Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Herr Kapitän Lehtovaara, könnten Sie über Ihr Projekt mit Ihrem Partner in Singapur berichten?
Eero Lehtovaara: Dies war ein Customer Case, wo der Kunde die Lösung angefragt hat. Natürlich haben auch wir immer nach möglichen Partnern Ausschau gehalten. Dazu gehören die Eigentümer der Werften. Es hat eben gerade in Singapur alles zusammengepasst. Ich denke, dass die Regierung in Singapur derzeit grundsätzlich nach neuen Technologien und neuen Wegen sucht, wie man die Dinge umsetzen kann. Darüber hinaus hat es – sagen wir mal – zur allgemeinen Stimmung gepasst, die derzeit dort herrscht. Denn das Land ist momentan sehr offen für die Entwicklung neuer Technologien. Der Hafen ist einer der größten der Welt. Deshalb ist der Auftrag mit Sicherheit sehr prestigeträchtig.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Was waren die Gründe für die Verzögerung?
Eero Lehtovaara: Wenn wir berücksichtigen, dass die Auswirkungen der Pandemie nicht nur die Marineindustrie, sondern die gesamte Welt getroffen haben, dann ist dieses Projekt gut vorangekommen – der außergewöhnlichen Ereignisse zum Trotz, die 2020 aufgetreten sind. Das möchten wir ganz klar hervorheben.
Als die Menschheit unter dem Eindruck der Pandemie gestanden hat, waren wir in der Lage, die Art, wie wir arbeiten, anzupassen, obwohl das Reisen eingeschränkt war und andere Restriktionen uns belastet haben. Wir haben neue Wege gefunden, zusammenzuarbeiten. Dazu gehörte von Einsatz von Remote-Technologien, um das Projekt weiter umzusetzen. Dies ist für sich alleine schon eine Innovation, die für die Zukunft noch sehr wertvoll sein kann.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Könnten Sie noch über weitere Projekte berichten, die Sie gerade vorbereiten?
Eero Lehtovaara: Wir haben 2018 in Helsinki in Finnland ein Testprojekt durchgeführt. Dort haben wir gemeinsam mit der Betriebsgesellschaft eine Fähre gestartet, um Daten zu sammeln und um die Ausrüstung zu testen. Darüber hinaus führen wir immer mit potenziellen Partnern Gespräche über neue Technologien. Dabei diskutieren eigentlich mit all unseren Kunden über sämtliche Möglichkeiten, die Technologien anzuwenden. Im Prinzip sind alle sehr daran interessiert, zu hören, wie die Entwicklungen verlaufen.
Wir sprechen auch mit den Behörden. Doch müssen wir hier noch einiges leisten, damit wir uns verständigen können. Ein sehr wichtiger Punkt ist, eine gemeinsame Definition zu finden, was das Wort „Autonomie“ denn eigentlich bedeutet. Wir müssen wissen, welche Level für identifizieren. Wir müssen eine Bezeichnung und eine klare Definition dafür finden. Das ist der Grund, warum ich sehr vorsichtig bin, es anzuwenden. Ich wäre froh, wenn wir „die Autonomie“ nur in einem Kontext verwenden, wo es um ein unbemanntes System geht, das in der Lage ist, ohne externe Hilfe Informationen zu sammeln und auf der Grundlage dieser Informationen Entscheidungen zu treffen. Doch sind wir immer noch sehr, sehr weit davon entfernt.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Auch wir in Deutschland sprechen über autonome Schiffe. Ein wichtiger Akteur ist das CML-Fraunhofer-Institut in Hamburg. Ein Vertreter der Einrichtung, Ralf Fiedler, hat gesagt, dass es noch nicht sicher sei, ob die Häfen ihre Kosten verringern, wenn sie die Technologie einsetzen.
Wie bewerten Sie dies?
Eero Lehtovaara: Ich persönlich denke, dass es eine große Zahl von Diskussionen in der Öffentlichkeit über die Autonomie, autonome Systeme und deren Anwendung gibt, die auf falschen Annahmen beruhen. Wir werden nie von der Seite der Werften eine Nachfrage nach unbemannten Operationen für besondere Dienstleistungen sehen – beispielsweise für den Einsatz internationaler Rettungsdienste auf See.
Was wir derzeit beobachten, ist ein Erfordernis nach Technologien mit einem höheren Level an Automation und nach autonomen Systemen an Bord, die die Fahrt für die Mannschaft sicherer machen und dazu führen, dass weniger Energie verbraucht wird. Es wird nie unbemannte größere Schiffe geben. Die Koexistenz der digitalen Crew-Mitglieder mit den Menschen zu etablieren, muss der erste Schritt sein, den wir machen müssen.
