Politik

Bundesregierung verlängert Lockdown bis Mitte Februar

Die Menschen in Deutschland brauchen in der Corona-Pandemie weiter Geduld: Bund und Länder haben den Lockdown bis Mitte Februar verlängert.
20.01.2021 09:00
Aktualisiert: 20.01.2021 09:26
Lesezeit: 5 min
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Die Menschen in Deutschland brauchen in der Corona-Pandemie weiter Geduld: Bund und Länder haben den Lockdown aus Sorge über die Virusmutation bis Mitte Februar verlängert. Auch Schulen und Kitas sollen nach dem Beschluss vom Dienstagabend bis dahin weiter geschlossen bleiben. Doch deutete sich an, dass die Länder diese umstrittene Entscheidung unterschiedlich umsetzen werden.

So kündigte Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) noch am Abend an, Grundschulen und Kitas voraussichtlich vom 1. Februar an schrittweise und vorsichtig wieder öffnen zu wollen - "wenn die Infektionslage das zulässt". Mecklenburg-Vorpommern dagegen schärfte in den Schulen und Kitas nach: In zwei Landkreisen mit höheren Infektionszahlen dürfen sie nur noch für eine Notbetreuung öffnen. Über den Umgang mit den Schulen hatten Bund und Länder in der stundenlangen Sitzung leidenschaftlich diskutiert. Die Verhandlung sei geprägt gewesen von der Frage, was man Eltern und Kindern zumuten könne, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel.

Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND/Mittwoch): "Die Schulen und Kitas weiterhin nahezu vollständig geschlossen zu halten, gehört sicherlich zu den härtesten politischen Entscheidungen zu Beginn dieses Jahres." Aber sie sei angesichts der Entwicklung der Pandemie notwendig. Bundesfamilienministerin Franziska Giffey forderte klare Perspektiven für Kinder und Eltern. "Sobald es das Infektionsgeschehen zulässt, müssen Kinderbetreuungsangebote dann mit als erstes wieder öffnen", sagte die SPD-Politikerin den Zeitungen der Funke Mediengruppe (Mittwoch).

Der Präsident des Deutschen Lehrerverbands, Heinz-Peter Meidinger, sagte der "Augsburger Allgemeinen", er hoffe, dass Mitte Februar an den Schulen "der große Einstieg wieder gelingt". Die Entscheidung von Bund und Ländern, die Einrichtungen bis zum 14. Februar weitgehend geschlossen zu halten, trägt der Verband demnach mit. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) beklagte, dass die Länder wieder selbst entscheiden können, "wie sie die Vereinbarung umsetzen". GEW-Chefin Marlis Tepe sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (Mittwoch): "Damit bleibt es beim föderalen Flickenteppich in der Bildung." Grundsätzlich begrüße die Gewerkschaft, dass die Präsenzpflicht weiter ausgesetzt sei.

Verschärfung bei Masken

Bei den Bund-Länder-Gesprächen wurden einige Regeln verschärft. So müssen in Bus und Bahn sowie beim Einkaufen die besser schützenden FFP2-Masken oder OP-Masken getragen werden - Alltagsmasken aus Stoff reichen nicht mehr aus. Ab wann die neuen Regeln gelten, entscheiden die Bundesländer selbst. Am Mittwoch beraten mehrere Landesregierungen darüber.

Strengere Regeln sind auch am Arbeitsplatz vorgesehen. Arbeitgeber müssen Arbeit im Homeoffice zulassen, wenn das möglich ist. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) forderte die Beschäftigten und Unternehmen auf, die neuen Homeoffice-Möglichkeiten massiv zu nutzen. Zugleich warnte er in "Bild live" Arbeitgeber davor, die Möglichkeit zum Homeoffice willkürlich abzusagen und kündigte Kontrollen an. Der parlamentarische Geschäftsführer der Linksfraktion, Jan Korte, kritisierte, eine Homeoffice-Pflicht hätte schon viel früher kommen müssen.

