Der Essenlieferdienst Delivery Hero ersetzte am vergangenen Montag den insolventen Wirecard-Konzern im deutschen Leitindex Dax. „Die Aufnahme in den Dax ist die Bestätigung, dass der Kapitalmarkt an unsere Plattform glaubt“, wird der schwedische Delivery Hero-Chef Niklas Östberg von der dpa zitiert. Maßgeblich für die Zugehörigkeit zum Kreis der 30 Dax-Konzerne sind aber nicht das Geschäftsmodell, sondern die Höhe des Börsenumsatzes (Handelsvolumen) und der Börsenwert (Marktkapitalisierung) eines Unternehmens.
Die Allgemeine Zeitung aus Mainz kritisiert genau diese Fokussierung auf Umsatz und Marktkapitalisierung, welche etwa die Betrachtung der Wirtschaftlichkeit bei der Entscheidung über eine Aufnahme in deutsche Aktienindizes außer Acht lässt. Sie kommentiert:
Experten liegt schwer im Magen, dass beim Dax qualitative Kriterien aus dem Blick geraten sind. Die hätte beispielsweise der Biotechnologie-Überflieger Biontech zu bieten. Doch die Mainzer sind lieber in den USA aufs Parkett gegangen – Zukunftstechnologie und Wertschöpfung drohen abzuwandern. Dabei ist Deutschland nicht nur Land der Dichter und Denker, sondern auch der Erfinder. Leider werden diese Ideen oft erst anderswo vergoldet. Daran kann niemand ein Interesse haben. Auch nicht die Börse, die sich bei der Dax-Eintrittskarte eisern an Marktkapitalisierung und Handelsumsatz klammert. Dass man sich im September grundlegende Gedanken machen will, ist schön. Dass alles so lange dauert aber eher nicht.
Ein Sprecher der Deutschen Börse in Frankfurt sagte den Deutschen Wirtschaftsnachrichten:
Der DAX ist ein Abbild des deutschen Kapitalmarktes. Die zugehörigen Unternehmen müssen Mindeststandards hinsichtlich Marktkapitalisierung und Liquidität erfüllen; außerdem die Transparenzanforderungen des Prime Standards. Konkret hieß das in diesem Fall: Der Fast-Exit-Regel zufolge musste der Nachrücker für Wirecard AG in beiden Kriterien Market Cap und Turnover mindestens auf Rang 35 liegen. Grundlage war die Rangliste vom Juli. Das DAX-Regelwerk finden Sie hier; die entsprechende Regel ist 5.1.1.
Nach der jüngsten Anpassung der Insolvenzregel unterziehen wir gerade das DAX-Regelwerk einer vertieften Prüfung. Dazu werden wir unsere Vorschläge Ende September mit dem Arbeitskreis Aktienindizes besprechen und anschließend eine umfangreiche Marktkonsultation starten. Die Ergebnisse dazu werden wir noch vor Jahresende bekanntgeben.
Delivery Hero betreibt in mehr als 40 Ländern Bestellplattformen für Essen lokaler Anbieter und beschäftigt damit etwa 25.000 Mitarbeiter, davon rund 1.300 in der Zentrale in Berlin. Sie vermitteln Lieferdienste zwischen Restaurants und deren Kunden. Das meiste Geld stammt aus Provisionen, die die teilnehmenden Restaurants bezahlen. Allerdings betreibt Delivery Hero auch eigene Lieferdienste und Großküchen.
Ein Dax-Konzern, der kein Standbein in Deutschland hat
Bestellungen deutscher Kunden nimmt das Unternehmen seit vergangenem Jahr jedoch nicht mehr entgegen: Das Deutschlandgeschäft mit den Marken P“izza.de“, „Lieferheld“ und „Foodora“ wurde an den niederländischen Konkurrenten Takeaway verkauft, welcher die deutschen Marken in seine eigene in Deutschland tätige Plattform „Lieferando“ eingegliedert hat. Mehr als die Hälfte seines Umsatzes generierte Delivery Hero im vergangenen Jahr im Nahen Osten und Nordafrika. Auch in Asien ist Delivery Hero stark. Im dritten Quartal peilt das Unternehmen den Eintritt in den japanischen Markt an.
