Politik

Iran und USA stehen kurz vorm Krieg: Werden China und Russland die Gelegenheit nutzen und Nachbarländer annektieren?

Lesezeit: 6 min
06.03.2021 12:54  Aktualisiert: 06.03.2021 12:54
DWN-Kolumnist Roland Barazon analysiert die brisante Lage im Nahen Osten.
Iran und USA stehen kurz vorm Krieg: Werden China und Russland die Gelegenheit nutzen und Nachbarländer annektieren?
Amerikanische Boeing B-52 Stratofortress-Langstreckenbomber werden von F-16 Fighting-Falcon-Kampfflugzeugen (unten) der US-Luftwaffe sowie F-15SA-Jägern der saudi-arabischen Luftwaffe (oben) bei ihrem Flug durch saudischen Luftraum eskortiert. Der gemeinsame Flug der Bomber und Kampfflugzeuge wurde als Machtdemonstration und Botschaft an den Iran unternommen. (Foto: dpa)

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Der Konflikt zwischen dem Iran und den USA hat in den vergangenen Tagen eine neue Dimension erhalten. Der Iran will seit langem den Irak unter seine Kontrolle bringen und sorgt laufend mit kleineren Armee-Einheiten für Unruhe in dem Krisenland. Die USA dagegen versuchen, im Irak eine Demokratie zu errichten, und haben vor wenigen Tagen einen Militärschlag gegen Irans Truppen unternommen. Als Antwort darauf der bombardiert nun der Iran US-Stützpunkte im Irak.

Der Konflikt zwischen dem Mullah-Regime und dem „Großen Satan“ löst in Moskau und Peking Begeisterung aus. Russland sieht sich von Amerika bedroht, China strebt die globale Vormachtstellung an. Beide Großmächte sind jedoch militärisch nicht stark genug für eine Konfrontation mit den USA (weswegen in China der aktuell stattfindende Volkskongress gerade dabei ist, eine spektakuläre Steigerung des Militärbudgets in die Wege zu leiten). Tatsache ist: Ein Konflikt, der die USA beschäftigt, käme ihren beiden Rivalen sehr gelegen. Es ist dann auch kein Zufall, dass beide mit dem Iran eng zusammenarbeiten: Bereits im Dezember 2019 fanden gemeinsame Manöver statt; und vor wenigen Tagen, im Februar, gab es erneut eine militärische Demonstration der Freundschaft zwischen Russland und dem Iran (China war nicht beteiligt).

Mit Russland und China im Rücken fühlt der Iran sich stark

Die iranische Führung sieht sich durch die Kooperation mit Russland und China in der Position der Stärke. Wobei die Gefahr darin besteht, dass Teheran zu weit geht. Ein ernsthafter Angriff auf amerikanische Truppen würde sich zu einer internationalen Krise ausweiten, da auf westlicher Seite aufgrund der Beistandspflichten im Rahmen der NATO die europäischen Staaten an der Seite der USA zum Einsatz kämen. Eine derartige Entwicklung könnte eskalieren – auch wenn China und Russland es eigentlich nicht wollen, könnten sie in den Sog des Konflikts hineingezogen werden. Die Folgen wären nicht auszudenken. Allerdings ist dieses Szenario insgesamt eher unwahrscheinlich.

Wenn Amerika abgelenkt ist

Wahrscheinlicher ist ein – begrenzter – bewaffneter iranisch-amerikanischer Konflikt. Und der liegt durchaus in Pekings und Moskaus Interesse. Ein solcher Konflikt würde den Blick der Weltöffentlichkeit auf den Mittleren Osten lenken, sodass China und Russland in anderen Teilen der Welt mehr oder weniger ungestört agieren könnten.

  • Für China wäre „anderswo“ in erster Linie der unabhängige nationalchinesische Inselstaat Taiwan, den Peking als Teil Chinas betrachtet und daher zu annektieren droht beziehungsweise plant. Die USA agieren seit der Gründung der Republik Taiwan vor über siebzig Jahren als ihre Schutzmacht, was China abgeschreckt hat, jedenfalls bislang. Ein amerikanisch-iranischer Konflikt böte dem Reich der Mitte vielleicht die große Chance zum Zugriff auf das zwar militärisch potente, aber im Fall eines Waffengangs im Endeffekt doch chancenlose Eiland.
  • Seit das gute Einvernehmen zwischen dem Westen und Russland, das in den neunziger Jahren herrschte, einer ständigen Konfrontation mit gegenseitigen Sanktionen gewichen ist, arbeitet Moskau verstärkt an der zumindest teilweisen Wiederherstellung der Grenzen der Sowjetunion. Systematisch werden politische Konflikte in den Nachbarländern geschürt und für die Anbindung an „Mütterchen“ Russland geworben. Eroberungen wie in Georgien 2008 und in der Ukraine 2014 zeichnen sich ab, und daher käme Moskau ein bewaffneter Konflikt zwischen den USA und dem Irak sehr gelegen.

