Politik

Nach Studenten-Demos: Erdogan ermächtigt Polizei und Geheimdienst zum Einsatz von Panzern

Gemäß einem neuen Gesetz dürfen die türkische Polizei und der Geheimdienst MIT Panzer und weitere schwere Waffen einsetzen, um gegen Demonstranten vorzugehen. Seit über einer Woche toben an einer Istanbuler Universität linke und sozialdemokratische Studenten-Proteste gegen die Regierung. Der englischsprachige Dienst der „Deutschen Welle“ führt aus: „Die renommierte Boğaziçi-Universität in Istanbul ist dafür bekannt, linke Anliegen zu fördern“.
09.01.2021 16:58
Aktualisiert: 09.01.2021 16:58
Lesezeit: 2 min
Nach Studenten-Demos: Erdogan ermächtigt Polizei und Geheimdienst zum Einsatz von Panzern
Ein Student der Bogazici Universität tritt während einer Demonstration gegen ein Schild eines Polizisten. (Foto: dpa) Foto: Zeynep Kuray

Ein neues Gesetz, das am 7. Januar im türkischen Amtsblatt veröffentlicht wurde, ermächtigt die türkische Polizei und den nationalen Geheimdienst MIT, militärische Ausrüstung und schwere Waffen gegen Vorfälle wie Proteste, Demonstrationen und Terroranschläge einzusetzen, die „die nationale Sicherheit, die öffentliche Ordnung und die Sicherheit bedrohen“. Die türkische Polizei und der MIT dürfen somit künftig sogar Panzer aus dem Inventar der türkischen Streitkräfte einsetzen, wenn dies erforderlich ist.

Das neue Gesetz folgt großen Studentenprotesten in dieser Woche wegen der Ernennung eines neuen Rektors an der Boğaziçi-Universität in Istanbul, der Mitglied der Regierungspartei AKP ist. Die Boğaziçi-Universität ist eine der Hochburgen der Linken und Sozialdemokraten. Der englischsprachige Dienst der „Deutschen Welle“ führt aus: „Die renommierte Boğaziçi-Universität in Istanbul ist dafür bekannt, linke Anliegen zu fördern, die sie in der Vergangenheit zu einem Regierungsziel gemacht haben.“

„Die Studentenproteste gegen den neuen Rektor an der Boğaziçi-Universität waren die größten in den letzten vier oder fünf Jahren. Aus ihren Aussagen und Reaktionen geht hervor, dass die Regierung sehr besorgt ist. Daher stellt diese neue Gesetzgebung keinen Zufall dar“, sagte Ali Tirali, Vorstandsmitglied der Social Democracy Foundation (SODEV) der Online-Zeitung „Balkan Insight“.

Der Vorsitzende der Nationalen Bewegungpartei (MHP), die mit der Regierungspartei AKP koaliert, Devlet Bahçeli, sagte: „Der Widerstand gegen einen rechtmäßig ernannten Rektor mit terroristischen Methoden vorzugehen und die Absicht, einen zweiten Gezi-Park-Putsch zu schaffen, ist eine Verschwörung, die sofort zerschlagen werden sollte.“

Die Regierung von Präsident Erdoğan verurteilte die jüngsten Proteste, und die Studenten und Akademiker wurden von der Polizei mit Gummigeschossen und Tränengas zerstreut. Dutzende Studenten wurden während und nach dem Protest von Spezialoperationsteams der Polizei festgenommen. Tirali sagte, die Regierung verliere die Unterstützung und habe keine andere Wahl, als die Öffentlichkeit mit Angst zu kontrollieren. „Die Regierung findet es schwierig, ihre Macht über die Bürger aufrechtzuerhalten, und jetzt versuchen sie, ihre Macht mit brutaler Gewalt und Angst aufrechtzuerhalten“, so Tirali im Zusammenhang mit der Militarisierung der Polizei. Tirali meint, dass es weltweit einen Trend zur Militarisierung der Polizei gebe. Das sei ein Trend, der in der Türkei nun besonders ausgeprägt sei.

