Weltweit herrscht in der Industrie derzeit eine Knappheit an Halbleiter-Chips. Gerade für die deutschen Autobauer stell dies ein großes Problem dar: Einige Fertigungslinien stehen aufgrund des Lieferengpasses still, und die Unternehmen müssen zum Teil Kurzarbeit anmelden.
Bei Silizium-Chips denken die meisten zuerst an Laptops, Smartphones und Spielekonsolen. Doch ohne solche Chips rollt heutzutage auch kein modernes Auto mehr vom Band. Die Nachfrage der Automobilindustrie nach Halbleitern hat sich in den letzten Jahren stark erhöht. Sie regeln im Auto alles vom Batteriemanagement über Fahrerassistenzsysteme bis hin zum Entertainment. Halbleiter sind daher aus der Fahrzeugfertigung nicht mehr wegzudenken.
Angesichts eines globalen Lieferengpasses von Silizium-Chips ruhen derzeit in einigen Werken die Bänder. Sowohl Volkswagen als auch Daimler mussten die Produktion in einigen Werken drosseln und meldeten sogar Kurzarbeit an. Im Stammwerk in Wolfsburg ruhte die Produktion auf zwei Fertigungslinien zeitweise. Besonders betroffen waren unter anderem die Modelle Tiguan und Touran sowie der VW-Bestseller Golf. Neben dem Wolfsburger Werk waren auch die VW-Werke in Emden, Kassel und Braunschweig von Kurzarbeit in Folge des Halbleiter-Engpasses betroffen.
In Emden wird ab Februar wieder normal gearbeitet, in den Fahrzeug- und Komponentenwerken in Braunschweig und Kassel dagegen setzt VW weiter auf Kurzarbeit, um flexibler auf die dynamische Lage reagieren zu können. Die VW-Tochter Audi hatte zwischenzeitlich ebenfalls mit Problemen bei der Fertigung zu kämpfen, werde ab kommender Woche aber wieder in vollem Umfang produzieren, hieß es in einer Mitarbeiterinformation vom Dienstag.
Lieferengpass bei Halbleitern betrifft gesamte Automobil-Branche
Das Problem betrifft aber nicht nur Volkswagen, vielmehr gebe es „herstellerübergreifend erhebliche Störungen in der weltweiten Fahrzeugproduktion“, betont das Wolfsburger Unternehmen. Die japanischen Autobauer Nissan und Honda drosselten die Produktion, und auch der US-Autobauer Ford musste die Fertigung zum Teil einstellen. Der französische Autokonzern Renault sowie der US-Hersteller General Motors sind ebenfalls betroffen.
Die Lage spitzt sich auch für Daimler zu. Der Stuttgarter Autobauer meldete bereits für sein Kompaktwagenwerk in Rastatt Kurzarbeit an. Dort werden die Modelle A- und B-Klasse produziert. Zudem kündigte Daimler an, dass man auch im größten deutschen Werk in Bremen die Produktion drosseln müsse. Dort wird neben der auflagenstarken C-Klasse auch der GLC gefertigt.
Beim bayerischen Autobauer BMW „beobachte man das Problem genau“, berichtet Merkur. Derzeit gebe es aber noch keine Produktionsunterbrechungen. Für den Januar sei die Versorgung mit Halbleitern gesichert, hieß es. „Aber natürlich ist auch BMW nicht von der globalen Entwicklung abgekoppelt“, sagte ein Konzern-Sprecher. Und weiter: „Wir fahren auf Sicht“.
Laut einem Bericht der Financial Times, die sich auf Branchenexperten bezieht, könnten durch den Lieferengpass bei einigen Autoherstellern bis zu 20 Prozent der Produktion wegfallen. Für Volkswagen bedeuten die Engpässe, dass im ersten Quartal des Jahres 100.000 Autos weniger an Standorten in Europa, Nordamerika und China produziert würden, weil seine Teilehersteller Continental und Bosch Schwierigkeiten haben, Lieferungen von ihren Chip-Zulieferern zu sichern.
Der weltgrößte Autozulieferer Bosch gab bekannt, er erhalte „deutlich weniger“ Chips für die von ihm hergestellten Komponenten, während Continental von einer „extremen Volatilität“ in den Lieferketten für Motoren sprach. Sowohl Volkswagen als auch Continental erklärten, dass die Engpässe voraussichtlich bis weit ins Jahr 2021 andauern werden.
Keine kurzfristigen Lösungen für Halbleiter-Mangel in Sicht
Die Gründe für den aktuellen Lieferengpass sind vielschichtig. Ein Grund sind die anhaltende Pandemie und ihre Folgen. Nachdem der Automobil-Absatz im Frühjahr 2020 eingebrochen war und die Autobauer ihre Chip-Bestellungen zurückgestellt hatten, änderten auch die asiatischen Chip-Hersteller ihre Absatzstrategie. Statt auf die Automobilindustrie als Kunden zu setzen, schwenkten sie auf die Unterhaltungselektronik um und konzentrierten sich bei der Belieferung auf die Hersteller von Smartphones, Spielekonsolen und Laptops.
