China hat im Südchinesischen Meer starke Einheiten zusammengezogen, angeblich für eine Reihe von Manövern. Seit Donnertag befinden sich Teile der taiwanesischen Streitkräfte im Kampfmodus, angeblich ebenfalls für Manöver-Zwecke. Derweil ist der wichtigste Verbündete des 24-Millionen-Einwohner-Landes, die USA, komplett mit sich selbst beschäftigt, wobei es sogar unklar ist, ob der amtierende Präsident faktisch überhaupt noch Oberkommandierender der US-Streitkräfte ist, und wenn nicht, wer dann? Mit anderen Worten: Die Möglichkeit besteht, dass China, das Taiwan nicht als souveränen Staat, sondern als abtrünnige Provinz betrachtet, die Gunst der Stunde nutzt, um sich den Inselstaat – der circa 130 Kilometer vom chinesischen Festland entfernt liegt – wieder einzuverleiben.
Chinas Manöver
Fest steht: China hält derzeit drei Manöver im Südchinesischen Meer ab (die DWN veröffentlichten darüber letzte Woche eine ausführliche Analyse). Dabei setzt die Volksbefreiungsarmee (VBA) auch das Riesentransportflugzeug Y20 ein, das gewaltige Massen an Mensch und Kriegsmaterial zu transportieren in der Lage ist. Weiterhin die Hyperschall-Rakete DF-17, wie die South China Morning Post heute gemeldet hat. Mit ihrer Reichweite von circa 2.500 Kilometern kann sie sowohl Taiwan erreichen, aber auch Stützpunkte der US-Truppen in Japan und Südkorea. Darüber hinaus hat die 72. Armee der VBA – die laut taiwanesischen Militärexperten der wichtigste Akteur eines Angriffs auf die Insel darstellen würde – Mitte Dezember in der 6-Millionen-Einwohner-Stadt Hangzhou an der chinesischen Ostküste ein großes Manöver abgehalten. Geübt wurde vor allem der Straßen- und Häuserkampf – der den chinesischen Truppen bei einer Invasion Taiwans mit ziemlicher Sicherheit bevorstehen würde.
Hingewiesen sei auch darauf, dass chinesische Kampfflugzeuge nach Angaben der Regierung in Taipeh im Jahr 2020 so oft wie nie zuvor in den taiwanesischen Luftraum eindrangen , nämlich 380mal, also rund einmal pro Tag.
Taiwans Manöver
Was Taiwan anbelangt: Seit Donnerstag hält die „269. Mechanisierte Infanterie-Brigade“ an der China gegenüberliegenden Westküste der Insel ein großes Manöver ab, an der auch die Luftwaffe teilnimmt. Bei den Übungen gelangen unter anderem Panzer, schwere Geschütze, Granatwerfer, Scharfschützen, Hubschrauber und Kampfflugzeuge zum Einsatz. Darüber hinaus hat die taiwanesische Armee am Donnerstag Boden-zu-Boden-Raketen des Typs „Hsiung IIE“ (HF-2E) – ein taktisches Marschflugkörpersystem – getestet.
Eine ominöse Aussage
Montag dieser Woche hat Chinas Präsident Xi Jinping dem „Nationalen Verteidigungsgesetz“ eine interessante Bestimmung hinzugefügt. Im Kern erweitert sie das Aufgabengebiet der chinesischen Streitkräfte und weist der Volksrepublik als Akteur auf internationaler Ebene eine größere Rolle zu. Unter anderem heißt es, China werde verstärkt „die weltweite Sicherheit gewährleisten“ – ein Satz, der sich auf unterschiedliche Weise interpretieren lässt. In der Bestimmung wird weiterhin die Weiterentwicklung der Volksbefreiungsarmee thematisiert. Der chinesische Militär-Experte Song Zhongping sagte dem Staatsorgan „Global Times“, es gehe „um die zukünftige Entwicklung der Bewaffnung, auf Grundlage des Ziels, einen zukünftigen Krieg zu gewinnen“.