Operative Gewinne - Fehlanzeige
Das 2011 gegründete Unternehmen schreibt seit seinem Bestehen rote Zahlen. Im ersten Halbjahr 2020 lag der um Sonderposten bereinigte Verlust vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen nach vorläufigen Zahlen bei 319,5 Millionen Euro. Dem Geschäftsbericht für das vergangene Geschäftsjahr zufolge wurde im Jahr 2019 ein Ergebnis vor Ertragssteuern von 663,4 Millionen Euro und ein Rein-Verlust von 648 Millionen Euro eingefahren.
Wann das laufende Geschäft die Kosten decken könnte, lässt das Unternehmen bislang offen. Es sei weiter im Aufbau, hob das Management nach der Entscheidung über den Dax-Aufstieg hervor. Erwartet wird im laufenden Jahr ein Umsatz zwischen 2,6 und 2,8 Milliarden Euro und damit nahezu eine Verdoppelung gegenüber dem Vorjahr - hier kommt die Corona-Pandemie einmal einem Unternehmen entgegen, weil die Essenslieferungen nach Hause in der Phase des Lockdowns weltweit stark zunahmen.
Doch nicht nur der Umsatz wurde in den vergangenen Jahren stark ausgebaut - auch die Kosten sind immer höher ausgefallen und fraßen damit mögliche operative Gewinne auf.
Das Handelsblatt schrieb im April mit Blick auf die stark steigenden Kosten: „Neben den Umsatzzahlen für das erste Quartal 2020 veröffentlichte Delivery Hero auch den Geschäftsbericht für das abgelaufene Jahr 2019. Darin zeigen sich die Kosten für das rasante Umsatzwachstum: Während sich der Umsatz fast verdoppelt, verdreifachen sich die Lieferkosten. Der Aufbau des eigenen Liefernetzes kostet viel Geld. Das passt bislang nicht zur eigentlichen These des Geschäftsmodells, dass mit steigendem Umsatz die Profitabilität zunimmt, weil die Kosten nicht proportional mitwachsen. Dieser Effekt zeigt sich nur bei den Marketing- und IT-Kosten, die tatsächlich weniger ansteigen als der Umsatz. Der operative Verlust ist 2019 gegenüber dem Vorjahr sehr deutlich gewachsen – von gut 242 Millionen Euro auf 648 Millionen Euro.“
Der Journalist Gabor Steigart kommt denn auch in einem Kommentar im Fokus zu einem negativen Fazit hinsichtlich des Aufstiegs in den Dax. Neben dem fehlenden Gewinn, der fehlenden Präsenz in Deutschland und den steigenden Kosten gibt es demnach noch weitere Faktoren, die gegen eine Präsenz des Essensdienstes in der ersten Aktienliga sprechen:
Das Geschäftsmodell von Delivery Hero ist auch deshalb hochriskant, weil es mächtige Konkurrenten gibt. Aus Frankreich, den Niederlanden und aus dem großen südamerikanischen Markt Brasilien hat man sich bereits zurückgezogen. In Amerika ist man nicht vertreten und es gibt auch keine Absicht, dort anzugreifen. Mit Uber Eats - einer Tochter des Fahrdienstvermittlers Uber - sind Wettbewerber am Start, die wie Just Eat Takeaway und Amazon „Fresh“ globale Ambitionen besitzen. Der Markt der Bestell-Plattformen steht vor einer Konsolidierung. (...) Das Unternehmen operiert in einem der am intensivsten regulierten Märkte der Welt, dem Arbeitsmarkt. Denn in nahezu allen wichtigen Ländern werden die Mindestlöhne staatlich festgesetzt. Ein Geschäftsmodell, das angesichts niedriger Margen auf Lohndrückerei beruht, kann niemals nachhaltig sein. (..) Die aktuellen Erfolgsmeldungen sind auch ein Ergebnis der Corona-Pandemie. Die Bestellungen verdoppelten sich im zweiten Quartal, auch deshalb, weil Restaurants und Firmenkantinen geschlossen waren.“