Wirtschaft

Verfassungsrechtler und Banker warnen: Green Deal der EU nur mit Ökodiktatur möglich

Ein Ex-Bundesverfassungsrichter warnt davor, dass Deutschland und Europa in eine „Öko-Diktatur“ abgleiten könnte. Doch auch Analysten der Deutschen Bank meinen, dass der „Green Deal“ der EU nur in einer „Öko-Diktatur“ verwirklicht werden könne.
02.03.2021 20:38
Lesezeit: 3 min
Verfassungsrechtler und Banker warnen: Green Deal der EU nur mit Ökodiktatur möglich
Ein Graffiti als Anspielung auf das Buch „1984“, das von George Orwell verfasst wurde. (Foto: dpa) Foto: Etienne Laurent

Hans-Jürgen Papier, Ex-Präsident des Bundesverfassungsgerichts, warnt in seinem Buch „Die Warnung - Wie der Rechtsstaat ausgehöhlt wird“ vor einer Moralisierung des Rechtsempfindens im Verlauf der Klima-Debatte. Ein Abgleiten in die Öko-Diktatur schließt er nicht aus. „Die berechtigte Forderung nach einer besseren und effektiveren Klimapolitik rechtfertigt keine Öko-Diktatur (…) Vor einem hektisch betriebenen und nicht ausreichend durchdachten Katalog neuer Ge- und Verbote kann ich nur warnen“, so Papier. Der liberale Rechtsstaat dürfe nicht einem Staat geopfert werden, „der, wenn auch aus hehren Gründen, Bürgerinnen und Bürger mit einer Flut von Ge- und Verboten überzieht“.

Mehr zum Thema: „Klima-Debatte: Drohen bald schärfere Freiheitsbeschränkungen als während der Pandemie?“

Die Akademie Bergstraße für Ressourcen-, Demokratie- und Friedensforschung befasst sich in einer interessanten Einschätzung mit dem von der EU-Kommission im Verbund mit den Mitgliedsstaaten vorangetriebenen Großprojekt eines „Green Deal“ und dem Ziel, bis zum Jahr 2050 eine komplett „klimaneutrale“ Wirtschaft und Gesellschaft aufzubauen.

Deutsche Bank kritisiert unehrliche Debatte

So sei es aus Sicht der Deutschen Bank bemerkenswert, dass von Seiten der Politik und der Medien kaum auf die massiven negativen Folgewirkungen hingewiesen werde, welche eine Realisierung der weitreihenden Vorhaben für Wirtschaft, Gesellschaft und Demokratie auf dem Kontinent mit sich bringe.

Die Akademie zitiert aus einer aktuellen Studie der Deutschen Bank Research-Abteilung zum Thema:

Nun ist es ausgerechnet ein Volkswirt der Deutsche Bank Research, Eric Heymann, der moniert, dass es keine „ehrliche Debatte“ über den europäischen Grünen Deal und das Ziel der Klimaneutralität bis 2050 gibt. Wenn die EU-Kommission behaupte, niemand solle auf dem Weg zur Klimaneutralität auf der Strecke bleiben, so gleiche dies „einer Quadratur des Kreises“. Heymann skizziert eine Megakrise, die alles Bisherige in den Schatten stellt und zu „spürbaren Wohlfahrts- und Arbeitsplatzverlusten“ führen würde. Nüchtern stellt er zudem fest: „Ohne ein gewisses Maß an Ökodiktatur wird es nicht gehen“. Der Analyst fordert dazu auf, nicht nur abstrakt über Klimaschutz zu sprechen, sondern vielmehr die Konsequenzen ganz konkret durchzudeklinieren, beispielsweise den Gebäudebereich. Letztlich gehe es auch um „Wahlfreiheiten und Eigentumsrechte“.

Die Analysten der Bank bezeichnen es als unseriös, dass der Grüne Deal in den Medien pauschal als „eine neue Wachstumsstrategie“ angepriesen werde, mit der die EU zu einer „fairen und wohlhabenden Gesellschaft“ mit einer „ressourceneffizienten und wettbewerbsfähigen Wirtschaft“ werden soll, in der im Jahr 2050 keine Netto-Treibhausgasemissionen mehr freigesetzt werden und „das Wirtschaftswachstum von der Ressourcennutzung abgekoppelt“ sei.

