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Deutschland macht die Grenzen dicht, lässt EU-Kritik abtropfen

Lesezeit: 4 min
13.02.2021 15:37  Aktualisiert: 13.02.2021 15:37
Im Corona-Kampf legt sich die Bundesregierung sogar mit Brüssel an. Ab Sonntag sind die deutschen Grenzen im Südosten weitgehend geschlossen.
Deutschland macht die Grenzen dicht, lässt EU-Kritik abtropfen
Bundesinnenminister Horst Seehofer weist Kritik aus Brüssel an den harten Grenzschließungen mit scharfen Worten zurück. (Foto: dpa)
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Während sich Grenzer in Bayern und Sachsen auf verschärfte Einreisekontrollen vorbereiten, hat Innenminister Horst Seehofer Kritik daran undiplomatisch zurückgewiesen. «Jetzt reicht's!», sagte der CSU-Politiker nach Lockerungsforderungen aus Brüssel der «Bild»-Zeitung. Die EU habe bei der Impfstoffbeschaffung «genug Fehler gemacht». «Die EU-Kommission sollte uns unterstützen und nicht durch wohlfeile Hinweise Knüppel zwischen die Beine werfen.» Deutschland hatte aus Angst vor ansteckenderen Varianten des Coronavirus strenge Regeln für die Einreise aus bestimmten Gebieten verhängt. Am Sonntag sollen sie in Kraft treten.

Dann dürfen aus Tschechien und weiten Teilen des österreichischen Bundeslandes Tirol nur noch Deutsche sowie Ausländer mit Wohnsitz und Aufenthaltserlaubnis in Deutschland einreisen. Ausnahmen gibt es für Ärzte, Kranken- und Altenpfleger sowie für Lastwagenfahrer und landwirtschaftliche Saisonkräfte. Tschechien und Tirol gelten als Gebiete, in denen die ansteckenderen Virusvarianten besonders verbreitet sind.

Die mutierten Viren werden sich nach Einschätzung des Robert Koch-Instituts (RKI) auch in Deutschland mehr und mehr ausbreiten. Man versucht dies zwar zu verlangsamen, doch immer wieder werden Ausbrüche gemeldet, wie etwa am Samstag aus dem Landkreis Landsberg am Lech, wo «im Umfeld eines Großbetriebs» die südafrikanische Virusvariante um sich greift.

Die Bundesregierung hatte wiederholt betont, die Gefahr dürfe trotz sinkender Infektionszahlen nicht unterschätzt werden. Zuletzt hatten sich in Deutschland immer weniger Menschen täglich mit dem Coronavirus infiziert. Alle Bundesländer haben nach RKI-Angaben inzwischen eine Inzidenz von unter 100, also weniger als 100 Neuinfektionen pro 100 000 Einwohner binnen sieben Tagen.

Die EU-Kommission hatte Deutschland aufgefordert, bei den neuen Einreisebeschränkungen Ausnahmen etwa für Berufspendler zu gewähren. Nach derzeitigem Stand könnten viele der rund 45 000 in Deutschland sozialversicherungspflichtig Beschäftigten davon betroffen sein, die nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit (BA) zuletzt ihren Wohnsitz in Tschechien oder Österreich hatten. Nach der jüngsten BA-Statistik von Ende Juni arbeiteten allein in Bayern 22 000 Tschechen und 9600 Österreicher - vor allem im verarbeitenden Gewerbe.

Auch der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter hatte sich empört gezeigt. Dies würde tausenden Tirolern, die zur Arbeit nach Bayern pendelten, das Arbeiten unmöglich machen. Grenzüberschreitendes gemeinsames Arbeiten und Wirtschaften komme so gut wie zum Erliegen.

An den bayerischen Grenzübergängen herrschte einen Tag vor Inkrafttreten der schärferen Regeln am Samstag extrem ruhiger Verkehr. Es sei deutlich weniger los als sonst an Samstagen, sagte ein Sprecher der Bundespolizei in Passau. Auch Pendler seien kaum unterwegs. «Es gibt aber viele Anfragen von Bürgern, die unsicher sind und wissen wollen, wie es weitergeht.»

Ab Sonntag wird laut Bundespolizei voraussichtlich jedes einzelne Fahrzeug überprüft. Selbst wer unter die Ausnahmeregeln fällt, muss einen negativen Corona-Test vorweisen und in Deutschland zunächst in Quarantäne gehen. Die Testpflicht war schon vor den neuen Einreiseregeln eingeführt worden. Zur Kontrolle hatte die Bundespolizei auf den wichtigen Nebenstrecken auch provisorische Stationen eingerichtet.

Die Gewerkschaft der Polizei (GdP) kritisierte, die Bundespolizei sei für einen solchen Einsatz kaum ausgerüstet. «Die technische Ausstattung der Bundespolizei lässt zu wünschen übrig. Es mangelt an Containerbüros, Toilettenwagen und großen Zelten, um die Kontrollen durchführen zu können», sagte der Vorsitzende des GdP-Bezirks Bundespolizei, Andreas Roßkopf, der «Rheinischen Post». Auch personell sei die Bundespolizei für die Grenzkontrollen nicht gut genug aufgestellt. Es bestehe das Risiko, dass Ortskundige über Feld-und Waldwege die Kontrollen umgingen.

