Investoren aus der ganzen Welt haben im vergangenen Jahr chinesische Wertpapiere im Gesamtumfang von netto mehr als einer Billion Renminbi (etwa 125 Milliarden Euro) gekauft. Insbesondere chinesische Staatsanleihen seien bei ausländischen Anlegern gefragt gewesen, schreibt die Financial Times.
„Ich lebe seit 20 Jahren in Asien und die meiste Zeit davon war es sehr schwierig, Investoren davon zu überzeugen, sich die chinesischen Märkte einmal genauer anzuschauen“, zitiert die Zeitung einen Anleihespezialisten von Aberdeen Standard Investments. Das habe sich im vergangenen Jahr aber radikal geändert – wer nicht stärker auf China gesetzt habe, habe viel potenzielle Rendite liegengelassen. „Für jeden Investor, der China in seiner Wertpapierallokation untergewichtet hatte, was das ein sehr schmerzhaftes Jahr.“
Leuchtturm im Nullzins-Universum
Besonders starke Zuflüsse erfuhr der Markt für Staatsanleihen. Denn die Renditen chinesischer Staatsschulden liegen noch immer deutlich über jenen etablierter Anlagemärkte – obwohl das Land weitaus früher und wohl auch stärker aus der Corona-Pandemie gekommen ist als viele andere Staaten. Chinas Anleihen mit zehnjähriger Laufzeit rentieren derzeit mit rund 3,2 Prozent und sind damit attraktiver als vergleichbare Papiere aus den USA (rund 0,9 Prozent Rendite), Großbritannien (etwa 0,2 Prozent), Japan (rund 0 Prozent) oder Deutschland (minus 0,6 Prozent).
Gerade für institutionelle Investoren aus dem Westen – in deren Märkten es als Folge der Nullzinspolitik von Federal Reserve und EZB nichts mehr zu verdienen gibt und die beispielsweise im Falle von Pensionsfonds oder Versicherungen unter hohem Druck stehen, Gewinne zu erzielen um die versprochenen Ausschüttungen an die Kunden tätigen zu können – sind diese beträchtlichen Renditeunterschiede ein schlagendes Argument.
Untermauert wird die Attraktivität der Papiere nicht nur von der starken wirtschaftlichen Erholung Chinas nach der Pandemie, welche von einem zunehmend robusten Binnenkonsum vorangetrieben wird. Zusätzlich genießt das Land eine weitgehende innenpolitische Stabilität, die allerdings im Kontrast zu den außenpolitischen Spannungen mit den USA und deren Verbündeten rund um die Gebietsstreitigkeiten im Südchinesischen Meer steht. Auch die Insolvenzen mehrerer Großkonzerne in jüngster Zeit, bei denen die staatlichen Behörden nicht eingeschritten waren – könnten potenzielle Anleger von Investitionen abhalten.
Positiv wirkt der Umstand, dass die chinesische Zentralbank in den vergangenen Monaten keine expansive Geldpolitik verfolgen musste, um das Wirtschaftswachstum nach den schweren Einbrüchen im ersten Quartal 2020 zu stimulieren. Als Folge davon verfügt die Volksbank noch immer über eine weitreichende geldpolitische Feuerkraft, während andere Zentralbanken im gleichen Zeitraum Billionen aus dem Nichts geschaffen und in die Finanzmärkte geleitet haben, was sich als Hypothek für die entsprechenden Währungen erweisen könnte.
Zum Vergleich: Der Leitzins im Euroraum liegt derzeit bei 0 Prozent, im Dollarraum bei 0 bis 0,25 Prozent, in Japan bei minus 0,1 Prozent, in Großbritannien bei 0,1 Prozent und in China bei 3,85 Prozent.
Verstärkt wird die gute Positionierung an den Anleihemärkten von einer Politik der schrittweisen Öffnung, welche die Regierung seit einiger Zeit mit Blick auf die heimischen Finanzmärkte verfolgt und die sich schon 2019 in der Entscheidung namhafter Indexanbieter niedergeschlagen hatte, chinesische Anleihen und Aktien in ihr Sortiment aufzunehmen und so einem breiten internationalen Publikum als Anlageform zugänglich zu machen. Im laufenden Jahr steht mit der Aufnahme chinesischer Staatsanleihen in den bedeutsamen World Government Bond Index des Anbieters FTSE Russell der nächste Meilenstein bevor.