Merkel sagte, die Mutation mache das Virus wahrscheinlich deutlich ansteckender. "Noch ist gewissermaßen Zeit, die ganze Gefährlichkeit auch einzudämmen." Dafür müsse aber jetzt gehandelt werden, sonst könnten die Infektionszahlen schnell stark ansteigen. Es gehe um Vorsorge für das Land und die Bürger, aber auch für Wirtschaft und Arbeitswelt.

Derzeit sind die Zahlen nach Experteneinschätzung noch viel zu hoch, um Lockerungen wagen zu können. "Aktuell sind wir bei knapp unter 5000 Intensivpatienten in Deutschland - da müssen wir noch deutlich runter", teilte die Deutsche Interdisziplinäre Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin der "Rheinischen Post" mit. Die Zahl der binnen sieben Tagen gemeldeten Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner (Sieben-Tage-Inzidenz) lag am Mittwoch bei 123,5 - als Zielwert gelten 50.

Der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, sagte: "Der im Dezember beschlossene harte Lockdown wirkt. Das sehen wir an der allmählich zurückgehenden Zahl der Neuinfektionen und an der sich etwas stabilisierenden Lage auf den Intensivstationen.

Die SPD-Chefs Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans begrüßten die Bund-Länder-Beschlüsse. Die Menschen seien zunehmend mürbe von den Beschränkungen im privaten Bereich. Deshalb sei es richtig, hier keine weiteren Einschränkungen vorzunehmen, sagte Esken. "Stattdessen sollten wir das Arbeitsleben in den Fokus nehmen und wo immer möglich Homeoffice gestatten und nutzen."

Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen kritisierte ein zu unentschlossenes Agieren im Wettlauf gegen die Virus-Mutationen. "Gegen die neue Bedrohungslage reichen die alten Maßnahmen mit ein paar Zusätzen nicht", sagte der Bundestagsabgeordnete der Deutschen Presse-Agentur. Schnelltests für den Eigengebrauch wären eine wichtige Ergänzung.

FDP-Vize Wolfgang Kubicki warf Merkel vor, eine nicht nachvollziehbare Politik zu machen. Seit Ende Oktober höre man ausschließlich Durchhalteparolen, dass "in wenigen Wochen" Lockerungen kommen würden, sagte er dem Internetportal watson. Merkel wolle den einmal eingeschlagenen Weg "koste es, was es wolle", durchbringen.

Der Deutsche Städtetag hält die Verlängerung des Lockdowns und die zusätzlichen Maßnahmen für nötig. Städtetagspräsident Burkhard Jung sagte der dpa: "Wir brauchen jetzt noch einmal eine große gemeinsame Kraftanstrengung im Kampf gegen die Pandemie, um die Welle der Infektionen zu brechen."

Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) schlug ein Telefonierverbot im öffentlichen Nahverkehr wie in Spanien vor. "Das würden wir sehr stark unterstützen", sagte Verbandspräsident Ingo Wortmann am Mittwoch im Deutschlandfunk. Denn es gebe Fahrgäste, die zum Telefonieren den Mund-Nasen-Schutz herunterzögen.

Die Bundeskanzlerin schloss im äußersten Fall auch neue Grenzkontrollen nicht aus. "Das wollen wir nicht, wir wollen uns partnerschaftlich mit unseren Nachbarn einigen", betonte sie. "Aber wir können nicht zusehen, dass dann der Eintrag einfach kommt, weil andere Länder ganz andere Wege gehen", sagte sie mit Blick auf den Umgang mit der Pandemie.

