Wirtschaft

Studie: Durch Corona hat die Dritte Welt endgültig den Anschluss an den Westen verloren

Ein Bericht der Internationalen Arbeitsorganisation zeigt die durch den globalen Lockdown entstandenen Einkommenseinbußen auf. Während diese in wohlhabenden Ländern durch staatliche Hilfen teilweise aufgefangen werden, sind weite Teile der Welt nun endgültig in ihrer Entwicklung abgehängt worden.
10.10.2020 08:22
Lesezeit: 3 min

Das Einkommen von Arbeitern weltweit ist wegen der Corona-Pandemie drastisch eingebrochen. Der Rückgang dürfte von Januar bis Ende September 3,5 Billionen Dollar (rund drei Billionen Euro) betragen, berichtete die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) Ende September bei der Vorstellung eines entsprechenden Berichts. Das sei ein Rückgang von 10,7 Prozent zum Vergleichszeitraum 2019. In diesen Zahlen sind staatliche Einkommensbeihilfen nicht berücksichtigt. „Die Folgen (dieses Verlustes) sind katastrophal", wird ILO-Generaldirektor Guy Ryder zitiert.

Betroffen sind demnach vor allem Menschen in Schwellen- und Entwicklungsländern. Steuerliche Anreize und staatliche Hilfen zur Stützung der Wirtschaft habe es vor allem in Ländern mit hohen Einkommen gegeben. Die armen Länder brauchten Schuldenerlasse und mehr Entwicklungshilfe. Die schlimmsten Folgen könnten in den ärmsten Ländern mit 45 Milliarden Dollar verhindert werden – das sei weniger als ein Prozent von dem, was Länder mit hohen Einkommen in ihre Volkswirtschaften gepumpt hätten.

Weltweit war die Zahl der Arbeitsstunden stärker eingebrochen als zunächst angenommen, schreibt die ILO. Im 2. Quartal 2020 seien verglichen mit dem 4. Quartal 2019 Arbeitsstunden im Umfang von 495 Millionen Vollzeitstellen (auf Basis einer 48-Stunden-Woche) weggefallen. Das entspreche 17,3 Prozent. Ohne staatliche Stützungsmaßnahmen wären 28 Prozent weggefallen, sagte Ryder. Im Juni war die ILO für das 2. Quartal noch von einem Verlust von Arbeitsstunden im Umfang von 400 Millionen Vollzeitstellen ausgegangen.

Auch im 4. Quartal des laufenden Jahres dürften noch immer Arbeitsstunden fehlen, deren Volumen 245 Millionen Vollzeit-Stellen entspreche, nicht, wie im Juni gehofft, 140 Millionen.

Lateinamerika verliert dutzende Millionen Arbeitsplätze

Mindestens 34 Millionen Menschen in Lateinamerika und der Karibik haben wegen der Pandemie im ersten Halbjahr 2020 ihre Arbeitsplätze verloren. Zu diesem Schluss kommt ein Bericht, den die ILO Anfang Oktober in der peruanischen Hauptstadt Lima vorstellte. Dieser beruht auf Daten aus neun Ländern mit zusammen mehr als 80 Prozent der Gesamtbevölkerung der Region. Die UN-Organisation warnte vor einer beispiellosen Krise der Arbeitsmärkte und „einem drastischen Schrumpfen von Erwerbstätigkeit, Arbeitszeit und Einkommen."

Lateinamerika und die Karibik ist nach diesem Bericht die Weltregion mit dem größten prozentualen Rückgang bei Arbeitszeit und Arbeitseinkommen. Die Beschäftigungsquote - der Anteil der Erwerbstätigen an der Bevölkerung - fiel demnach im ersten Quartal dieses Jahres auf einen „historischen Tiefstand“ von 51,1 Prozent. Im Vergleich zur ersten Hälfte des Vorjahres sei dies ein Rückgang um 5,4 Prozentpunkte in der Region mit rund 600 Millionen Einwohnern.

Manche der Jobverluste seien temporär. Erste Informationen aus dem dritten Quartal deuteten zudem eine Erholung an. Die Pandemie habe bestehende Ungleichheiten und strukturelle Probleme jedoch verschlimmert. Dies könne sich auch in einer Erholung fortsetzen, hieß es von der ILO. „Das Defizit an formeller Arbeit wird noch deutlicher werden für bestimmte Arbeitgruppen wie junge Menschen, Frauen und Erwachsene mit niedrigeren Qualifikationen.“

Einige Länder, die bisher am meisten unter der Corona-Krise gelitten haben, liegen in Lateinamerika. Brasilien und Mexiko sind unter den vier Ländern mit den meisten Todesfällen. Zu den neun Staaten mit den meisten Infektionen mit dem Virus Sars-CoV-2 gehören Brasilien, Kolumbien, Peru, Argentinien und Mexiko.