Der Einsatz von Schiffen, die völlig unbemannt sind oder autonom fahren, ist jedoch dort möglich, wo es um kleinere Fahrzeuge, Auto- oder Seilfähren geht, die über einen Kanal, einen Fluß oder auch im Hafen-Bereich fahren. Diese Schiffe beruhen auf der selben Philosophie wie ein Fahrstuhl in einem größeren Gebäude. Hier dürften sich die alten Methoden, die bisher angewendet wurden, ziemlich schnell verändern.
Generell sollten solche Fähren elektrisch sein – und zwar deswegen, weil dies die Umwelt am besten schützt. Wenn sie denn elektrisch fahren, dann sollten sie auch autonom sein. Dabei bieten sie viele Vorteile. Beispielsweise können sie rund um die Uhr und sieben Tage die Woche eingesetzt werden. Darüber hinaus können sie auch so programmiert werden, dass sie immer dann auf der Seite des Flusses anlegen, wenn gerade ein Schulbus kommt. Es gibt so viele Möglichkeiten, wo die Technologie eingesetzt werden kann, die in vielen Fällen besser als der Mensch ist.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wo zum Beispiel?
Eero Lehtovaara: Beispielsweise, wenn es die Bewachung von Objekten geht, die um einen herum liegen. Die Technologie ist auch dann besser, wenn es darum geht, die Objekte zu kontrollieren. Denn sie kann ununterbrochen um das Schiff herum beobachten. Wenn man zum Beispiel eine Kamera-Technologie verwendet, wird sie niemals auf die Toilette gehen und den Arbeitsplatz verlassen, um eine Pause zu machen. Sie wird nie müde.
Andererseits gibt es auch Dinge, die wiederum der Mensch wesentlich besser als eine Maschine leisten kann. Er kann wiederum besser das Ergebnis einer Beobachtung interpretieren und darauf reagieren. Das bedeutet, wenn wir das perfekte Schiff entwickeln wollen, müssen wir die beste Eigenschaften der Maschine sowie die besten Fähigkeiten des Menschen nehmen und sie kombinieren.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Das hört sich gut an. Doch muss dies irgendwann einmal profitabel sein. Denn sonst wird ABB nie seine neue Produkte anbieten können.
Gibt es denn schon einen Markt dafür?
Eero Lehtovaara: Ich kann nicht sagen, dass wir schon einen richtigen Markt dafür haben. Doch es entwickelt sich langsam einer. Wir beobachten eine ganze Menge an Frachtgut-Unternehmen und kleineren und mittleren Firmen, die sich in diese Richtung bewegen. Ich weiß, dass sehr viele Firmen existieren, die eine Forschung in diesem Bereich aufgebaut haben. Sie entwickeln Produkte für unterschiedliche Bereiche des Schiffes.
Wir beobachten derzeit, dass es eine Nachfrage nach den neuen Technologien gibt. Wenn wir damit beginnen, die Corona-Krise zu überwinden, dann dürfte die Nachfrage nach mehr Technologie in den Schiffen wohl schnell steigen. Meiner Meinung nach wird der Markt in fünf Jahren reif sein, um mit dem Wachstum zu beginnen.
Natürlich brauchen wir die Unterstützung und das Verständnis für das, was wir entwickeln, in der ganzen Öffentlichkeit. Ein wichtiger Punkt bei der Diskussion um die Digitalisierung ist die Entwicklung von Regularien und eines richtigen rechtlichen Rahmens für die Technologie. Wir, die Industrie, die Behörden und die Gesellschaft müssen miteinander reden. Deshalb ist eine wichtige Aufgabe meines Jobs, den Kontakt mit der Presse und den Menschen herzustellen, und ihnen zu erklären, woran wir arbeiten. Wir wollen nicht in einer Black Box arbeiten.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Wird es eines Tages nur noch autonome Schiffe geben?
Eero Lehtovaara: Nein, das ist Science-Fiction. Es wird noch sehr, sehr lange Menschen auf den Schiffen geben. Die Technologie wird vielleicht so sein, das sie wie Science-Fiction aussieht. Doch wird es immer Menschen geben, die sie bedienen. Darüber hinaus können wir die alte und die neue Technologie kombinieren, um die Schiffe noch effizienter zu machen.
Natürlich gibt es verschiedene Möglichkeiten, wie man autonome Systeme in den Booten anwendet. Sie können beispielsweise in Fähren, Lastkähnen und als Zulieferer für Förderplattformen genutzt werden. Ich denke, dass wir die größten Chancen haben, die Technologie für Autofähren und kleinere Fähren zu entwickelt – und zwar gemeinsam mit einem elektrischen Antrieb.
Deutsche Wirtschaftsnachrichten: Herr Kapitän Lehtovaara, herzlichen Dank für das Gespräch.