Finanzen

Treffen von Jackson Hole legt offen: Zentralbanken haben ihre Mittel ausgeschöpft, können Finanzsystem nicht mehr kontrollieren

Lesezeit: 6 min
30.08.2020 08:36
Gestern ging das große Symposium in Jackson Hole (US-Bundesstaat Wyoming) zuende, an dem Notenbanker aus aller Welt teilgenommen hatten. DWN-Kolumnist Ronald Barazon analysiert die Ergebnisse.
Treffen von Jackson Hole legt offen: Zentralbanken haben ihre Mittel ausgeschöpft, können Finanzsystem nicht mehr kontrollieren
Den Wapiti-Hirschen im Yellowstone Nationalpark nördlich von Jackson Hole sind die Sorgen der Menschen um Zinsen, Inflation und Geldmenge vollkommen gleichgültig. (Foto: dpa)

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„Wir machen weiter wie bisher!“ Das ist die hilflose Botschaft der Notenbanken angesichts der durch die Corona-Krise ausgelöste Wirtschaftskrise. Beim ihrem – wegen Corona nur per Videokonferenz abgehaltenen – alljährlichen Treffen in Jackson Hole (US-Bundesstaat Wyoming) haben sie die Weichen für ihre weitere Währungspolitik gestellt, wobei die Grenzen ihrer Möglichkeiten, die Grenzen ihrer Macht dabei nur allzu deutlich wurden. Es hat sich nämlich wieder einmal gezeigt, dass die geheimnisumwitterten Einrichtungen, denen magische Kräfte bei der Steuerung des Wirtschaftsgeschehens zugeschrieben werden, nur über zwei Schrauben verfügen, an denen sie drehen können: Die erste: Die Geldmenge, sprich, die Wirtschaft wird mit mehr oder weniger Geld versorgt. Die zweite: Die Zinsgestaltung, sprich, die Zinsen werden entweder erhöht oder gesenkt. Beide Schrauben wurden in letzter Zeit massiv überdreht und rotieren deshalb wie wild – aber wie gesagt: Die Hüter des Geldes werden weiter an ihnen drehen, denn andere Instrumente stehen ihnen schlichtweg nicht zur Verfügung.

Unternehmen im Stillstand investieren nicht

Die Geldschöpfung wirkt nur, wenn die Unternehmen das Geld in Form von Krediten annehmen und investieren. Betriebe, die entweder durch einen Lock-Down komplett geschlossen sind oder im Gefolge der allgemeinen Verunsicherung wenig Umsätze erzielen, investieren jedoch nicht. Wenn überhaupt, so nehmen sie Kredite auf, um den völligen Bankrott abzuwenden. Das Ganze führt dazu, dass die Firmen belastet mit hohen Schulden in die Phase nach Corona gehen. Fazit: Der eigentliche Zweck einer zusätzlichen Geldschöpfung – eine Stimulation der Konjunktur – wird nicht erreicht.

Die Geldschöpfung dient allerdings noch einem anderen Zweck: Nämlich den – in aller Regel völlig überschuldeten – Staat zu stützen. Man geht, wie oben bereits beschrieben, davon aus, dass es der Wirtschaft durch die Geldschwemme besser geht, und dass sie dann wiederum in Form von Steuern dem Staat seine notwendigen Einnahmen beschert. Das jedoch ist – wie oben ebenfalls beschrieben – durch den Lock-Down unmöglich gemacht. Infolgedessen werden die Löcher in den Staatshaushalten größer und größer, die Schulden explodieren und der Staat ist froh, wenn die Notenbanken seine Anleihen akzeptieren – und somit weiteres Geld ins System geschwemmt wird.

Die „zweite Welle“: Ein falscher Terminus

Die Hoffnung bestand, dass dieser Teufelskreis im Herbst durchbrochen wird. Man ging davon aus, dass die Corona-Pandemie über den Sommer abflauen und ab September ein Aufholprozess die Verluste aus dem Lock-Down des Frühjahrs korrigieren würde. Davon ist jetzt nicht mehr die Rede. Die so genannte „zweite Welle“ löst bereits eine weltweite Verunsicherung aus und sorgt für einschränkende Maßnahmen, die den erhofften Aufschwung behindern (übrigens ist der Begriff „zweite Welle“ fehl am Platz; die Ausbreitung des Virus wurde durch den Lock-Down nur temporär aufgehalten und erfolgt nach dem üblichen Muster, den Ansteckungswellen nun mal nehmen. Die Dauer von Virus-Pandemien ist nie vorher zu bestimmen, natürlich kann man die Welt auch nicht in einen dauernden Lock-Down pressen. Das heißt, es müsste ein Verfahren entwickelt werden, wie man mit Virus-Wellen umzugehen hat. Dafür sind aber die Notenbanken nicht zuständig – das ist ein Problem, mit dem sich andere befassen müssen).

