Politik

Gutachten: Berliner Senat muss Pädophilen-Netzwerk offenlegen

Lesezeit: 2 min
05.03.2021 19:52  Aktualisiert: 05.03.2021 19:52
Über Jahrzehnte haben die Berliner Jugendämter Kinder an Pädophile vermittelt. Aus einem Gutachten geht hervor, dass es in Berlin ein institutionell gut vernetztes Pädophilen-Netzwerk geben muss, das bis heute nicht offengelegt wurde. Der Berliner Senat bleibt untätig.
Gutachten: Berliner Senat muss Pädophilen-Netzwerk offenlegen
Schatten von Händen einer erwachsenen Person und dem Kopf eines Kindes an einer Wand eines Zimmers am 12.01.2014 in Frankfurt (Oder) (Brandenburg). (Foto: dpa)

Mehr zum Thema:  
Benachrichtigung über neue Artikel:  
Politik  

Die „FAZ“ berichtete im vergangenen Jahr: „Es klingt, als stamme es aus einem Horrorkrimi und es war über dreißig Jahre bittere Wirklichkeit in Berlin: das sogenannte Kentler-Experiment. Der umstrittene Sexualwissenschaftler Helmut Kentler, gegen den es nie irgendein Verfahren gab, hat in den siebziger Jahren Kinder und Jugendliche ganz bewusst an pädophile Pflegeväter vermittelt. Er war der festen Überzeugung, dass ,sexuelle Kontakte zwischen Kindern und Erwachsenen nicht schädlich sind‘. So wurden Findelkinder und Straßenkinder aus Westberlin in die Obhut meist alleinstehender Pflegeväter gegeben, die oft wegen sexuellen Missbrauchs vorbestraft waren.“

Das Berliner Jugendamt war eingebunden. „Jugendämter in Berlin gaben jahrzehntelang Pflegekinder in die Obhut von Pädophilen (…) Zwei der Opfer, Marco und Sven (Namen geändert, d. Red.), heute 35 und 36 Jahre alt, hatten WELT im vergangenen Jahr ihre Erinnerungen geschildert. Beide waren sechs Jahre alt, als das Jugendamt sie in die Obhut von Fritz H. gab. 14 Jahre lang sollten sie bleiben. Beide wurden sexuell missbraucht, bis sie 13 Jahre alt und somit sexuell uninteressant für H. wurden (…) Mitte Juni hatte ein Gutachten eines Forschungsteams der Universität Hildesheim bestätigt, dass es sich bei den von Kentler empfohlenen Pflegestellen um ,Kindeswohlgefährdung in öffentlicher Verantwortung‘ handelte. Die Verantwortung für die Verbrechen liege ,eindeutig und unstrittig beim Senat als dessen Dienstherr‘, hieß es in der Studie.“, so die Zeitung „Die Welt“.

Wörtlich heißt es in dem Gutachten: „Damit liegt die Verantwortung für die Aktivitäten von Helmut Kentler als leitender Mitarbeiter des Pädagogischen Zentrums eindeutig und unstrittig beim Senat als dessen Dienstherr. Die hohe Bedeutung des Pädagogischen Zentrums erzeugte zugleich die Reputation, die Helmut Kentler als Mitarbeiter der Einrichtung zukam, so dass hier Institutionen-Personenschutz zusammenspielten.“

