Politik

Wendejahr 2014: Neue Eiszeit zwischen Russland und Europa, Teil 2

Lesezeit: 6 min
16.03.2021 11:40  Aktualisiert: 16.03.2021 11:40
Das Jahr 2014 stellt im Rückblick ein Wendejahr in den Beziehungen beider Seiten dar. Seitdem ging es steil bergab.
Wendejahr 2014: Neue Eiszeit zwischen Russland und Europa, Teil 2
Die Statue der Göttin Bereginja auf dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew. (Foto: dpa)

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Ausgelöst wurde der Bruch von den politischen Umwälzungen in der Ukraine. Nachdem sich der Präsident des Landes Wiktor Janukowitsch Ende 2013 geweigert hatte, ein Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterschreiben, begannen teilweise gewaltsame Proteste und Polizeiaktionen, deren wichtigste Folge die Flucht Janukowitschs war. Die nach der Flucht bestimmte Übergangsregierung unterzeichnete schließlich das Abkommen, woraufhin in zwei östlichen – von vielen russischsprachigen Ukrainern bewohnten – Oblasten des Landes bewaffnete Aufstände ausbrachen. Zudem sickerten bewaffnete Kräfte ohne Hoheitsabzeichen in die Halbinsel Krim ein, deren Bewohner sich seit jeher wie auch die Mehrheit der Bürger in den östlichen Oblasten als Russen verstehen. Die Krim mit dem wichtigen russischen Schwarzmeerhafen in Sewastopol wurde schließlich infolge eines Referendums der russischen Föderation eingegliedert.

Die Flucht des Präsidenten vor den Demonstranten, die Kämpfe im Osten des Landes sowie die sogenannte Annexion der Krim erschütterten die Beziehungen zwischen der EU und Russland nachhaltig.

Die EU begann in der Folge, ihre Haltung zu Russland grundlegend zu hinterfragen und schrittweise umzubauen. Bei der Ausarbeitung einer neuen Sicherheitsstrategie des Bündnisses im Jahr 2016 wurde Russland bereits als „entscheidende strategische Herausforderung“ bezeichnet. Ebenfalls 2016 legte die EU fünf Grundsätze fest, welche fortan das Verhältnis zu Moskau leiten sollten. Dies sind:

  • Grundlegende Änderungen im Verhältnis sind nur bei Erreichung der im Minsker Abkommen zum Ukraine-Konflikt festgelegten Ziele möglich
  • Die Beziehungen zu den Staaten der „Östlichen Partnerschaft“ sowie zu anderen Staaten – auch in Russlands Hinterhof Zentralasien – sollen ausgebaut werden
  • Stärkung der Widerstandsfähigkeit der EU – etwa im Bereich der Energieversorgung oder der strategisch-militärischen Kommunikation
  • selektives Engagement mit Russland bei Themen, die für die EU wichtig sind
  • Weiterführung nur der unbedingt notwendigen persönlichen Kontakte (beispielsweise zwischen den Staatspräsidenten) sowie Unterstützung der Zivilgesellschaft in Russland

Darüber hinaus stellte Brüssel regelmäßig stattfindende Gipfeltreffen sowie den Dialog über Visa-Erleichterungen und die Gespräche über ein neues bilaterales Abkommen, welches das alte PAK ablösen sollte, ein. Russland wurde im März 2014 aus dem Wirtschaftsformat G8 sowie den Beitrittsverhandlungen zur OSZE und der internationalen Energieagentur ausgeschlossen.

Nach dem Abschuss eines Flugzeugs der Malaysian Airlines über der Ostukraine im Juni 2015 weitete die EU die bereits bestehenden Sanktionen deutlich aus. Auch der Zugang zu den Primär- und Sekundärkapitalmärkten der EU ist für bestimmte russische Banken und Unternehmen eingeschränkt worden. Des Weiteren gelten Ein- und Ausfuhrverbote für Waffen und Güter mit militärischem Verwendungszweck und Restriktionen für Hochtechnologie zur Erdölförderung. Auch kann Russland keine Finanzierungen von Seiten der Europäischen Investitionsbank und der Europäischen Bank für Wiederaufbau und Entwicklung abrufen. Des Weiteren wurden die Auslandsvermögen von rund 200 Personen und etwa 50 Unternehmen eingefroren.

