Deutschland

Ex-Wirecard-Chef Braun verteidigt Politik und Behörden

Die Behörden ermitteln derzeit gegen den der früheren Wirecard-Chef Markus Braun. Indes verteidigt dieser im Untersuchungsausschuss der Bundestags Politik und Behörden gegen Vorwürfe.
19.11.2020 15:36
Aktualisiert: 19.11.2020 15:36
Lesezeit: 3 min
Ex-Wirecard-Chef Braun verteidigt Politik und Behörden
Der ehemalige Chef von Wirecard, Markus Braun, am Donnerstag vor seiner Aussage im Wirecard-Untersuchungsausschuss des Bundestages. (Foto: dpa) Foto: Fabrizio Bensch

Bei der politischen Aufarbeitung des milliardenschweren Wirecard-Bilanzskandals hat der ehemalige Chef Markus Braun jede Hilfe abgelehnt. Der 51-jährige Österreicher, der seit Wochen in einem Augsburger Gefängnis in Untersuchungshaft sitzt, verlas am Donnerstag vor dem parlamentarischen Untersuchungsausschuss eine fünfminütige Erklärung, verweigerte darüber hinaus aber jede weitere Aussage. Allerdings sagte er, Aufsichtsbehörden und Wirtschaftsprüfer hätten aus seiner Sicht keine Fehler gemacht. Braun erschien im Paul-Löbe-Haus im Bundestag in seinem typischen schwarzen Rollkragenpullover und Jackett - aber ohne Handschellen. Er wurde extra nach Berlin gebracht. Eine von seinem Anwalt geforderte Videovernehmung lehnte der Bundesgerichtshofs ab.

"Ich habe zu keiner Zeit Feststellungen getroffen oder Hinweise darauf erhalten, dass sich Behörden, Aufsichtsstellen oder Politiker nicht korrekt, pflichtwidrig oder in irgendeiner Form unlauter verhalten hätten", sagte Braun vor neun Abgeordneten von CDU/CSU, SPD, AfD, Grüne, Linke und FDP. "Das gilt auch für den Aufsichtsrat als Kontrollorgan und die Wirtschaftsprüfer, die im Rahmen der Abschlussprüfungen offenbar massiv getäuscht wurden und daher trotz umfangreichster und tiefgreifender Prüfungshandlungen keine Unregelmäßigkeiten feststellen konnten." Vor diesem Hintergrund sei es für ihn nicht nachvollziehbar, warum externe Aufsichtsstellen, die viel weiter weg seien, Versäumnisse zu verantworten hätten.

Unter anderem der Finanzaufsicht BaFin und Wirtschaftsprüfern von Ernst & Young (EY) wird vorgeworfen, zu spät die Bilanzunregelmäßigkeiten bei Wirecard entdeckt zu haben. Die Pleite des Zahlungsabwicklers kostete Investoren Milliarden. Insgesamt meldeten geprellte Gläubiger beim Insolvenzverwalter 12,5 Milliarden Euro Schaden an. Sie dürften nur einen Bruchteil davon je weitersehen.

Braun bügelte sämtliche Fragen der Abgeordneten ab. "Ich werde mich nicht abweichend von meinem Statement äußern", sagte er immer wieder. Die Fragen der Abgeordneten drehten sich vor allem um Kontakte von Braun und Wirecard zu Politik und Regierung, aber auch zu Behörden, ebenso zum Geschäftsmodell des pleitegegangenen Zahlungsabwicklers. Ein Sitzungsteilnehmer sagte zu Reuters, Braun sei in den Saal gekommen, habe kurz innegehalten, sich umgesehen und sei zu seinem vorgesehenen Platz geschritten. "Er ist höchst angespannt und macht in seiner Haltung einen wackeligen Eindruck." Ein anderer ergänzte, Braun wirke schwach. "Die Hände zittern. Er verweigert jedwede Aussage. Er klammert sich offenbar an die Empfehlung seines Anwalts."

"MILITÄRISCHER KORPSGEIST"

Der Wirtschaftsinformatiker war fast zwei Jahrzehnte lang Chef von Wirecard und gilt laut bisherigem Kenntnisstand der Staatsanwaltschaft als zentrale Figur in dem milliardenschweren Bilanzbetrugsfall. Braun habe ein hierarchisches System bei dem Zahlungsabwickler aufgebaut, das geprägt gewesen sei von einem militärisch-kameradschaftlichem Korpsgeist sowie Treueschwüren untereinander. Die Ermittler werfen Braun und anderen Vorständen, wie dem auf der Flucht befindlichen Jan Marsalek vor, über Jahre die Bilanzen des Konzerns aufgebläht und Banken, Investoren und Kunden getäuscht zu haben und damit gewerbsmäßigen Bandenbetrug, Bilanzfälschung und Marktmanipulation betrieben zu haben. Nach der Aufdeckung eines 1,9 Milliarden Euro schweren Lochs in der Bilanz durch Wirtschaftsprüfer sprach Braun zunächst davon, Opfer eines großen Betrugs zu sein, bevor er kurze Zeit später zurücktrat und von der Staatsanwaltschaft verhaftet wurde.