Das Klagelied der Notenbanker: Niedrige Zinsen kann man nicht senken

Zuständig ist sind die Notenbanken aber für die Zinsentwicklung. Und da gilt die gleiche Überlegung wie bei der Geldschwemme: Man muss den Unternehmen die Aufnahme von Krediten erleichtern, und dafür müssen die Zinsen niedrig sein. Also werden in schwierigen Phasen die Zinsen gesenkt – ein völlig normales Prozedere.

Jetzt stehen die Zentralbanker allerdings vor dem Problem, dass die Zinsen seit der Finanzkrise 2008 weltweit extrem niedrig gehalten wurden, häufig kam und kommt es sogar zu Minus-Zinsen. Null- und Minuszinsen kann man aber nun mal nicht weiter senken, und demensprechend viel wurde auf der virtuellen Tagung geklagt – wobei diese Klagen die ganze Hilflosigkeit der Geldhüter offenbart.

Wobei die Zinspolitik der Notenbanken grundsätzlich problematisch ist. Sie ist stets auf das Verhalten der Kreditnehmer abgestellt. Niedrige Zinsen sollen die Aufnahme von Krediten begünstigen, hohe Zinsen werden durchgesetzt, um eine überhitzte Hochkonjunktur zu bremsen. Übersehen werden dabei stets die Anleger: Bei hohen Zinsen kann man sich gemütlich zurücklehnen und die hohen Zinsen genießen, die die Schuldner zahlen. Bei niedrigen Zinsen stürzen sich die Anleger auf Aktien und Immobilien und treiben die Preise dieser Vermögenswerte in unrealistische Höhen, was fast unweigerlich zu einem Crash führt. Dieses Phänomen erklärt, warum die Kurse bislang nicht abgestürzt sind, obwohl die Wirtschaft gelähmt ist.

In den Notenbanken hat sich eine Art Wunderglaube an die Macht der Zinsen entwickelt, deren Verlust man nun lautstark beklagt. Tatsächlich wurde diese vermeintliche Macht überschätzt und überstrapaziert. Als noch die Deutsche Bundesbank maßgeblich war, wurden hohe Zinsen als Wunderwaffe betrachtet. Man hatte auch keine Scheu, das Niveau auf zehn und mehr Prozent anzuheben und für eine Überforderung der Wirtschaft zu sorgen. Die aktuellen Null-und Minus-Zinsen wirken wie eine Gegenwelt. Für die Kreditnehmer wie für die Anleger würden sich Bewegungen zwischen drei und sechs Prozent empfehlen, weil diese Werte den realistischen Möglichkeiten entsprechen, wieviel man mit dem geborgten Geld für die Geldgeber erwirtschaften kann.

Die verwirrenden Kapriolen der Zinspolitik

Die Logik geht in der Zinspolitik oft unter.

Die Überlegungen der Notenbanker sind diese:

  • Die Wirtschaft boomt, die Unternehmer erhöhen angesichts der Nachfrage die Preise, also steigt die Inflation, was wiederum Werte vernichtet. Folglich müssen die Zinsen erhöht werden, damit die Wirtschaft schwerer Kredite bekommt und auf diese Weise die Inflation gebremst wird.

Die fehlende Logik:

  • Notenbanker schrecken aber auch nicht davor zurück, die Zinsen als Mittel der Inflationsbekämpfung einzusetzen, wenn die Teuerung aus einem Anstieg der Rohstoffpreise resultiert, die selbst schon eine Bremse der Unternehmen ergeben. Die Zinserhöhung ergibt dann einen weiteren Schlag gegen die Betriebe.

Die US-Notenbank ringt um ein besseres Image

In der virtuellen Jackson-Hole-Tagung wurden die Grenzen der Währungspolitik überdeutlich. Der Vorsitzender US-Zentralbank Fed, Jerome H. Powell, begann seinen mit Spannung erwarteten Vortrag mit einer wortreichen Würdigung der Leistungen seiner Vorgänge zurück bis in die achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Als er endlich in der Gegenwart ankam, folgten freundliche Signale an die Politik. Die Fed habe sich in den vergangenen Monaten geistig erneuert und werde alles tun, um die in der Corona-Krise explodierte Arbeitslosigkeit zu bekämpfen. Offenkundig geht es um eine Image-Verbesserung, da der Fed oft vorgeworfen wird, abgehoben und menschenverachtend zu agieren. Eine Zielgröße für die Arbeitslosigkeit wurde allerdings nicht genannt. Unverändert bleibe das Ziel einer Inflation von zwei Prozent, doch sei man in den schwierigen Zeiten flexibel und würde auch einen höheren Wert akzeptieren.

