Finanzen

Wer bewegt an den Märkten eigentlich die Kurse?

Lesezeit: 7 min
16.10.2020 09:39
Der Gedanke, dass Kleinanleger einen hohen Einfluss auf die Börsen-Kurse haben, ist zwar naheliegend, aber im technisierten Umfeld von heute doch ein wenig naiv. Denn Investmentbanken, (Hedge-)Fonds und professionelle Daytrader sind die wirklich bedeutenden Akteure und Algorithmen der wichtigste Kurstreiber.
Wer bewegt an den Märkten eigentlich die Kurse?
Der globale Börsenhandel wird immer schneller und effizienter. (Foto: dpa)

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Wenn Börsenkommentatoren bei stagnierenden Kursen von einer „nervösen Stimmung“ der Anleger sprechen, dann ist das mehr als nur unvollständig, es ist im Prinzip einfach nur falsch.

Bei leichten Kurseinbrüchen (nach einer längeren Phase mit Preissteigerungen) von „Gewinnmitnahmen“ zu sprechen, macht schon mehr Sinn. Wobei man im Kopf behalten sollte, dass es meist nicht menschliche Akteure sind, die manuell Verkaufs-Orders in den Markt setzen.

Vor allem aufgrund ihrer Neigung zu panischen Verkäufen tragen Kleinanleger tatsächlich zu den berüchtigten schnellen Einbrüchen an der Börse bei. Aber nur wenn man weiß, wie dominant automatisierte Strategien schon sind, kann man verstehen, wie es zu blitzschnellen sogenannten „Flash-Crashes“ kommen kann. Die Stimmung am Markt muss sich nur einmal kurz wenden, und schon werden aus Kaufsignalen Verkaufssignale und die Kurse stürzen ins Bodenlose.

Bevor wir tiefer in die Thematik einsteigen, hier zunächst ein Überblick über die Märkte für finanzielle Vermögensgüter:

Statistiken der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) zufolge beträgt der globale Markt für Anleihen circa 128 Billionen (=128.000 Milliarden) Dollar. Für Beteiligungen, hierzu zählen börsengehandelte Aktien, sind es laut der World Federation of Exchanges (WFE) nur circa 80 Billionen Dollar.

Der Markt für physische Edelmetalle ist im Vergleich eher klein, auf Basis grober Schätzungen – weltweit jemals gefördertes Gold mal aktueller Goldpreis – ergibt sich ein Markt in der Größenordnung von 10 Billionen Dollar (Silber ist durch den niedrigen Preis und den hohen Anteil der Industrieverwendung ein volumenmäßig sehr kleiner Asset-Markt, Rhodium und Palladium sind nur in geringen Mengen vorhanden und auch der Platin-Markt ist vergleichsweise unbedeutend.) Der physische Goldmarkt ist nicht zu verwechseln mit dem Buchgold-Markt, letzterer ist ungefähr 80-mal größer.

Die Kryptowährungen mit einer Gesamt-Marktkapitalisierung von rund 250 Milliarden Dollar gelten heutzutage als relevante Asset-Klasse, fallen aber im Vergleich mit anderen finanziellen Vermögensgütern stark ab.

Der riesige übergeordnete Derivate-Markt stellt alles andere in den Schatten. Mitte 2019 betrug der Nominalwert des ausstehenden Volumens schätzungsweise 640 Billionen Dollar. Die Deutsche Bank allein hat ein Brutto-Derivate-Exposure von etwa 50 Billionen Dollar. Ähnlich aufgeblähte derivative Gesamt-Positionen haben sonst nur Schwergewichte wie J.P. Morgan, Citigroup und Goldman Sachs.

Aktien sind auch im Handelsvolumen anderen Vermögenskategorien unterlegen. Währungen werden täglich in einem vielfach höheren Volumen gehandelt als Aktien. Der Devisenmarkt ist somit nach wie vor der größte unter den klassischen Märkten der Welt.