Gegenüber den Ermittlern wolle er eine Aussage machen, versprach Braun vor dem Untersuchungsausschuss. "Ich werde mich zeitnah zu den verfahrensrelevanten Themen äußern. Aber vorrangig gegenüber der Staatsanwaltschaft."

"MARKUS BRAUN WAR WIRECARD"

Die Parlamentarier wollen durch den Untersuchungsausschuss aufklären, wie es zu der spektakulären Pleite des ehemaligen Dax-Konzerns kommen könnte. Sie wollen vor allem herausfinden, welche politischen Kontakte und Netzwerke Wirecard zum Kanzleramt und den Ministerien hatte. "Das ist nicht irgendein Zeuge", sagte FDP-Politiker Florian Toncar. Als Chef habe er über alles Bescheid gewusst, was zentral für die Aufklärung sei. "Markus Braun war Wirecard." Der Ausschuss werde genau überprüfen, ob er bei Fragen zurecht von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch mache oder dies nur vorschiebe. "Wenn es vorgeschoben wird, wird es nicht der letzte Besuch in Berlin gewesen sein."

Im Fokus steht unter anderem ein Treffen Brauns mit Staatssekretär Jörg Kukies aus dem SPD-geführten Finanzministerium am 5. November 2019 - als es schon konkrete Vorwürfe gegen Wirecard gab und ein Sondergutachten in Auftrag war.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen MTS Money Transfer System – Sicherheit beginnt mit Eigentum.

In Zeiten wachsender Unsicherheit und wirtschaftlicher Instabilität werden glaubwürdige Werte wieder zum entscheidenden Erfolgsfaktor....

DWN
Politik
Politik Europas digitale Selbsttäuschung: Wie Amerikas Tech-Giganten unsere Souveränität bestimmen
02.11.2025

Gefährliche Abhängigkeit: Europas Wohlstand ruht auf fremden Servern. Was passiert, wenn Washington Europas digitalen Zugang kappt? Das...

DWN
Finanzen
Finanzen Schadenregulierung: So handeln Sie richtig, wenn die Versicherung nicht zahlt
02.11.2025

Wenn Versicherungen bei einem Schadenfall zögern oder nicht zahlen, beginnt für viele ein nervenaufreibender Kampf. Welche Rechte haben...

DWN
Finanzen
Finanzen Altersvorsorge: Politik riskiert Rentenkollaps – ist Investieren in Aktien die Lösung?
02.11.2025

Das deutsche Altersvorsorgesystem steht kurz vor dem finanziellen Kollaps: Eine exklusive Forsa-Umfrage im Auftrag der Initiative...

DWN
Politik
Politik Exklusiv-Interview mit Nobelpreisträger James A. Robinson: Warum die Globalisierung auch ohne die USA geht
02.11.2025

Warum gedeihen manche Staaten, während andere im Stillstand verharren? Nobelpreisträger James A. Robinson erklärt im Exklusivinterview,...

DWN
Technologie
Technologie Von Google Glass zu Meta Ray-Ban: Wie Smart Glasses den Markt neu definieren
02.11.2025

Smart Glasses galten lange als Nischenprodukt. Mit dem Aufschwung von KI und neuen Hardware-Initiativen rücken sie nun ins Zentrum...

DWN
Politik
Politik Abhängigkeit von US-Technologie: Welche Herausforderungen Europa jetzt meistern muss
02.11.2025

Technologie und digitale Souveränität stehen im transatlantischen Verhältnis zunehmend im Fokus. Europa nutzt US-amerikanische Systeme,...

DWN
Finanzen
Finanzen Altersrente berechnen: So hoch ist die Maximalrente in Deutschland - unerreichbar für die meisten
01.11.2025

Im Alter gilt, je mehr Rente, desto besser. Doch selbst mit extra Schichten oder einem hohen Einkommen ist der maximale Betrag an...

DWN
Finanzen
Finanzen Zehn S&P 500‑Aktien mit Aufholpotenzial: So bewerten Analysten Chancen und Risiken
01.11.2025

Zehn S&P 500‑Aktien, die Analysten trotz schwächerer Jahresperformance als chancenreich einstufen, werden auf Wachstum, Bewertung und...