Warum wurden die Einreiseregeln dort verschärft?

Virusmutanten breiten sich derzeit in Tschechien und Tirol aus. In Tirol gibt es verstärkt Fälle der südafrikanischen Sars-CoV-2-Virusvariante B.1.351, in Tschechien ist es die britische Variante B.1.1.7. Beide Mutanten gelten als deutlich ansteckender. Die südafrikanische Variante ist nach bisherigem Wissen zudem auch tödlicher - und zusätzlich wirkten manche Impfstoffe weniger gut dagegen. Auch wer schon Corona hatte, könne sich wahrscheinlich erneut anstecken, warnen Mediziner. Die Rate der Zweitinfektionen werde daher wahrscheinlich steigen.

Wer darf noch aus Tschechien und Tirol einreisen?

Deutsche Staatsangehörige mit ihren Ehepartnern und minderjährigen Kindern werden an den Grenzen grundsätzlich durchgelassen. Das gleiche gilt für alle, die ihren Wohnsitz in Deutschland haben. Weitere Ausnahmen gibt es für Lkw-Fahrer, Ärzte, Kranken- und Altenpfleger sowie landwirtschaftliche Saisonarbeitskräfte - denn sie werden in Deutschland dringend zur Versorgung der Bevölkerung gebraucht. Auch wer zur Beerdigung eines Elternteils, Ehepartners oder Kindes will, darf einreisen, genauso Väter für die Geburt ihres Kindes. Auch für dringende medizinische Behandlungen darf man mit ärztlichem Attest noch über die Grenze. Für alle Einreisenden gilt: Sie müssen einen negativen Corona-Test vorweisen und in Deutschland zehn Tage in Quarantäne.

Wie lange gilt das?

Die verschärften Einreiseregeln sind laut Innenministerium zunächst auf zehn Tage befristet, gelten also bis zum 23. Februar. Sie können allerdings dann noch auf maximal drei Monate verlängert werden.

Wie viele Pendler sind betroffen?

Die verschärften Regeln für die Einreise aus Tschechien und dem österreichischen Bundesland Tirol werden unter anderem wohl Zehntausende Berufspendler treffen. Rund 45 000 in Deutschland sozialversicherungspflichtig Beschäftigte hatten laut Bundesagentur für Arbeit (BA) zuletzt ihren Wohnsitz in Tschechien oder Österreich - die allermeisten arbeiten in Bayern. Nach der BA-Statistik von Ende Juni waren 33 800 Tschechen in Deutschland regulär in Lohn und Brot - die meisten im verarbeitenden Gewerbe sowie in Verkehr und Lagerei; dazu zählen etwa Lastwagenfahrer und Kurierdienste. Gut 11 100 Beschäftigte leben in Österreich.

Kommen die neuen Regeln noch rechtzeitig?

In Bayern sind Virusvarianten schon jetzt stärker verbreitet als im Bundesschnitt. Bei deutlich mehr als zehn Prozent der Infizierten in Bayern wurden sie festgestellt - mehr als doppelt so viel wie insgesamt in Deutschland, wie der Münchner Infektiologe Clemens Wendtner sagte. Aus Tirol scheint es bisher kein nennenswertes Übergreifen der südafrikanischen Variante zu geben. Anders sieht das in Ostbayern mit der britischen Variante aus. Diese hat bei Einpendlern aus Tschechien schon die Oberhand. So hat laut Wendtner etwa in den Regionen Tirschenreuth und Hof die Mutante bereits einen Anteil von mehr als 40 Prozent der positiven Fälle. Ministerpräsident Markus Söder (CSU) sprach von bis zu 70 Prozent. Alle bayerischen Hotspots liegen entlang der Grenze.

Drohen auch an anderen Grenzen schärferen Einreise-Regeln?

Auszuschließen sei das nicht, sagte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Die Bundesregierung gehe aber mit Blick auf den wichtigen Austausch in Grenzregionen «sehr zurückhaltend und abwägend» mit solchen Maßnahmen um. Die anderen Nachbarländer mit direkter Grenze zu Deutschland, also Polen, Dänemark, die Niederlande, Belgien, Luxemburg, Frankreich und die Schweiz, sind bisher nicht als Gebiete mit besonderer Verbreitung der ansteckenderen Virusvarianten eingestuft.

Wie sieht man das deutsche Vorgehen in Brüssel?

Die EU-Kommission ist nicht begeistert und hat Deutschland aufgefordert, Ausnahmen etwa für Pendler und unverzichtbare Reisen zu gewähren. Die EU-Staaten hätten sich erst kürzlich auf gemeinsame Empfehlungen für das Reisen in Corona-Zeiten geeinigt. Man erwarte, dass alle Länder danach handelten, hieß es. Innenminister Horst Seehofer (CSU) wies die Kritik scharf zurück. «Jetzt reicht's! Die EU-Kommission hat bei der Impfstoffbeschaffung in den letzten Monaten genug Fehler gemacht», sagte er der «Bild»-Zeitung. «Die EU-Kommission sollte uns unterstützen und nicht durch wohlfeile Hinweise Knüppel zwischen die Beine werfen.»


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