Als die Nachfrage nach Autos vor allem in China dann überraschend früh wieder anzog, stieg auch der Bedarf der Automobil-Industrie nach Halbleitern. Doch die Werke in Asien waren bereits mit anderen Aufträgen ausgelastet. „Das Problem ist, dass wir in der Kette weiter unten stehen als Unternehmen wie Apple und HP“, sagte ein Manager der Autoindustrie gegenüber der Financial Times. „Die Automobilbranche zahlt nicht so viel für ihre Halbleiter.“
Abhilfe aus Deutschland ist nicht in Sicht. Zwar hat die Bundesrepublik mit Infineon einen großen Chip-Hersteller im Land, doch ist das Unternehmen nicht in der Lage, den asiatischen Lieferausfall zu kompensieren. Der Weltmarktanteil deutscher Chip-Hersteller liegt bei nur drei Prozent. Daher fordert die deutsche Mikroelektronik-Industrie schon seit längerem politische Unterstützung, um die Abhängigkeit von asiatischen Zulieferern langfristig zu verringern.
Taiwan als wichtigster Chip-Produzent steht im Zentrum des Konflikts
Die deutsche Automobilbranche blickt nun gespannt nach Taiwan, denn dort liegt der Flaschenhals, der für den derzeitigen Halbleiter-Engpass sorgt. Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier hat sich im Januar an die taiwanesische Regierung mit der Bitte gewandt, sich bei den Herstellern für eine Priorisierung von Automobil-Chips einzusetzen. Zuvor hatten sich bereits Japan und die USA mit ähnlichen Anliegen an die Regierung in Taipeh gewendet.
Die taiwanesische Wirtschaftsministerin Wang Mei-hua machte deutschen Autobauern jedoch wenig Hoffnung auf eine kurzfristige Entspannung der Lage. Sie habe mit den Chip-Produzenten gesprochen, und diese hätten ihr zugesichert, „ihr Bestes zu tun”, um die Engpässe zu beheben. Allerdings seien die Produktionslinien bereits voll ausgelastet. Die Situation brauche Zeit, um sich zu verbessern. Wang führte unter anderem Gespräche mit dem Weltmarktführer „Taiwan Semiconductor Manufacturing Company“ (TSMC).
TSMC habe ihr zugesichert, die Chip-Herstellung zu optimieren. Der Halbleiter-Hersteller wolle die Produktion wichtiger Auto-Chips beschleunigen und setze dabei auf sogenannte „Super Hot Runs“, um die Produktionszeit um 50 Prozent zu verkürzen. Normalerweise benötigten Automobil-Chips 50 Tage zur Fertigstellung. Durch die „Super Hot Runs“ könne die Produktionszeit auf 20 bis 25 Tage reduziert werden. Hinzu kommt etwa eine Woche Zeit für Produkttests und Verpackung.
Die Umstellung des Produktionsverfahrens hat allerdings Auswirkungen auf die Herstellung anderer Chips. Das bringt Konflikte mit sich, da die Chiphersteller vertragliche Verpflichtungen haben. „Das ist keine leichte Aufgabe. Es wird komplizierte Verhandlungen geben“, sagte Wirtschaftsministerin Wang. Der Engpass bringt die Chip-Hersteller in eine günstige Verhandlungslage. Normalerweise verhandelt die Autoindustrie nur einmal jährlich die Halbleiter-Preise mit dem Ziel von Preissenkungen. Durch die weltweite Knappheit sehen Hersteller wie TSMC laut einem Bericht von Nikkei Asia die Chance, bis zu 15 Prozent mehr für ihre Chips zu verlangen.
Handelskrieg zwischen China und den USA verschärft die Lage
Ein anderer wichtiger Grund für den Halbleiter-Mangel liegt im schwelenden Handelskrieg zwischen China und den USA. Die von den USA verhängten Sanktionen haben schwere Verwerfungen im Markt erzeugt. Im Juli 2020 verschärfte die US-Regierung ihre Handelssanktionen gegen den chinesischen Konzern „Huawei Technologies“. Daraufhin begann Huawei, sich bei taiwanesischen Herstellern wie TSMC mit Halbleitern einzudecken, bevor die Sanktionen in Kraft treten.
Im September trafen US-Sanktionen dann auch den chinesischen Halbleiter-Hersteller SMIC. Das wiederum führte dazu, dass der US-Konzern Qualcomm seine Chips statt wie bisher bei SMIC, nun auch aus Taiwan von TSMC bezog. Was den taiwanesischen Chip-Herstellern volle Auftragsbücher beschert, bringt die deutsche Autoindustrie am Ende in die Bredouille. Sie ist zum Kollateralschaden des Handelskriegs zwischen China und den USA geworden.
Durch ihre Sanktionen gegen chinesische Technologie-Unternehmen haben die USA – gewollt oder ungewollt – auch den Druck auf Taiwan erhöht. Die Regierung in Peking betrachtet den Inselstaat, der nur 180 Kilometer vor der chinesischen Küste entfernt liegt, als untrennbaren Teil der Volksrepublik. Dagegen zeigt Taiwan immer wieder Bestrebungen zur Unabhängigkeit. China machte kürzlich erneut klar, dass es eine Unabhängigkeit Taiwans als Kriegserklärung auffassen werde. Die USA stehen militärisch an der Seite Taiwans und entsandten den Flugzeugträger „USS Theodore Roosevelt“ ins Südchinesische Meer.
Sollte sich die Situation in der Region weiter verschärfen - die Folgen für die deutsche Auto-Industrie wären nicht abzuschätzen.