Kurios: Die iranische Führung braucht den „großen Satan“ USA

Die iranische Führung verwendet ihre aggressiven Attacken gegen die USA und generell gegen den Westen als innenpolitisches Instrument: Die Unzufriedenheit der Bevölkerung über die Knebelung durch die religiösen Führer wird immer größer – da soll der gemeinsame Feind, soll der „Große Satan“ das Nationalgefühl der Menschen stärken. Tatsache ist: Obwohl das Regime vom gnadenlosen Polizeieinsatz über Folter-Gefängnisse bis hin zu Serienhinrichtungen kein Instrument der Unterdrückung auslässt, kommt es immer wieder zu Massenprotesten. Diese werden zwar niedergeknüppelt, doch muss selbst in einem Unrechtsstaat die Regierung das Volk in irgendeiner Weise an sich binden. Am besten eignet sich da die Behauptung einer Bedrohung durch den Westen, vor allem durch den Erzfeind Amerika, gegen den sich alle Iraner zum Schutz ihres Landes gemeinsam entgegenstemmen sollen.

Ablenken soll der Konflikt auch von der Wirtschaftskrise, die für Massen-Armut und -Arbeitslosigkeit sorgt, wobei diese Krise von mehreren Faktoren bedingt ist.

  • Der Iran hat keine international wettbewerbsfähige Wirtschaft.
  • Die Sanktionen, die die USA 2018 wieder enorm verschärft haben, legen den ohnehin bescheidenen Außenhandel des Irans lahm. Der Zugang zu den internationalen Finanzmärkten ist versperrt – weder gibt es große Kredite, noch können simple Überweisungen getätigt werden.
  • Der Iran lebt in erster Linie von seinen Ölexporten, die durch die Sanktionen ebenfalls stark beeinträchtigt sind. Darüber hinaus ist der Ölpreis im Zuge von Corona massiv gefallen. Erwähnt werden soll im Zusammenhang mit dem Thema „Öl“ China: Die Volksrepublik ist zu einem wichtigen Abnehmer des iranischen Schwarzen Goldes geworden.

Die gefährlichen Ambitionen von Diktator Chamenei

Der mächtige Herrscher des Iran ist Ali Chamenei. Der 82jährige regiert seit 1989, also seit mehr als dreißig Jahren, und bezeichnet sich als „geistlicher“ Führer, obwohl er das islamische Theologie-Studium nie abgeschlossen hat. Gelegentlich war bereits von seiner Ablöse die Rede, auch, dass ein tatsächlich kompetenter Islam-Geistlicher nachfolgen sollte, doch immer wieder blieb Chamenei an der Macht, gestützt von den sogenannten „Revolutionsgarden“, einer eigenen Armee Chameneis. Übrigens eine verblüffende Parallele: Auch Stalin besuchte ein Priesterseminar, das er aber nie abschloss.

Chamenei hat außer der absoluten Herrschaft im Iran drei politische Ziele:

  • Der Iran soll die Nachbarländer im Westen bis zum Mittelmeer beherrschen, also den Irak, Syrien und den Libanon. Der Architekt dieser Expansion war lange General Qasem Soleimani, den die USA im Januar 2020 mit Hilfe einer Drohne in der irakischen Hauptstadt Bagdad töteten.
  • Das zweite Ziel ist die Übernahme der internationalen Führung des Islam durch den schiitischen Iran. Da trifft Chamenei auf den erbitterten Widerstand des wahhabitisch-sunnitischen, mit den USA verbündeten Saudi-Arabiens, das ebenfalls die Nummer eins in der islamischen Welt sein möchte. Zu einem direkten Krieg zwischen dem Iran und Saudi-Arabien ist es bisher noch nicht gekommen. Allerdings tobt im Jemen, südlich von Saudi-Arabien also, ein Stellvertreterkrieg, der die lokale Bevölkerung in eine der schlimmsten humanitären Katastrophen gestürzt hat. Der Iran unterstützt die Huthi-Rebellen, die Saudis hingegen die Regierung in Zusammenarbeit mit den Vereinigten Arabischen Emiraten, den USA, Großbritannien und Deutschland.
  • Als weiteres Ziel wird von Chamenei stets die Vernichtung Israels angedroht. Diese Botschaft ist Teil der Bemühungen um die Führung der islamischen Welt. Allerdings stehen die arabischen Länder nicht mehr geschlossen gegen den jüdischen Staat: Die Vereinigten Arabischen Emirate haben mit Israel Frieden geschlossen und Botschafter ausgetauscht, das Königreich Bahrain und der Sudan folgten, kurz darauf schloss sich Marokko dieser Entwicklung an. Saudi-Arabien hat inoffiziell Vereinbarungen mit Israel getroffen, um die Expansionsgelüste des gemeinsamen Gegners Iran zu bremsen. Ägypten bekämpft die im Gaza-Streifen herrschende palästinensische Organisation Hamas, die ihren Terror nicht nur gegen Israel, sondern auch gegen ägyptische Einrichtungen richtet.