Die Forscher der Universität Hildesheim gehen von einem Netzwerk aus: „Zudem ist das Netzwerk der Akteure, soweit es möglich ist, weiter aufzuschlüsseln und zu analysieren, wie pädophile Personen, Mitwisser, Unterstützer etc. zusammengewirkt haben. Weder an der Odenwaldschule, dies hat die Aufarbeitung nachhaltig gezeigt, noch bei Helmut Kentlers Wirken in der Berliner Kinder- und Jugendhilfe, dies zeigt der vorliegende Bericht, haben wir es mit Einzelpersonen, sondern mit Netzwerken zu tun. Es geht somit nicht nur um die Pflegestellen, von denen Helmut Kentler in dem Gutachten berichtet, und auch nicht nur um die Beziehung der Senatsverwaltung zur Odenwaldschule und die Kooperation zwischen Gerold Becker und Martin Bonhoeffer, sondern es ist die Vernetzung, Ausbreitung und verantwortliche Fallführung von Wohngemeinschaften und Pflegestellen bei pädophilen Männern in West-Berlin und im gesamten Bundesgebiet seit den 1960er Jahren zu rekonstruieren, in die die Berliner Senatsverwaltung und Bezirksjugendämter in Berlin als Akteure initiativ mitgewirkt haben. Wie weitgehend diese Wohngemeinschaften und Pflegestellen verbreitet waren und wie die Netzwerke diese gegen die gesetzlichen Vorgaben in der Jugendwohlfahrt und Kinder- und Jugendhilfe durchgesetzt haben, muss in weiteren Aufarbeitungen geklärt werden. Der Fall Fritz H. ist ein deutliches Beispiel, wie ein gut vernetzter und mit institutioneller Macht ausgestatteter Akteur – Helmut Kentler – seine Position und Macht ausnutzt, um die Kontrolle über die Fallführung in dem Berliner Jugendamt mit zu übernehmen und darüber ,Kindeswohlgefährdung in öffentlicher Verantwortung‘ geschehen konnte.“


Mehr zum Thema:  

Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Die Edelmetallmärkte

Wegen der unkontrollierten Staats- und Unternehmensfinanzierung durch die Zentralbanken im Schatten der Corona-Krise sind derzeitig...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Bürokratieabbau: Ministerin fordert mehr Widerstandsfähigkeit und Effizienz
26.04.2024

Rheinland-Pfalz ist ein mittelständisch geprägtes Land. Gerade kleinere Betriebe hadern mit zu viel bürokratischem Aufwand.

DWN
Politik
Politik Hybride Bedrohungen: Drohnen-Flüge und psychologische Kriegsführung
26.04.2024

Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hat eindringlich vor hybriden Bedrohungen in Deutschland gewarnt. Gegen den Einsatz von...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Gallup-Studie: Globale Führungsbewertung 2024 - wie Deutschland unter Großmächten abschneidet
26.04.2024

Die Gallup-Studie 2024 zeigt die Stabilität und Herausforderungen in der globalen Führungsbewertung für Länder wie USA, Deutschland,...

DWN
Politik
Politik Habeck kontert Kritiker: „Energiekrise gemeistert und Strompreise gesenkt“
26.04.2024

Nach Kritik an Atomausstieg: Habeck und Lemke bestätigen, die Energieversorgung sei gesichert und nukleare Sicherheit gewährleistet.

DWN
Immobilien
Immobilien Commerzbank-Studie: Immobilienpreise könnten weiter fallen
26.04.2024

Deutsche Wohnimmobilien verlieren weiter an Wert. Die Commerzbank sieht ein Abwärtspotenzial von 5 bis 10 Prozent, abhängig von...

DWN
Technologie
Technologie Künstliche Intelligenz: Wie sich Deutschland im internationalen Rennen positioniert
26.04.2024

Die Deutsche Industrie macht Tempo bei der KI-Entwicklung. Das geht aus einer kürzlich veröffentlichten Analyse des Deutschen Patent- und...

DWN
Unternehmen
Unternehmen Tarifrunde der Chemieindustrie: Gewerkschaft fordert mehr Lohn
26.04.2024

Im Tarifstreit in Ostdeutschlands Chemieindustrie fordert die Gewerkschaft IG BCE eine Lohnerhöhung von 7 Prozent. Arbeitgeber warnen vor...

DWN
Weltwirtschaft
Weltwirtschaft Automesse China 2024: Deutsche Autohersteller im Preiskrieg mit BYD, Xiaomi und Co.
25.04.2024

Bei der Automesse in China steht der eskalierende Preiskrieg bei Elektroautos im Vordergrund. Mit hohen Rabatten kämpfen die Hersteller...