Das alles lese sich sehr gut, schreibt Heymann, doch um die weitgesteckten Ziele bis 2050 zu erreichen, müssten unsere wirtschaftlichen – und was viel wichtiger ist – auch unsere politischen und rechtlichen Systeme grundlegend verändert werden. Derzeit seien die Folgen der aktuellen Klimapolitik für den Alltag der Menschen „noch relativ abstrakt“ und für die meisten privaten Haushalte noch „erträglich“

Künftig aber müsste für den Weg Richtung Klimaneutralität massiv eingegriffen werden in die Verkehrsmittelwahl, die Größe der Wohnungen und wie diese beheizt werden, den Besitz elektronischer Konsumgüter, wie auch in die Häufigkeit des Verzehrs von Fleisch und Südfrüchten. „Weil wir nicht über ausreichend viele kostengünstige Technologien verfügen, um unseren Lebensstandard CO2-frei beizubehalten“ müssten CO2-Preise „massiv steigen, um eine Verhaltensänderung zu erwirken“, so Heymann.

Und Heymann weiter: „Alternativ oder als Ergänzung bräuchte man kräftige ordnungspolitische Eingriffe. Ich weiß, Ökodiktatur ist ein böses Wort. Aber wir müssen uns wohl oder übel fragen, welches Maß an Ökodiktatur (Ordnungsrecht) wir für akzeptabel halten, um uns dem Ziel der Klimaneutralität zu nähern.“ Für den Analysten bedeutet eine strenge Klimapolitik praktisch zwangsläufig: „Ohne ein gewisses Maß an Ökodiktatur wird es nicht gehen“. Eine ganz praktische Frage illustriere das, so Heymann: „Was machen wir, wenn Hauseigentümer ihre Häuser nicht in Nullemissionshäuser umwandeln wollen oder sie dafür die finanziellen Mittel nicht haben oder wenn dies technisch nicht möglich ist oder wenn sich das für den Eigentümer nicht rechnet?“

Schwere Verwerfungen voraus – in der Innenpolitik der Staaten und innerhalb der EU

Natürlich würde es Verlierer einer Klimapolitik geben, so Heymann, die sich dramatisch von der heute praktizierten unterscheiden müsste. „Diese Verlierer würde es bei privaten Haushalten und bei Unternehmen geben. Es würde auch zu spürbaren Wohlfahrts- und Arbeitsplatzverlusten kommen. Wenn dies nicht der Fall wäre, wäre Klimaschutz ein leichtes Vorhaben.“

DB Research rechnet deshalb mit schweren politischen Verwerfungen durch die Klimaschutzpolitik, sowohl innerstaatlich als auch zwischen den Mitgliedsstaaten der EU: „Natürlich“ würde sich das in der politischen Landschaft widerspiegeln, sowohl national als auch innerhalb der EU. „Es wird Parteien geben, die gegen eine strenge Klimaschutzpolitik argumentieren, wenn diese zu stark steigenden Energiepreisen oder Eingriffen in Wahlfreiheiten und Eigentumsrechte führte“, so Heymann. „Und machen wir uns nichts vor: Solche Parteien werden Zuspruch erfahren.“

Auch innerhalb der EU werde es „erhebliche Verteilungskonflikte“ geben, die zu einer (weiteren) Spaltung der EU beitragen könnten. „Halten wir eine solche politische Polarisierung aus? Oder werden wir unsere klimapolitischen Ambitionen wieder nach unten anpassen, sobald wir erkennen sollten, dass eine allzu strenge Klimapolitik demokratisch nicht mehrheitsfähig ist?“

Warnungen vor Gefährdung der Demokratie

Es ist nicht die erste Warnung vor einer Gefährdung der Demokratie durch die Klimaschutzpolitik. Einige Beispiele: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier warnte in einer Rede am 27. Oktober 2019 vor denjenigen, die jetzt an der Demokratie Zweifel säen. „Kein Kabinett von Experten und Wissenschaftlern, auch kein Kabinett von Klimaforschern, könnte uns – bei allen unumstößlichen Erkenntnissen – die Zielkonflikte, die schmerzhaften Abwägungen und Aushandlungen abnehmen, die jetzt anstehen“, so Steinmeier. Auch der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann sieht die liberale Demokratie in Gefahr. Mit Blick auf die Automobilindustrie mahnte er: „Auf Strukturwandel sind wir in Deutschland vorbereitet, Strukturbrüche können wir nicht."