Die skurrile Diskussion über die Inflation in den USA

Nachdem die Rede keine besonderen Inhalte aufwies, stürzten sich die Märkte auf diese Mitteilung, die als neue Politik kommentiert wurde. Tatsächlich aber liegt die US-Inflationsrate derzeit bei einem Prozent und bleibt hinter den angestrebten zwei Prozent weit zurück. Die Fed tut also alles, um die Inflation zu steigern. Das klingt in den Ohren der Konsumenten absurd. Tatsache ist tatsächlich: Dahinter steckt eine Logik, die eigenartig ist:

  • Die Fed sieht eine Inflation von zwei Prozent als notwendig an, weil niedrigere Werte auch das Zinsniveau nach unten ziehen.
  • Bei niedrigen Zinsen habe die Notenbank keinen Spielraum, um die Zinsen zu senken und so die Wirtschaft zu beleben. Also brauche man eine Inflation von mindestens zwei Prozent.
  • Ja! Und was ist mit den aktuell niedrigen Zinsen, die die Fed künstlich herbeigeführt hat, um die Wirtschaft nach der Finanzkrise 2008 zu beleben? Diese sind so niedrig, dass sie nicht gesenkt werden können. Zur Orientierung: US-Staatsanleihen rentieren derzeit mit 1,4 Prozent.
  • Man ist bei der Fed auch verwirrt, dass der Boom der letzten Jahre sowie die Vollbeschäftigung, die vor der Corona-Krise gegeben war, keinen stärkeren Preisauftrieb ausgelöst haben.
  • Man sieht: Die ehernen Gesetze der Währungspolitik stimmen weithin nicht.

Europa strauchelt unverändert über die selbst errichteten Stolpersteine

In den USA funktioniert wenigsten ein Grundprinzip der Währungspolitik: Unter normalen Umständen springt die Wirtschaft an, wenn die Notenbank Geld in die Unternehmen pumpt. In den vergangenen Jahren kam auch noch eine kräftige Senkung der ohnehin niedrigen Steuern hinzu. In Europa ist das anders. Da lässt zwar die Europäische Zentralbank EZB auch die Notenpresse heiß laufen, doch verhindern absurde Regeln, dass das Geld in Form von Krediten bei den Unternehmen ankommt. Auch sind die Steuern extrem hoch. Diese groteske Praxis hat dazu geführt, dass der alte Kontinent gegenüber den USA weiter zurückgefallen ist.

Die EZB verschließt vor diesem Problem konsequent die Augen und trägt sogar selbst eifrig zu der von den Bankenaufsichtsbehörden betriebenen Kreditbehinderung bei. So feierte der EZB-Vertreter bei der virtuellen Jackson-Hole-Tagung, Philip R. Lane, Direktoriumsmitglied und Chefvolkswirt der EZB, die bisherige eigene Politik und kündigte deren Fortsetzung an. Unerwähnt ließ er selbstverständlich die gerade erschienene Kredit-Statistik der EZB, die das europäische Dilemma deutlich aufzeigt. In den vergangenen Monaten haben die Unternehmen zwar viele Kredite aufgenommen, doch in erster Linie, um damit die Löcher zu stopfen, die sich durch den Ausfall der Umsätze ergeben haben und weiter ergeben. Dominieren tun dabei die Ausleihungen, die mit einer staatlichen Garantie ausgestattet sind. Dies deshalb, weil auch in der Krise und trotz der angekündigten Erleichterungen der Kreditvergabe-Regeln man Finanzierungen vor allem nur dann bekommt, wenn eine öffentliche Stelle eine Garantie übernimmt. Total eingebrochen sind die Investitionskredite.

Europa wurde in den vergangenen Jahren durch hohe Steuern und eine von der Politik und der Bankenaufsicht verfügte Kreditbremse behindert und ging schwächer als die USA in die Corona-Krise. Nachdem nichts an der Steuer- und Kreditvergabe-Politik geändert wird, sehen auch die Voraussetzungen für den Aufschwung nach der Corona-Krise düster aus. Die Hoffnungen beruhen auf dem 750-Milliarden-Förderungspaket der EU, das im Rahmen einer ineffizienten Wirtschaftslenkung ab 2021 zum Einsatz kommen soll. Skepsis ist am Platz, doch hat EZB-Chefvolkswirt Lane dieses Paket in Jackson Hole dennoch begeistert gefeiert. Der Glaube an das Wunder, das diese Subventions-Maschine bewirken soll, hält seit Tagen den Euro-Kurs auf einem verblüffenden Hoch von 1,18 zum Dollar.

Ein Wert, der genauso unrealistisch ist wie die aktuellen Kurse der Aktien.

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deutsche-wirtschafts-nachrichten.de/506018/Ehemalige-Chefin-der-Fed-Die-Zentralbanken-sind-mit-ihrem-Latein-am-Ende-die-Regierungen-muessen-sofort-uebernehmen

                                                                            ***

Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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