentar: Deutsche müssen über Abschiebungen diskutieren - mit aller Vorsicht
26.04.2024

Liebe Leserinnen und Leser, jede Woche gibt es ein Thema, das uns in der DWN-Redaktion besonders beschäftigt und das wir oft auch...

DWN
Politik
Politik Tourismus-Branche: „In Hotellerie und Gastgewerbe ist noch nichts wieder in Ordnung“
26.04.2024

Die deutsche Tourismus-Branche, also Hotellerie und Gastronomie, firmiert neuerdings unter dem neuen Sammelbegriff „Gastwelt“ - auch um...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Bürokratieabbau: Ministerin fordert mehr Widerstandsfähigkeit und Effizienz
26.04.2024

Rheinland-Pfalz ist ein mittelständisch geprägtes Land. Gerade kleinere Betriebe hadern mit zu viel bürokratischem Aufwand.

DWN
Politik
Politik Hybride Bedrohungen: Drohnen-Flüge und psychologische Kriegsführung
26.04.2024

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat eindringlich vor hybriden Bedrohungen in Deutschland gewarnt. Gegen den Einsatz von...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Gallup-Studie: Globale Führungsbewertung 2024 - wie Deutschland unter Großmächten abschneidet
26.04.2024

Die Gallup-Studie 2024 zeigt die Stabilität und Herausforderungen in der globalen Führungsbewertung für Länder wie USA, Deutschland,...

DWN
Politik
Politik Habeck kontert Kritiker: „Energiekrise gemeistert und Strompreise gesenkt“
26.04.2024

Nach Kritik an Atomausstieg: Habeck und Lemke bestätigen, die Energieversorgung sei gesichert und nukleare Sicherheit gewährleistet.

DWN
Technologie
Technologie Künstliche Intelligenz: Wie sich Deutschland im internationalen Rennen positioniert
26.04.2024

Die Deutsche Industrie macht Tempo bei der KI-Entwicklung. Das geht aus einer kürzlich veröffentlichten Analyse des Deutschen Patent- und...

DWN
Immobilien
Immobilien Commerzbank-Studie: Immobilienpreise könnten weiter fallen
26.04.2024

Deutsche Wohnimmobilien verlieren weiter an Wert. Die Commerzbank sieht ein Abwärtspotenzial von 5 bis 10 Prozent, abhängig von...