Die folgenden Ausführungen beziehen sich trotzdem primär auf Aktien. Andere Investments/Wertpapiere lassen sich teilweise ähnlich beschreiben, aber Aktien sind für unsere Leser wohl am relevantesten und deshalb liegt hierauf der Fokus.

Die großen Trends: Digitalisierung, Automatisierung und Passiv-Investments

Relativ neu am Markt sind sogenannte Robo-Advisor, die auf Basis des Risikoprofils ihrer Kunden eine automatisierte Vermögensverwaltung anbieten. Genau wie bei Indexfonds und ETFs werden die Anleger mit niedrigen Gebühren gelockt. In Deutschland verwalten diese Systeme rund 4 Milliarden Euro, Tendenz steigend. Marktführer ist aktuell „Scalable Digital“.

Passives Investieren war bis zur Großen Finanzkrise von 2008/09 eine kostengünstige Außenseiter-Investitionsanlage für Kleinanleger. Heute investieren nicht nur viele oder die meisten Privatanleger, sondern auch große institutionelle Anleger wie Versicherungen, Pensionskassen oder Staatsfonds erhebliche Teile ihres gesamten Vermögens in solche passiven Anlage-Instrumente.

Dazu beigetragen haben drei wesentliche Faktoren:

  • Die lange Phase der Niedrigzinsen mit erheblich reduzierten Erträgen traditioneller Obligationen-Portfolios oder gemischter Aktien-/Obligationen Mandate. Daraus resultiert ein immenser Druck zur Senkung der Transaktions- und Verwaltungskosten.
  • Die rasante technologische Entwicklung mit neuen Möglichkeiten, insbesondere von ETFs, die dramatisch reduzierte Transaktionskosten und Verwaltungskosten haben. Heute offerieren große Fonds-Gesellschaften teilweise Null-Kosten für solche ETF.
  • Die enttäuschenden Anlage-Ergebnisse vieler aktiven Strategien, selbst von aktiv verwalteten spezialisierten Hedge-Funds, denen viel zu hohe Verwaltungsgebühren und Transaktionskosten gegenüberstehen. Dieser Trend zum passiven Investieren, welches sich durchgesetzt hat, betrifft somit nicht nur Aktien, sondern auch Obligationen wie Staatsanleihen, Kredite verschiedener Güteklassen bis zu Junk Bonds oder Leveraged Loans

Die Großbanken hatten lange Handels-Bücher für alle Formen von Aktiven, in denen sie als Gegenpartei auftraten. Das ‚market-making‘ war eine wichtige Profitquelle für die Banken. Sie profitierten von den damals noch hohen Preisdifferenzen zwischen Kauf- und Verkaufspreisen. Sie konnten darüber bei großen Aufträgen vorkaufen oder vorverkaufen, oder Trends der Anleger mitspielen. Diese Bücher hatten ständige Positionen auch über die Nacht und über längere Zeiträume, die teilweise mit Hilfe von Derivaten abgesichert werden konnten. Diesen Büchern lagen statistische Risikomodelle zugrunde, welche konzentrierte oder korrelierte Risiken sowie Extremrisiken nicht korrekt abbildeten. In der Großen Finanzkrise von 2009 führte dies zu immensen Verlusten im Bankensektor, die ohne den Eingriff der Zentralbanken eine systemische Kernschmelze ausgelöst hätten.

Die hauptsächliche Stoßrichtung von nationalen und internationalen Regulatoren wie dem Basler Ausschuss für Bankenregulierung im Rahmen der BIS war, offene Marktpositionen der Banken mit viel höheren Eigenkapital-Anforderungen zu unterlegen. Für die Banken wurde es dadurch faktisch unmöglich, im traditionellen Stil als Markt-Macher aufzutreten. Sie können schlicht keine großen Positionen in den Handelsbüchern mehr halten. Auch ist das traditionelle Markt-Machen durch die Annäherung der Kauf- und Verkaufspreise weniger lukrativ. Darüber hinaus ist der früher hoch rentable, aber zyklische Eigenhandel massiv und bei vielen Banken komplett gestoppt worden, was der Intention der Regulatoren entspricht.

