Politik

Merkel will Lockdown bis Ostern aufrechterhalten

Bundeskanzlerin Angela Merkel will den Lockdown bis Ostern aufrechterhalten. Werden die Pläne realisiert, dürften große Teile des Einzelhandels zusammenbrechen und eine massive Insolvenzwelle im Verlauf des Jahres folgen.
12.01.2021 11:30
Aktualisiert: 12.01.2021 11:30
Lesezeit: 3 min

Bundeskanzlerin Angela Merkel rechnet einem "Bild"-Bericht zufolge damit, dass der Corona-Lockdown noch bis Anfang April dauern muss. Die Zeitung beruft sich auf Teilnehmer der Sitzung der AG Innen der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. "Wenn wir es nicht schaffen, dieses britische Virus abzuhalten, dann haben wir bis Ostern eine zehnfache Inzidenz. Wir brauchen noch acht bis zehn Wochen harte Maßnahmen", zitierte "Bild" am Dienstag Merkel unter Berufung auf Sitzungsteilnehmer und den Verweis auf die in Großbritannien aufgetretene infektiösere Virus-Mutation. Bislang ist der Lockdown bis zum 31. Januar geplant.

Die Virus-Mutation ist nach Angaben von Merkel so gefährlich, weil es sehr viel ansteckender ist und deshalb einen höheren R-Wert aufweist. "Das neue Virus hat einen etwa 0,3 bis 0,4 höheren R-Wert", sagt die Kanzlerin in der Sitzung der CDU/CSU-Bundestagsfraktion nach Teilnehmerangaben. Der Wert gibt an, wie viele andere Menschen ein Infizierter rechnerisch ansteckt. "Wenn dieses Virus die Oberhand hätte, hätten wir deshalb einen deutlich höheren R-Wert. Wir müssen deshalb die Ausbreitung dieses neuen Virus strecken", warnt sie den Angaben zufolge. Den R-Wert des herkömmlichen Virus gibt das Robert-Koch-Institut derzeit über Eins an - danach läge die Ansteckungswirkung der Mutation bei 1,3 oder 1,4.

Scholz beschwichtigt

Bundesfinanzminister Olaf Scholz will sich nicht festlegen, ob der Teil-Lockdown in Deutschland über Januar hinaus verlängert werden könnte. "An dieser Stelle macht es keinen Sinn zu spekulieren", sagte der SPD-Politiker am Dienstag in einem Reuters-Interview beim Digitalforum "Reuters Next". Die in Deutschland ergriffenen Maßnahmen zielten darauf ab, die Lage zu verbessern und die Lockdown-Situation zu verlassen. "Niemand weiß, wann genau das möglich sein wird", sagte Scholz in dem auf Englisch geführten Interview. Die große Aufgabe der kommenden Monate werde die Impfung der Bevölkerung sein.

Die Auswirkungen des Teil-Lockdowns auf die deutsche Wirtschaft sind derzeit nach den Worten von Scholz nicht allzu schwerwiegend. Der Wirtschaft gehe es besser als irgendjemand vor sechs Monaten erwartet habe. Dies sei auch den zahlreichen Finanzhilfen der Bundesregierung zu verdanken.

Zerstörung des deutschen Einzelhandels droht

Sollte der Lockdown tatsächlich so lange aufrechterhalten werden, dürfte von der deutschen Wirtschaft und insbesondere vom Einzelhandel nicht mehr viel übrig bleiben. Derzeit haben viele Unternehmen noch nicht einmal die versprochenen Hilfen für November erhalten.

Das Jahr 2021 könnte für viele vom Lockdown betroffenen Handelsunternehmen dem Branchenverband HDE zufolge in der Insolvenz enden. Rund 80 Prozent der Händler gehen davon aus, dass die derzeitigen Hilfsmaßnahmen nicht zur Existenzsicherung reichen, wie der HDE zu einer Umfrage unter 1500 Firmen mitteilt. Deshalb müsse das Bundesfinanzministerium die Überbrückungshilfen dringende an die Lage der Branche anpassen. Viele Betriebe blickten pessimistisch auf das gerade begonnene Jahr: "23 Prozent rechnen damit, dass sie ohne weitere staatliche Unterstützung im ersten Halbjahr aufgeben müssen, für das zweite Halbjahr liegt dieser Wert sogar bei weiteren 28 Prozent."

Die Industrie hat vor einem kompletten Herunterfahren der Wirtschaft in der Corona-Krise gewarnt. Der neue Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, sagte am Dienstag in Berlin, es gebe keine Evidenz dafür, dass in Industrieunternehmen Hotspots entstünden. Falls die Produktion in der Industrie etwa für vier Wochen ganz heruntergefahren würde, dauere es weitere vier Wochen, um sie wieder hochzufahren. Dies würde dann nicht ohne Folgen für das Wirtschaftswachstum bleiben.

