Politik

„Aufstand gegen Merkel“: Das sagen deutsche Zeitungen zum Corona-Lockdown

Die deutsche Medienlandschaft blickt mit gemischten Gefühlen auf Angela Merkels Knallhart-Corona-Kurs. „Wie dramatisch ist die Lage in Sachen Corona-Pandemie denn nun in Deutschland?“, so ein Tagesblatt. Ein weiteres Blatt wörtlich: „Aufstand gegen Merkel“
17.11.2020 22:16
Aktualisiert: 17.11.2020 22:16
Lesezeit: 3 min
„Aufstand gegen Merkel“: Das sagen deutsche Zeitungen zum Corona-Lockdown
Ein Mann hält am Donnerstag (09.06.2011) in Berlin eine Tageszeitung mit einer Anzeige der SPD in den Händen, auf dem ein Foto von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) zu sehen ist. (Foto: dpa) Foto: Robert Schlesinger

Die „Stuttgarter Nachrichten“: „Ein Wort wird bleiben, wenn sich die Bundeskanzlerin in knapp einem Jahr von der Macht verabschieden wird. Ein Wort, das über eineinhalb Jahrzehnte die Regierungszeit von Angela Merkel geprägt, ja getrieben hat. Das Wort heißt ,alternativlos‘. In der Corona-Krise, in der die Regierungschefin nach eigener Einschätzung Entscheidungen trifft, die zu den schwersten ihrer Amtszeit gehören, erfährt es folglich nur eine leichte Einfärbung. Unvermeidbar. Einschränkung von Kontakten, Bewegungsfreiheit, finanziellen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen, nur mühsam mit staatlicher Hilfe gesicherte Existenzen (wenn überhaupt) – kurzum demokratische Zumutungen, wohin das Auge schaut –, das alles ist für Merkel unvermeidbar. Unausweichlich. Unumgänglich. Zwingend. Ethisch, rechtlich, medizinisch, politisch.“

Das „Handelsblatt“ berichtet unter dem Titel „Aufstand gegen Merkel“: „Rund zehn Monate wird Angela Merkel die Bundesrepublik noch regieren, nach Stand der Dinge. Andere Entscheider in dieser Lage fürchten das ,Lame-Duck‘-Syndrom, also nichts mehr richtig bewegen zu können. So sah es rund um die Bundeskanzlerin nicht aus – bis jetzt. Nun aber leisteten in der Corona-Politik selbst getreue Unionisten wie CDU-Chef-Aspirant Armin Laschet Widerstand gegen eine ,Nacht-und-Nebel-Aktion‘. Merkels plötzlich vor dem gestrigen Corona-Gipfel aufgetauchter Plan, etwa in Schulen sofort Klassen zu halbieren und Maskenpflicht für alle anzuordnen, wurde ein Fall für die Wiedervorlage. Die Länder pulverisierten ihre Beschlussvorlage, es gibt erst mal nur Appelle. Am Mittwoch nächster Woche dann, falls die Pandemiezahlen schlechter werden sollten, kommt der gescheiterte Merkel-Plan erneut zum Einsatz. Dann stellt sich die Frage nach der ,lahmen Ente‘ neu.“

„Zeit Online“: „Der Konflikt, der hinter dem kleinlich wirkenden Kompetenzgerangel liegt, ist: Wie hart, wie umfassend müssen wir auf die Pandemie reagieren? Das Muster ist bekannt: Merkel und ihre Berater drängen tendenziell auf frühe und schärfere Maßnahmen, während viele Ministerpräsidenten auf Ausnahmen für ihre Region oder besondere Branchen und Bürger pochen. Außerdem sind da noch jene, denen es besonders wichtig ist, dass alle Regeln überall gleich gelten. Damit die Bürger alles verstehen und die Akzeptanz der Maßnahmen hoch bleibt. Das sind nachvollziehbare Wünsche, die sich aber streng genommen widersprechen. Sollen an der mecklenburgischen Seenplatte wirklich die gleichen Schul-Auflagen gelten wie in Berchtesgaden, wenn sich die Infektionszahlen extrem unterscheiden? (...) Eindeutige Antworten und einen für alle gleichermaßen akzeptablen Prozess kann es bei dieser Herausforderung nicht geben.“