Der moderne Handel – Hohe Liquidität und reduzierte Effizienz?

Im Effekt haben diese drei grundlegenden Trends die Liquidität im Markt enorm erhöht. Dies drückt sich aus in immer engeren bid-ask Spreads. Doch die verbesserte Liquidität gilt nur für intra-day-Transaktionen, und keineswegs etwa in einem tieferen Sinn. Übernacht gibt es praktisch keine Liquiditäts-Provider mehr. Auch ist der Ansatz klassischer Institutioneller Investoren, in zyklisch fallende Märkte hinein systematisch zu kaufen und damit langfristige Positionen aufzubauen, dies zunächst bei wachsenden Mark-to-marked-Verlusten, stark zurückgegangen. Neuere Risikomodelle, welche diese Investoren anwenden, verhindern diese früher weit verbreitete Praxis. In diesem Sinne sind die Märkte viel weniger effizient geworden, trotz der anscheinend riesigen Liquidität im intraday-Bereich.

Wie hat sich der Handel denn aus dem Zusammenspiel dieser drei grundlegenden Trends hinaus entwickelt?

Die Zunahme der in ETF und anderen passiven Instrumenten angelegten Gelder erzeugen riesige Transaktions-Volumina. Jeder Zu- oder Abfluss in ein solches passives Produkt mit einem Index als Benchmark löst eine Kette von kleinsten Folge-Transaktionen in den zugrunde liegenden einzelnen Titeln aus. Ein erheblicher Teil des Aktienhandels besteht heute darin, kleinste Preisdifferenzen zwischen ETF’s und ihrem konstituierenden Korb von einzelnen Aktien zu arbitragieren.

Dies geht nur, weil sich die Market-Maker ebenfalls vervielfacht haben. Sie umfassen nicht mehr nur die Geschäfts-Banken, sondern viele Fonds, vor allem Hedge-Funds, die als Liquiditäts-Provider auftreten. Hedge-Funds und andere große Fonds, teilweise von großen institutionellen Anlegern, profitieren sogar von einer regulatorischen Arbitrage: Sie sind anders als die Geschäftsbanken nicht demselben regulatorischen Korsett ausgeliefert. Sie können deshalb zumindest kurzfristig auf stark gehebelter Basis operieren. Diese Liquiditäts-Provider zeichnen sich dadurch aus, dass sie kleinste Preisdifferenzen mit hohen Volumina auszunutzen versuchen, und dies üblicherweise über sehr kurze Zeiträume hinweg.

Die regulatorischen Vorteile von solchen spezialisierten Fonds gegenüber Banken lassen sich anhand des amerikanischen Aktienmarktes verdeutlichen: Heute hat eine vom Hedge-Fund Manager Ken Griffin gegründete separate Unternehmung (Citadel) einen Marktanteil von rund 40 Prozent am amerikanischen Aktienmarkt – das kommt einer marktbeherrschenden Stellung nahe und macht diese ‚systemrelevant‘.

Der riesige Einfluss von US-Vermögensverwaltern wie Blackrock (rund 7,5 Billionen Dollar Kundengelder „under management“) und Vanguard ist ja hinlänglich bekannt. Speziell Blackrock kontrolliert mit seiner Tocherfirma „iShares“ fast die Hälfte des globalen ETF-Marktes.

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Dieser Artikel spricht keine Anlageempfehlungen aus. Der Text spiegelt nur die zwar auf Fakten basierenden, aber nicht zwingend allgemeingültigen Ansichten des zuständigen Redakteurs wider.

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Jakob Schmidt ist studierter Volkswirt und schreibt vor allem über Wirtschaft, Finanzen, Geldanlage und Edelmetalle.


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