Weltbank fordert Schuldenschnitte

Die Weltbank fordert angesichts der massiven Schwierigkeiten erneut Schuldenschnitte für ärmere Staaten. Der Präsident der Organisation, David Malpass, warnte am Montag zudem vor einer neuen Schulden- und Finanzkrise. Viele Schwellen- und Entwicklungsländer stünden finanziell am Abgrund und seien mit dem Schuldendienst überfordert, sagte Malpass dem Handelsblatt kurz vor Beginn der Herbsttagung seiner Organisation. Das Treffen findet dieses Mal online statt und beginnt in der kommenden Woche.

„Es ist offensichtlich, dass einige Länder nicht in der Lage sind, ihre aufgenommenen Schulden zurückzuzahlen“, sagte Malpass weiter. Er forderte daher einen Schuldenerlass für die Länder, die nicht mehr in der Lage sind, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Der Amerikaner kritisierte die mangelnde Hilfsbereitschaft privater Finanzinvestoren und auch chinesischer Kreditgeber. „Diese Investoren tun nicht genug, und ich bin enttäuscht davon. Außerdem haben sich einige der großen Kreditgeber aus China nicht ausreichend beteiligt“, sagte er.

Der Weltbank-Präsident warnte zudem vor der weltweit steigenden Ungleichheit. Die Pandemie habe jahrzehntelange Fortschritte bei der Armutsbekämpfung zunichte gemacht und könnte bis 2021 mehr als 150 Millionen Menschen erneut unter die extreme Armutsgrenze drücken.

In den vergangenen Monaten sind viele Staaten in eine schwere finanzielle Schieflage geraten – einige davon wurden inzwischen Schuldenschnitte gewährt. So verzichten die Gläubiger Argentiniens in den kommenden Jahren kumuliert betrachtet auf insgesamt etwa 35 Milliarden Dollar an Forderungen.

Lesen Sie dazu auch:

Größte Krise seit hundert Jahren: Jetzt hilft nur noch ein radikaler Schuldenschnitt

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Finanzen
Finanzen Finanzskandal bei privaten Krediten: HPS und BNP Paribas verlieren hunderte Millionen
16.11.2025

Der Markt für private Kredite außerhalb regulierter Banken erlebt ein rasantes Wachstum, das zunehmend systemische Risiken birgt. Wie...

DWN
Politik
Politik TNT-Produktion in Europa: NATO-Staaten planen neue Fabriken zur Versorgungssicherung
16.11.2025

Europa verfügt derzeit über nur eine Produktionsstätte für NATO‑Standard‑TNT, während mehrere Länder neue Fabriken planen. Wie...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft CO2-Zertifikate: Europas Aufschub, der Autofahrer teuer zu stehen kommt
15.11.2025

Europa verschiebt den Start seines neuen CO2-Handelssystems – doch die Benzinpreise werden trotzdem steigen. Während Brüssel von...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Arbeitsmarkt 2030: Diese Fachkräfte werden in fünf Jahren gebraucht
15.11.2025

Automatisierung, KI und Klimawandel verändern den globalen Arbeitsmarkt rasant. Bis 2030 entstehen Millionen neuer Jobs, doch viele...

DWN
Finanzen
Finanzen Finanzielles Notfallpaket: So sichern Sie Ihr Vermögen in Krisenzeiten
15.11.2025

In Zeiten wachsender Unsicherheiten rückt neben Notvorräten und Fluchtplänen auch die finanzielle Absicherung in den Fokus. Marek...

DWN
Politik
Politik Für einen Kampfjet braucht es 400 Kilogramm seltene Erden: Europa im Wettbewerb mit China und den USA
15.11.2025

Seltene Erden sind zu einem entscheidenden Faktor in globalen Machtspielen geworden und beeinflussen Industrie, Verteidigung und Hightech....

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Klassengesellschaft 2.0 – Warum Demokratie ohne soziale Gleichheit zerbricht
15.11.2025

In Deutschland redet kaum jemand über Klassen – als wäre soziale Herkunft heute keine Machtfrage mehr. Doch die Soziologin Prof. Nicole...

DWN
Finanzen
Finanzen Finanzblasen 2025: Wo der nächste große Crash drohen könnte
15.11.2025

An den Finanzmärkten steigt die Nervosität. Künstliche Intelligenz treibt Bewertungen auf Rekordhöhen, Staaten verschulden sich wie nie...