Ebenfalls am Montag hat Xi die Truppen dazu aufgefordert, in der Lage zu sein, „in Sekundenbruchteile zu agieren“ und sich „ständig in Kampfbereitschaft“ zu halten. Am bemerkenswertesten war jedoch diese Aussage: „Die Armee muss Spannung an der Frontlinie nutzen, um ihren Fähigkeiten den letzten Schliff zu verleihen.“ Spannungen an der Frontlinie – was genau ist damit gemeint? In diesem Zusammenhang soll darauf hingewiesen werden, dass der Präsident häufiger eine aggressiv-militärische Rhetorik pflegt, als Freund des Friedens will er sich offensichtlich nicht präsentieren. Was Taiwan angeht: Vor ziemlich genau zwei Jahren drohte Xi der Insel, die Wiedervereinigung mit Festland-China mit Waffengewalt zu erzwingen: „Wir geben kein Versprechen ab, auf die Anwendung von Gewalt zu verzichten.“
Schutzmacht Amerika
Eins steht fest: Gemessen an der Zahl seiner Einwohner und seiner wirtschaftlichen Möglichkeiten verfügt Taiwan über militärisch weit überdurchschnittliche Fähigkeiten. Einem Angriff der zweitstärksten Militärmacht der Welt könnte die Inselrepublik aber selbstverständlich nicht standhalten. Darum hat sie vor einiger Zeit damit begonnen, ein Konzept der asymmetrischen Kriegsführung zu entwickeln. Das Ziel: Den angreifenden chinesischen Truppen Verluste von solcher Tragweite zuzufügen, dass Peking von einer Invasion absieht.
Noch mehr als auf seine Streitkräfte und sein neu entwickeltes Verteidigungskonzept vertraut Taiwan jedoch auf die Schutzmacht USA. In mehreren bilateralen Vereinbarungen hat sich Washington unter anderem dazu verpflichtet, Taiwan mit Waffen zu unterstützen – was es regelmäßig tut, der Wert der Lieferungen beträgt über die Jahre gesehen viele zehn Milliarden Dollar. Erst im Oktober 2020 hat sich die Trump-Regierung dazu verpflichtet, unterschiedliche Waffen – darunter Raketen und Artillerie-Geschütze – im Wert von 1,8 Milliarden Dollar an seinen Verbündeten zu liefern. Was nicht existiert, ist eine Verpflichtungserklärung der Vereinigten Staaten, im Falle eines chinesischen Angriffs der Inselrepublik zu Hilfe zu kommen. Ob sie es täten, ist Gegenstand zahlreicher politischer, wissenschaftlicher und militärstrategischer Diskussionen – die Meinungen sind geteilt. Aber: Die Option besteht – ist China wirklich bereit, dieses Risiko einzugehen?
Eine günstige Gelegenheit?
Wenn, dann böte sich genau jetzt die Möglichkeit. Seit dem Sturm auf das US-Capitol ist Amerika nur noch mit sich selbst beschäftigt. Derzeit versuchen die Demokraten, im von ihnen dominierten Kongress mit Hilfe einer Handvoll von Republikanern ein Amtsenthebungsverfahren gegen Trump in die Wege zu leiten. Die Chefin des Repräsentantenhauses (und nach dem Präsidenten und dem Vizepräsidenten die Nummer drei im Staat), Nancy Pelosi, hat nach eigener Aussage mit Angehörigen des Generalstabs über Vorkehrungen gesprochen, die verhindern sollen, dass „ein instabiler Präsident militärische Auseinandersetzungen entfacht oder … einen Atomschlag anordnet“. Der Chef des Generalstabs, Mark Milley, hat das Gespräch von seinem Sprecher bestätigen, aber keine Inhalte des Gesprächs preisgeben lassen.
Der renommierte China-Experte Steve Tsang von der „University of London“ hat in einem im August letzten Jahres veröffentlichten Interview gesagt, er gehe davon aus, dass China Taiwan „in den nächsten 20 Jahren“ angreifen und erobern werde. Vor zwei Tagen schrieb die FAZ: „Mal angenommen … Es kommt zu einer Verfassungskrise und einem großen Durcheinander (in den USA – Anm. d. Red.)“ Anschließend zitiert sie Tsang mit einer kürzlich gemachten Aussage: „Peking würde darin eine Gelegenheit sehen, die nur alle tausend Jahre wiederkehrt.“
Die Augen der Welt sind derzeit auf das Geschehen in Washington gerichtet. Vielleicht spielen sich jedoch derzeit rund um eine kleine Insel im Westpazifik Ereignisse ab, die den Lauf der Geschichte stärker beeinflussen werden.