Die Präsidentin des Verbandes der Automobilindustrie (VDA), Hildegard Müller, sagte, es gebe keinen Grund, warum in der deutschen Automobilindustrie Werke geschlossen werden sollten. "Die Betriebe und die unserer Kunden haben sehr hohe Arbeitsschutzstandards und detaillierte Hygienekonzepte. Deshalb haben wir auch keine außergewöhnlichen Infektionsherde in der Automobilindustrie. Wenn unsere Unternehmen die Produktion einstellen müssten, würde dies sofort auch die Betriebe und Beschäftigten in anderen Staaten treffen. Die Lieferketten laufen durch ganz Europa und die Welt, eine Unterbrechung in Deutschland hätte globale Auswirkungen." Eine laufende Produktion in der Industrie sichere die Einkommen vieler Menschen und sei Voraussetzung für die Finanzierung aller Aufgaben des Staates - einschließlich der Abtragung der immensen Staatsschulden, die sich durch die Corona noch einmal erheblich erhöht haben, so Müller.

Das Verband der Familienunternehmer mahnt raschere Hilfe für Firmen in der Corona-Krise an. "Von schnell kann keine Rede sein und unbürokratisch ist das Prozedere auch nicht, sagt Verbandspräsident Reinhold von Eben-Worlée. Es herrsche große Verunsicherung aufgrund der "völligen Intransparenz beim Anmeldeverfahren" und bei den Beihilfe-Bedingungen. So habe sich erst in der vergangenen Woche herausgestellt, dass die Betriebe neben einem Umsatzeinbruch nun auch noch einen Reinverlust vorweisen müssten, um finanzielle Hilfen zu erhalten: "Das reduziert wiederum die Gruppe der Anspruchsberechtigen in einem beträchtlichen Ausmaß." Beim Umsetzen der Hilfen hapere es bis heute "gewaltig an den allermeisten Stellen".

Bund und Januar hatten zuletzt den Lockdown bis Ende Januar verlängert. Das bedeutet, dass die Gastronomie weiter geschlossen bleibt, zudem Dienstleistungsbetriebe wie Friseure sowie weite Teile des Handels.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
DWN
Politik
Politik Ökonom Fratzscher: Feiertagsdiskussion ist „Phantomdebatte“
29.12.2025

Wegfallende Feiertage: Aus Arbeitnehmersicht liegen einige Feiertage 2026 ungünstig. Linke und Grüne fordern Ersatz unter der Woche. Ein...

DWN
Politik
Politik BKA-Chef: Russland will unsere Demokratie schwächen
29.12.2025

Russische Sabotage und Spionage nehmen laut BKA-Präsident Münch zu. Er fordert: Deutschland braucht bessere Daten zu Drohnenüberflügen.

DWN
Finanzen
Finanzen Änderungen 2026: Rente, Mindestlohn, Familienleistungen – das ändert sich im neuen Jahr
29.12.2025

Im neuen Jahr 2026 gibt es einige neue Regelungen, die Verbraucher kennen sollten. In den Bereichen Steuern, Strompreise, Kfz-Versicherung...

DWN
Immobilien
Immobilien Immobilienkauf: Eigentumswohnungen werden erschwinglicher aber nicht für alle
29.12.2025

Eigentumswohnungen sind in Deutschland laut Kreditvermittler Interhyp wieder für mehr Menschen bezahlbar geworden. In fünf Metropolen ist...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Jahreswechsel: Ansturm auf Feuerwerk für Silvester
29.12.2025

Pyrotechnik für den Jahreswechsel darf seit Montag verkauft werden. Mancherorts gab es vor Läden lange Schlangen.

DWN
Politik
Politik Moskau: Lösung des Ukraine-Kriegs kommt voran
29.12.2025

Greifbare Ergebnisse hat das Treffen zwischen Trump und Selenskyj nicht gebracht. Der echte Verhandlungsprozess sei von anderen angestoßen...

DWN
Politik
Politik Teure Mieten, hohe Steuern, weniger Kinder: Auswanderungen aus Deutschland weiterhin auf hohem Niveau
29.12.2025

Nach wie vor wandern sehr viele Menschen aus Deutschland aus, gleichzeitig bekommen Deutsche immer weniger Kinder: Eine fatale Entwicklung...

DWN
Finanzen
Finanzen Strategische Aktienauswahl: Diese 4 Kriterien führen zu langfristigem Anlageerfolg
29.12.2025

Die richtige Aktienauswahl entscheidet langfristig über Erfolg oder Misserfolg an den Märkten. Doch welche grundlegenden Kriterien sind...