Hongkong als Hafen für ausländische Investoren
Eine zentrale Bedeutung kommt dabei der Sonderverwaltungszone Hongkong zu. Deren Börsen und Wertpapieraufsichtsbehörden unterhalten Kooperationsmechanismen mit den wichtigsten Börsen in Festlandchina – namentlich mit den Finanzzentren Schanghai und Shenzhen.
Chinesen und ausländische Investoren können mithilfe dieses Mechanismus seit 2014 über den Knotenpunkt Hongkong Wertpapiere handeln – rund 2000 sind inzwischen für den Handel freigegeben. Der Financial Times zufolge soll der in ausländischer Hand befindliche Bestand an chinesischen Staatsanleihen in Hongkong alleine in den ersten elf Monaten des vergangenen Jahres um mehr als 900 Milliarden Renminbi (rund 113 Milliarden Euro) gestiegen sein.
Bemerkenswert ist, dass die chinesischen Finanzmärkte bereits in den vergangenen Jahren –trotz der konfrontativen China-Politik von US-Präsident Donald Trump (Handelskrieg, Sanktionspolitik usw.) – einen deutlichen Zustrom von ausländischem Kapital verzeichnen konnten. Netto sollen in der Amtszeit Trumps (Anfang 2017 bis Anfang 2021) Schätzungen zufolge etwa 620 Milliarden US-Dollar in das aufstrebende ostasiatische Land geflossen sein.
„Wir leben im asiatischen Jahrhundert“
Die deutsche Wirtschaft sieht die gesamte Region Asien gestärkt aus der Corona-Pandemie hervorgehen. Die bevölkerungsreichste Weltregion weise bereits seit Jahren die höchsten Wachstumsraten beim Bruttoinlandsprodukt auf, erklärte der Asien-Pazifik-Ausschuss der deutschen Wirtschaft (APA) Ende 2020. „Die Covid-19-Pandemie beschleunigt diesen langfristigen Trend, da insbesondere die jungen und technikaffinen Volkswirtschaften wie Indonesien die Vorteile der zunehmenden Digitalisierung für sich zu nutzen wissen.“
Länder wie China, Japan, Südkorea, Singapur und Vietnam hätten die Pandemie vergleichsweise gut bewältigt und erholten sich nun schneller als Europa oder die USA. „Die Einlassung, dass das 21. Jahrhundert das asiatische Jahrhundert sein wird, ist keine Prognose, sondern spiegelt Realitäten wider", sagte der APA-Vorsitzende Joe Kaeser zu Reuters.
Für die exportorientierte deutsche Wirtschaft dürfte der Umsatzanteil Asiens und insbesondere Chinas zunehmen, erwartet die Organisation. Darauf stellten sich die Unternehmen ein, indem sie ihre Präsenz dort ausbauen. „Asien ist nicht nur der wichtigste Wachstumsmarkt, sondern längst auch ein wichtiger Innovationsstandort“, hieß es dazu. „Für die globale Strategie vieler Unternehmen wird es immer wichtiger, nicht nur mit Produktion, sondern auch mit Forschung und Entwicklung in Asien vor Ort zu sein.“
China führt die potenteste Freihandelszone der Welt an
Mit dem neuen Freihandelsblock RCEP entstehe unter Führung Chinas zudem ein asiatischer Binnenmarkt, der im Design vergleichbar sei mit der EU, „aber im Potenzial um Längen überlegen ist“, sagte der scheidende Siemens-Chef Kaeser. „Während die USA mit Wahlergebnissen und die EU mit Brexit mit sich selbst beschäftigt sind, baut China seinen Anspruch auf wirtschaftliche Vormachtstellung in der Welt konsequent und zielstrebig aus.“
Eine Neuordnung des transatlantischen Verständnisses über ökonomische Zusammenarbeit könnte den Vorsprung Chinas bei der Prägung einer zukünftigen Weltwirtschaftsordnung aufholen. „Dabei ist allerdings fraglich, ob die EU in ihrer derzeitigen Verfassung ein Partner auf Augenhöhe für die USA sind“, wird Kaeser zitiert.
Die Formulierung einer gemeinsamen Außenwirtschaftspolitik der EU sei Voraussetzung für einen Dialog auf Augenhöhe mit den USA und China. „Ob das ohne eine grundlegende Reform der EU geht, ist allerdings fraglich“. Kaeser erkennt vor allem beim Thema Nachhaltigkeit die große Chance für Europa, eine globale Führungsrolle einzunehmen. „Eine effektive Umsetzung von wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Nachhaltigkeitskonzepten macht uns attraktiv und wettbewerbsfähig.“