Ökonomen zu den Auswirkungen auf die Wirtschaft

JÖRG KRÄMER, COMMERZBANK-CHEFVOLKSWIRT:

"Natürlich belastet der verlängerte Lockdown die Wirtschaft massiv – vor allem den Einzelhandel und die kontaktintensiven Dienstleistungen. Die Wirtschaftsleistung ist während der Gültigkeit des Lockdowns schätzungsweise vier Prozent niedriger als ohne Beschränkungen. Aber ich muss wegen der gestrigen Beschlüsse meine Wachstumsprognose für dieses Jahr nicht senken. Denn wir hatten schon bisher unterstellt, dass der Lockdown bis Ende des Quartals anhält. Ich erwarte deshalb, dass das Bruttoinlandsprodukt im ersten Quartal gegenüber dem vierten Quartal um zwei Prozent sinkt. Ab dem Frühjahr dürfte jedoch eine kräftige wirtschaftliche Erholung einsetzen. Mit den wärmeren Temperaturen sollte sich nämlich die Pandemie wie im Vorjahr zurückziehen. Dann werden die Menschen ihren Konsum kräftig hochfahren, zumal sie während der Lockdowns Ersparnisse in Höhe von sechs Prozent ihres jährlichen Einkommens gebildet haben."

MARCEL FRATZSCHER, PRÄSIDENT DIW-INSTITUT:

"Eine Verlängerung des Lockdowns war unausweichlich. Ich befürchte aber, die eingeschlagene Strategie ohne wesentliche Verschärfung der Maßnahmen ist unzureichend, zu zögerlich und zu zaghaft. Die zweite Corona-Welle muss schnellstmöglich gebrochen werden, auch um langfristig enorme wirtschaftliche Schäden abzuwenden. Dies könnte die letzte Chance sein, einen noch tieferen Wirtschaftseinbruch zu vermeiden, denn viele Unternehmen sind in ihrer Existenz bedroht. Ein harter Lockdown ist zwar unmittelbar ein tiefgreifender Einschnitt für Unternehmen und Selbstständige. Die Wahrscheinlichkeit ist aber hoch, dass der fehlende Mut der Politik, frühzeitig und entschieden zu handeln, dazu führt, dass ein Rückgang der Zahl der Infizierten und damit eine Lockerung der Restriktionen noch weiter in die Ferne rückt. Zu zögerliche Schritte, die womöglich in eine dritte Infektionswelle münden könnten, würden für noch mehr Verunsicherung bei Unternehmen, Selbstständigen und Verbrauchern sorgen. Dies hätte verheerende Folgen für die wirtschaftliche Entwicklung."

ANDREAS SCHEUERLE, DEKABANK:

"'Wirtschaftliches Leben befristet beschränken, um menschliches Leben zu schützen', das war und ist die Devise der Bundesregierung, und das ist richtig. Die Verlängerung des Lockdowns drückt die Wachstumsperspektiven für das erste Quartal nochmals etwas. Die Verschärfungen blieben aber weit hinter den ersten Meldungen zurück. Aus ökonomischer Sicht waren insbesondere das Herunterfahren des Personenverkehrs, ein möglicher Lockdown für die Industrie und Grenzschließungen eine Gefahr. Diese sind vorerst vom Tisch. Deutschland steuert also beim Lockdown nochmal nach; ob das ausreicht, hängt auch maßgeblich von der Ausbreitung der Mutationen ab. Für das zweite Quartal gilt: Je stärker die wirtschaftliche Entwicklung im ersten Quartal unterdrückt wird, desto stärker wird der Rückprall im zweiten Quartal erfolgen – allerdings nur, wenn die Fesseln des Lockdowns gelöst werden."

UWE BURKERT, LBBW-CHEFÖKONOM:

"Der Finger war schon am Abzug. Doch scharf geschossen wurde (noch) nicht. Und damit wurde das ökonomisch schlimmste noch einmal vermieden. Die beschlossenen Maßnahmen greifen stärker in das Wirtschaftsgeschehen ein, aber die Träger der konjunkturellen Erholung - insbesondere die Industrie - bleiben weitgehend verschont. Hinzu kommen zahlreiche Erleichterungen für die stark betroffenen Branchen, die hoffentlich schnell und gezielt ankommen. Klar ist aber: Aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Wenigstens wurde dieses Mal die Nachverfolgung stärker berücksichtigt, wenn auch noch nicht in aller Konsequenz. Und ob tatsächlich an Aschermittwoch alles vorbei sein wird, darf diesmal wirklich bezweifelt werden."

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