Das „Stockholm Freedom Center“ führt aus: „Mehmet Yılmaz von der T24-Nachrichten-Website fragte in einer Kolumne, was der MIT mit militärischen Waffen vorhabe. ,Vergiss die Polizei. Was wird der MIT mit schweren Waffen machen? Wird der MIT seine gesetzlichen Grenzen überschreiten und einen Krieg führen? Kann die CIA einen Militärpanzer einsetzen? Besitzt der MI6 einen Flugzeugträger? Der Journalist Erk Acarer von der Tageszeitung Birgün sagte, der Staat plane, Militärpanzer gegen sein eigenes Volk einzusetzen. Die türkische Regierung wird von Menschenrechtswächtern häufig dafür kritisiert, dass sie die Versammlungsfreiheit einschränkt. Laut Amnesty International gibt es starke Einschränkungen der Rechte auf freie Meinungsäußerung und friedliche Versammlung in der Türkei. Die Behörden verbieten willkürlich Demonstrationen und wenden unnötige und übermäßige Gewalt an, um friedliche Demonstranten zu zerstreuen.“

Studierende protestieren seit Montag gegen die Ernennung von Melih Bulu zum Direktor der Boğaziçi-Universität durch Erdoğan. Sie kritisieren unter anderem die Nähe Bulus zur AKP. Die Studenten verurteilten die Ernennung aber auch als undemokratisch und gegen die Tradition der Universität, ihre Direktoren selbst zu wählen. Seit Inkrafttreten des Präsidialsystems im Juli 2018 ist Erdoğan alleine berechtigt, Rektoren an staatlichen Universitäten einzusetzen. Bereits mit dem Ausnahmezustand nach dem Putschversuch 2016 war den Hochschulen das Recht entzogen worden, ihre Direktoren selbst zu wählen. Erdoğan verteidigte die Einsetzung Bulus. Er sei in Einklang mit geltendem Recht eingesetzt worden und sei „angemessen“ für die Position.

Erdoğan hatte die Proteste als von Terroristen initiiert bezeichnet. „Dahinter stecken ja keine Studenten, das sind Terroristen, die dahinterstecken“, zitiert die dpa Erdogan. Die Oppositionspolitikerin Canan Kaftancıoğlu, die sich mit den Protestierenden solidarisiert hatte, nannte Erdoğan eine „Militante“ der marxistisch-leninistischen Untergrundorganisation DHKP-C in der Türkei.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen MTS Money Transfer System – Sicherheit beginnt mit Eigentum.

In Zeiten wachsender Unsicherheit und wirtschaftlicher Instabilität werden glaubwürdige Werte wieder zum entscheidenden Erfolgsfaktor....

DWN
Unternehmensporträt
Unternehmensporträt Schmuck aus Holz und Stein: Holzkern – wie Naturmaterialien zum einzigartigen Erfolgsmodell werden
07.11.2025

Das Startup Holzkern aus Österreich vereint Design, Naturmaterialien und cleveres Marketing zu einem einzigartigen Erfolgsmodell. Gründer...

DWN
Finanzen
Finanzen Wall Street: Wie die Märkte alle Warnsignale ignorieren
07.11.2025

Die Wall Street kennt derzeit nur eine Richtung – nach oben. Während geopolitische Krisen, Schuldenstreit und Konjunkturrisiken...

DWN
Politik
Politik Donald Trump: Warum die Wahlsiege der Demokraten kein Wendepunkt sind
07.11.2025

Vier Wahlsiege der Demokraten in Folge, und doch kein politisches Erdbeben: Donald Trump bleibt erstaunlich unerschüttert. Während die...

DWN
Politik
Politik Pistorius will mehr Mut und neue Führungskultur in der Bundeswehr
07.11.2025

Angesichts russischer Bedrohungen und interner Bürokratie fordert Verteidigungsminister Boris Pistorius tiefgreifende Reformen in der...

DWN
Panorama
Panorama Mehr Mobbing in Schule, Beruf und Netz – Studie warnt vor zunehmender Schikane
07.11.2025

Mobbing ist längst kein Problem von gestern: Eine aktuelle Studie zeigt, dass immer mehr Menschen sowohl am Arbeitsplatz als auch online...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Rheinmetall startet Satellitenproduktion – Rüstung geht jetzt ins All
07.11.2025

Rheinmetall, bisher vor allem bekannt für Panzer, Haubitzen und Drohnen, wagt den Schritt ins Weltall. Der deutsche Rüstungskonzern hat...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Sichtbar mit KI: Wie KMU auf ChatGPT und Gemini gefunden werden
07.11.2025

Nach der Einführung von Googles KI-Übersicht ist der Website-Traffic im Schnitt um sieben Prozent gesunken. Klassisches SEO verliert an...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Teure Naschzeit: Preise für Schoko-Weihnachtsmänner steigen deutlich
07.11.2025

Süße Klassiker wie Schoko-Weihnachtsmänner, Dominosteine und Lebkuchen gehören für viele zur Adventszeit dazu – doch in diesem Jahr...