Deutschland

"Gewerbsmäßiger Bandenbetrug": Wirecard-Manager betrügen laut Ermittlern schon seit 2015

Beim insolventen Zahlungsabwickler Wirecard sind nach Erkenntnissen der Staatsanwaltschaft bereits seit fünf Jahren systematisch Bilanzen gefälscht und Umsätze aufgebläht worden. Ex-Vorstandschef Markus Braun, der zunächst gegen Kaution freigekommen war, muss nun doch in Untersuchungshaft.
22.07.2020 15:46
Aktualisiert: 22.07.2020 15:46
Lesezeit: 2 min
"Gewerbsmäßiger Bandenbetrug": Wirecard-Manager betrügen laut Ermittlern schon seit 2015
Der ehemalige Vorstandschef Markus Braun, der zunächst gegen Kaution freigekommen war, muss nun doch in Untersuchungshaft, wie das Amtsgericht München am Mittwoch entschied. (Foto: dpa) Foto: Lino Mirgeler

Beim insolventen Zahlungsabwickler Wirecard sind nach Erkenntnissen der Strafverfolger seit mindestens fünf Jahren systematisch Bilanzen gefälscht und Umsätze aufgebläht worden. Der ehemalige Vorstandschef Markus Braun, der zunächst gegen Kaution freigekommen war, muss nun doch in Untersuchungshaft, wie das Amtsgericht München am Mittwoch entschied.

Braun, der frühere Finanzvorstand Burkhard Ley und andere Wirecard-Manager hätten sich schon 2015 entschlossen, Geschäfte mit Drittpartnern in Asien zu erfinden, um das Unternehmen erfolgreicher aussehen zu lassen, erklärte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft. "In Wirklichkeit war den Beschuldigten spätestens seit Ende 2015 klar, dass der Wirecard-Konzern mit den tatsächlichen Geschäften insgesamt Verluste erzielte." Den Schaden für Banken und andere Investoren beziffern die Ermittler auf 3,2 Milliarden Euro. Für sie und die übrigen Gläubiger werde nicht viel übrig bleiben.

Ein Kronzeuge hat offenbar umfassend ausgepackt, wie Reuters schon in der vergangenen Woche berichtet hatte. Der Chef der Wirecard-Tochter CardSystems Middle East war aus Dubai nach München eingeflogen und hatte sich den Ermittlern gestellt. Diese werfen der ehemaligen Wirecard-Führungsriege nun auch gewerbsmäßigen Bandenbetrug vor. Braun, der zuerst gegen fünf Millionen Euro Kaution freigekommen war, wurde am Mittwoch erneut verhaftet. Auch gegen Ley und seinen ehemaligen Chef-Buchhalter wurden Haftbefehle ausgestellt. Der für das operative Geschäft zuständige Vorstand Jan Marsalek ist auf der Flucht.

Die Staatsanwälte rätseln noch, wie der Betrug so lange unentdeckt geblieben sein konnte, obwohl die Wirtschaftszeitung "Financial Times" und andere seit Jahren über Unregelmäßigkeiten berichtet hatten. Dort waren auch früh Zweifel an der Existenz der Partnerfirmen geschürt worden. Vor zwei Jahren war Wirecard sogar in den Leitindex Dax aufgestiegen, zeitweise war das Unternehmen fast 25 Milliarden Euro wert und galt in der Finanztechnologie als deutsches Aushängeschild. "In Vernehmungen wird von einem streng hierarchischen System, geprägt von Korpsgeist und Treueschwüren gegenüber dem Vorstandsvorsitzenden als Führungsperson berichtet", sagte die Sprecherin.

STAATSANWALTSCHAFT RECHNET MIT SCHADEN IN MILLIARDENHÖHE

Wirecard sollte durch die erfundenen Geschäfte wertvoller und finanzkräftiger erscheinen, glaubt die Staatsanwaltschaft. Auf dieser Basis hätten Banken und andere Investoren insgesamt 3,2 Milliarden Euro bereitgestellt. Das Geld sei voraussichtlich verloren. Erst eine Sonderprüfung im Frühjahr weckte auch bei den Wirtschaftsprüfern Zweifel an den Zahlen.