*****

Die ganze Einschätzung der Akademie Bergstraße zum Green Deal-Projekt finden Sie hier.

Die Analyse von Deutsche Bank Research zum Thema finden Sie hier.

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Immer mehr XRP- und ETH-Inhaber wenden sich still und leise an OPTO-Miner, um 3.000 Dollar pro Tag zu verdienen

Im derzeit unberechenbaren Kryptomarkt entscheiden sich immer mehr Anleger dafür, langsamer zu werden und sich nicht mehr von...

X

DWN Telegramm

Verzichten Sie nicht auf unseren kostenlosen Newsletter. Registrieren Sie sich jetzt und erhalten Sie jeden Morgen die aktuellesten Nachrichten aus Wirtschaft und Politik.
E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung gelesen und erkläre mich einverstanden.
Ich habe die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

Ihre Informationen sind sicher. Die Deutschen Wirtschafts Nachrichten verpflichten sich, Ihre Informationen sorgfältig aufzubewahren und ausschließlich zum Zweck der Übermittlung des Schreibens an den Herausgeber zu verwenden. Eine Weitergabe an Dritte erfolgt nicht. Der Link zum Abbestellen befindet sich am Ende jedes Newsletters.

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Grünes Image unter Druck: EU plant strengere Regeln für Umweltwerbung
09.07.2025

Begriffe wie „klimaneutral“ oder „biologisch abbaubar“ begegnen Verbraucherinnen und Verbrauchern inzwischen fast überall – von...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft Deutschlands 500-Milliarden-Euro-Infrastrukturplan: Eine Chance für europäische Bauunternehmen?
09.07.2025

Deutschland plant das größte Infrastrukturprogramm seiner Geschichte. Doch es fehlen Bauarbeiter. Können andere europäische Firmen und...

DWN
Finanzen
Finanzen Bitcoin-Kurs stabil trotzt Milliardenbewegung: Anleger bleiben dennoch vorsichtig
08.07.2025

80.000 Bitcoin aus der Satoshi-Ära wurden bewegt – doch der Bitcoin-Kurs blieb stabil. Was hinter dem Rätsel steckt, warum Investoren...

DWN
Politik
Politik Steinmeier drängt auf mehr gemeinsame Rüstungsprojekte in Europa
08.07.2025

Bei seinem Besuch in Lettland hat Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier für mehr Zusammenarbeit in der europäischen...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Schwäche in China bremst Porsche: Absatz geht im ersten Halbjahr zurück
08.07.2025

Porsche muss im ersten Halbjahr 2025 einen spürbaren Rückgang beim Fahrzeugabsatz hinnehmen. Besonders in China läuft das Geschäft...

DWN
Politik
Politik Trump verspricht Raketen für die Ukraine – doch zu welchem Preis?
08.07.2025

Donald Trump kündigt neue Waffenlieferungen an die Ukraine an – obwohl er sich lange zurückhielt. Ein Signal der Stärke oder Teil...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Nvidia-Aktie auf Höhenflug: Wie realistisch ist das 250-Dollar-Ziel?
08.07.2025

Die Nvidia-Aktie eilt von Rekord zu Rekord – doch Analysten sehen noch Luft nach oben. Wie realistisch ist das Kursziel von 250 Dollar?...

DWN
Politik
Politik NATO-Chef erwartet Doppelangriff: China greift Taiwan an, Russland die NATO
08.07.2025

Ein gleichzeitiger Angriff Chinas auf Taiwan und Russlands auf die NATO – ausgerechnet NATO-Chef Mark Rutte hält dieses...