„Neue Osnabrücker“ Zeitung: „In der Beschlussvorlage für die Ministerpräsidenten tauchten am Montag Einschränkungen für Schulen und Familien auf, die nicht abgestimmt waren. Ein solcher Anfängerfehler der Kanzlerin in der Spätphase ihrer vier Amtszeiten? Vielleicht war es so: Angela Merkel will um jeden Preis weitere Beschränkungen. Sie ahnt aber, dass jede einzelne zerpflückt wird. Also baut sie Sollbruchstellen in das Papier ein. Stehen bleiben immerhin die Punkte, die sie wirklich will. Zuzutrauen wäre Merkel das. Manipulativ zwar, aber besser, als Willkür anzunehmen, die aus vielen Vorschlägen sprach. Und eines ist bewiesen: Wieder einmal hat das Zusammenspiel von Bund, Ländern und Justiz ausgleichend gewirkt. Die Vielstimmigkeit ist ein Vorteil. Es gibt keinerlei Grund, eine Ebene die andere dominieren zu lassen.“

„Rhein Zeitung“: „Was unterscheidet Angela Merkel von den meisten Regierungschefs und -chefinnen der Länder? Sie muss nicht mehr wiedergewählt werden! Das macht sie persönlich freier, kompromissloser, ja, vielleicht sogar rücksichtsloser. Ihr Fokus richtet sich auf das große Ganze, die Bewältigung der Pandemie – spätestens zum Ende ihrer Amtszeit. Das sehen viele Länderfürsten anders. Sie haben (auch) politische Ziele im kommenden Jahr vor Augen: Landtagswahlen. Noch mehr als einen konsequenteren Lockdown fürchten die Länderchefs die Wut der Betroffenen, allen voran der Eltern, Lehrer und Erzieherinnen – eine nicht zu unterschätzende Wählerklientel, die das Zeug hat, andere Bereiche der Gesellschaft mit dem Virus der Unzufriedenheit zu infizieren.“

„Reutlinger General Anzeiger“: „Wie dramatisch ist die Lage in Sachen Corona-Pandemie denn nun in Deutschland? Sieht man dieser Tage auf die aktuellen Zahlen, dann steigen sie nicht mehr, sondern sinken sogar ein wenig. Das beruhigt. Andererseits sind sie trotz des Teil-Lockdowns noch immer viel zu hoch. Das macht Sorgen. Schaut man dann auf die deutsche Politik, ist man vor allem verwirrt. Es fehlt eine klare Linie. Während die einen, allen voran Bundeskanzlerin Angela Merkel, zur Eile und zu strengerem Infektionsschutz drängen, wollen die anderen, unter ihnen viele Länderchefs, erst mal noch abwarten, ob die bisherigen Maßnahmen nicht vielleicht doch ausreichen.“

„Badisches Tagblatt“: „Union und SPD haben zwar noch hektisch nachgebessert, doch sie wollen die Neuregelung in Rekordzeit durchboxen. Das ist handwerklich fehlerhaft und äußert unsensibel, wo gerade die mangelnde Beteiligung des Bundestags breit diskutiert wird. Nur: Die Kritiker gehen weit über das angemessene Maß hinaus. Abgeordnete werden mit Spam-Mails bombardiert, und im Netz ist die Rede vom Ermächtigungsgesetz wie anno 1933 sowie von ,Merkel-Faschisten‘. Berechtigte Kritik an Gesetzen ja. Völlig unhaltbare historische Vergleiche nein. Die Gegner der Corona-Politik haben Gründe für ihre Position und jegliches Recht, ihre Meinung kundzutun, aber sie sollten sich gut überlegen, mit wem sie da gemeinsame Sache machen.“

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