Der Bilanzprüfer EY stellte Mitte Juni fest, dass rund 1,9 Milliarden Euro, die angeblich auf Treuhandkonten bei philippinischen Banken lagen, nicht existierten - ebenso wie große Teile des Asien-Geschäfts. Auch für weitere, seit langem kursierende Vorwürfe sehen die Ermittler nun konkrete Anhaltspunkte. Braun und seine Manager hätten überhöhte Preise für Unternehmen gezahlt und Wirecard damit ebenfalls geschädigt.

Brauns Verteidiger war nicht für eine Stellungnahme zu erreichen. Ley, der Ende 2017 als Finanzvorstand gegangen war, aber als Berater an Bord blieb, stand bisher nicht im Zentrum des Skandals. Die Staatsanwaltschaft erklärte, er sei am Mittwoch in München festgenommen worden und habe sich nicht von sich aus gestellt. Sein Anwalt widersprach: "Mein Mandant hat sich dem Verfahren gestellt und tut dies weiterhin. Er weist die Vorwürfe zurück." Ley habe bereits freiwillig ausgesagt. Der Haftbefehl sei deshalb nicht nachvollziehbar.

Insolvenzverwalter Michael Jaffe versucht unterdessen, das verbliebene Kerngeschäft und die Wirecard Bank als Ganzes zu verkaufen, wie Insider berichten. Die von der Finanzaufsicht BaFin beaufsichtigte und abgeschirmte Bank-Tochter solle zusammen mit der zugehörigen Technik des Zahlungsabwicklers angeboten werden. Beim Verkauf des US-Geschäfts ist er bereits einen Schritt weiter. Die Investmentbank Moelis erwartet bis Freitag die ersten Gebote für die ehemalige Citi Prepaid Card Services, die Wirecard 2016 gekauft hatte. Der Verkauf sei eilig, weil die Kunden angesichts der Schlagzeilen abzuspringen drohten. Doch mögliche Bieter fürchteten die Risiken, die mit einer Übernahme verbunden sein könnten.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt

 

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Politik
Politik „Trump ist nur eine Episode“: Boltons Abrechnung mit dem Mann im Weißen Haus
18.05.2025

Während Europa nervös auf jeden Tweet aus Washington reagiert, warnt Ex-Sicherheitsberater John Bolton: Nicht Trump sprengt die NATO –...

DWN
Technologie
Technologie Cyberkriminalität: Nur ein Klick von der Katastrophe entfernt
18.05.2025

Cyberkriminalität ist zur globalen Supermacht aufgestiegen – mit höherem Schaden als die Volkswirtschaften Deutschlands und Japans...

DWN
Panorama
Panorama Whisky – die stets liquide Luxus-Geldanlage
18.05.2025

Wein, Uhren, Schmuck, Handtaschen, Kunst, Oldtimer – es gibt viele Möglichkeiten, in alternative Geldanlagen zu investieren. Die meisten...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Marokko als chinesisches Tor zur EU – doch Handelskrieg könnte Riegel vorschieben
18.05.2025

Peking investiert Milliarden in Marokkos Industrie – doch geopolitische Spannungen und der drohende Protektionismus eines möglichen...

DWN
Politik
Politik Gefängnis, Gericht, Geschichte – Stammheim 50 Jahre nach dem RAF-Prozess
18.05.2025

Vor 50 Jahren begann in Stammheim der RAF-Prozess – ein juristisches Mammutverfahren gegen den Terror. Wie viel Rechtsstaat blieb im...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Analyse: „Die alte Weltordnung ist am Ende – und sie wird nicht zurückkehren“
18.05.2025

Das Zeitalter des freien Welthandels ist vorbei – die Welt wird neu vermessen. China produziert, die USA rüsten sich, und Europa...

DWN
Politik
Politik Handelskriege auf Risiko – Trumps russisches Roulette mit der US-Wirtschaft
18.05.2025

Mit Zöllen, Drohungen und Handelskriegen will Washington die Industrie heimholen. Doch was, wenn der Revolver in der Hand des Präsidenten...

DWN
Finanzen
Finanzen Greg Abel übernimmt: Der stille Stratege hinter Warren Buffetts Milliarden-Imperium
17.05.2025

Mit dem Rückzug von Warren Buffett endet eine Ära. Doch an die Stelle des legendären Investors tritt kein charismatischer Visionär,...