Der Iran will als angebliche Weltmacht auch Mitglied im Klub der Atommächte sein

Ein wesentliches Element der iranischen Strategie bildet die Produktion von Atomwaffen. Da man sich als Weltmacht versteht, wird die Aufnahme in den „Klub“ der Atommächte als selbstverständlich empfunden. Diese Bemühungen wollten die international bestimmenden Mächte mit dem 2015 in Wien geschlossenen sogenannten „Atom-Deal“ stoppen. Die USA, China, Russland, Großbritannien, Frankreich und Deutschland einigten sich mit dem Iran, dass dessen Atom-Programm nur der Strom-Produktion und nicht dem Bau von Atombomben dienen dürfe. Im Gegenzug sagte man zu, die damals bestehenden wirtschaftlichen Sanktionen gegen den Iran aufzuheben. Stunden nach dem Abschluss ließ Chamenei über Twitter eine Serie von Hasstiraden gegen die USA los, bestätigte zwar, dass man keine Atombomben bauen werde, sich aber alle anderen militärischen Optionen offen halte. Washington wurde klar, dass man sich in den friedlichen Absichten des Iran getäuscht hatte, verhängte prompt neue Sanktionen, und Präsident Barack Obama bremste beim angekündigten Abbau der bestehenden Sanktionen. Unter Donald Trump kündigten die USA das Abkommen sogar gänzlich.

Die Sanktionen:

  • In den vergangenen sechs Jahren haben vor allem die USA immer wieder Sanktionen gegen den Iran beschlossen.
  • Die europäischen Partner des Atom-Deals wollten die Vereinbarung retten, um eine wirtschaftliche Zusammenarbeit zu ermöglichen. Derzeit sind die Europäer aber mit der Mitteilung aus Teheran konfrontiert, dass der Iran die Uran-Anreicherung zum Bau von Atomwaffen wieder aufgenommen hat. Das ist auch für die Europäer inakzeptabel.
  • Eine skurrile Rolle spielt Russland, das, wie bereits erwähnt, als Freund und Partner des Iran agiert, allerdings auch keine weitere Atom-Macht auf dem Globus gutheißt. Moskau widerspricht sich auch in anderer Hinsicht in seiner Iran-Politik: Man hat dem Iran eine Atom-Energie-Anlage geliefert, die als einziges Modell auch für den Bau von Bomben eingesetzt werden kann, während dies bei allen anderen russischen wie westlichen Modellen technisch kaum möglich ist.
  • Der frühere US-Präsident Donald Trump fuhr einen harten Konfrontationskurs, sein Nachfolger Joe Biden verfolgt eine Doppelstrategie: Mit dem eingangs erwähnten Militärschlag gegen die iranischen Truppen im Irak zeigte Biden Härte, gleichzeitig schlug er aber neue Verhandlungen über den Atom-Deal vor. Diesen Vorschlag lehnte der Iran ab und erklärte, man werde erst verhandeln, wenn die USA die immer wieder erneuerten und ergänzten Sanktionen aufhebe. Hier zeigt sich deutlich das bereits angesprochene Gefühl der Stärke, das neuerdings in Teheran zu beobachten ist

Verschiedentlich wird die Meinung vertreten, dass der Sturz des irakischen Langzeitdiktators Saddam Hussein durch die USA den Irak in ein Chaos gestürzt habe, das der Iran auszunutzen versucht – dass also Amerika die Region destabilisiert habe. Diese - durchaus durchdachte und in ihrem Ergebnis nicht abwegige – Analyse ist jedoch mittlerweile durch die Ereignisse überholt. Wäre Saddam heute noch an der Macht, könnten Russland und China für ihr Vorgehen gegen den Westen zwischen den beiden verfeindeten Diktatoren Saddam und Chamenei wählen. Wahrscheinlich würde es auf eine russisch-irakische und eine chinesisch-iranische Allianz hinauslaufen. Diese beiden würden gegeneinander antreten, in der Mitte befände sich die USA – das wäre ein noch viel gefährlicheres Szenario als das, was wir derzeit haben.

Aber auch so bleibt die Lage heikel genug – bleibt zu hoffen, dass sie sich auf ein lokales Feuer beschränkt und nicht zu einem ganz Asien verschlingenden Flächenbrand auswächst.

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Ronald Barazon war viele Jahre Chefredakteur der Salzburger Nachrichten. Er ist einer der angesehensten Wirtschaftsjournalisten in Europa und heute Chefredakteur der Zeitschrift „Der Volkswirt“ sowie Moderator beim ORF.


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