Russland reagierte auf die westlichen Sanktionen mit Gegenmaßnahmen. Dazu gehören beispielsweise Importverbote für europäische Lebensmittel und Waren sowie Einreiseverbote für Personen, welche sich in der Vergangenheit öffentlich gegen Russlands Führung ausgesprochen hatten. Als Reaktion auf das Assoziierungsabkommen kündigte Russland zudem Anfang 2016 den Freihandel mit der Ukraine auf – auch weil Kiew zu diesem Zeitpunkt ein Freihandelsabkommen mit der EU abgeschlossen hatte.

Bei all dem muss zwingend beachtet werden, dass Deutschland neben Russland den mit Abstand größten wirtschaftlichen Schaden durch die westliche Sanktionspolitik erlitten hat. Die insbesondere aus den Vereinigten Staaten und Großbritannien geforderten Sanktionen treffen die Volkswirtschaften dieser Länder kaum, sondern haben deutsche Unternehmen bis heute bedeutende Teile ihres Russland-Geschäfts gekostet – insbesondere in den ostdeutschen Bundesländern. Der Ost-Ausschuss der deutschen Wirtschaft bezifferte den Gesamtschaden für Russland, die EU sowie die Anrainerstaaten Mitte 2017 bereits auf einen dreistelligen Milliardenbetrag.

Angesichts von Sanktionen und institutioneller Brüche ist die Frage berechtigt, welche Brücken und Gesprächskanäle beide Seiten überhaupt noch verbinden. Dazu zählt sicherlich die Nord Stream-Pipeline, deren erster Strang in Betrieb ist und deren zweiter Strang künftig zusätzliches Erdgas aus Russland nach Deutschland und von dort weiter in andere EU-Staaten leiten soll. Das Projekt wird jedoch seit Jahren von den USA, Polen und den baltischen Staaten bekämpft. Inzwischen (Stand 3. März 2021) hat es die US-Regierung geschafft, 18 europäische Unternehmen mithilfe massiver Sanktionsdrohungen von dem Projekt abzubringen. Damit wird wie bereits beschrieben eine der letzten Brücken zwischen Russland und der EU von Übersee aus torpediert.

In diesem Zusammenhang sollte nicht vergessen werden, dass die USA weiterhin in großem Umfang Rohöl aus Russland importieren, während sie den Zustrom russischen Erdgases nach Deutschland aus geopolitischen Gründen stoppen wollen und stattdessen ihr Flüssiggas als Alternative ins Spiel bringen.

Mit Blick auf das leidende Verhältnis zu Russland lehnte es Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier denn auch ab, das Projekt Nord Stream 2 im Zuge der „Causa Nawalny“ (mutmaßliche Vergiftung des Putin-Kritikers Nawalny) über Bord zu werfen. Die Geschäftsbeziehungen im Energiesektor seien beinahe „die letzte verbliebene Brücke zwischen Russland und Europa.“ Deutschland habe dabei auch immer das historische Gesamtbild im Blick zu behalten. „Mehr als 20 Millionen Menschen der damaligen Sowjetunion sind dem Krieg zum Opfer gefallen. Das rechtfertigt kein Fehlverhalten in der russischen Politik heute, aber das größere Bild dürfen wir nicht aus dem Blick verlieren“, sagte Steinmeier im Februar – und erntete dafür massive Kritik aus Kiew und Warschau.

Die „Causa Nawalny“ – neuer Tiefpunkt in den Beziehungen

Der Fall des mutmaßlich vergifteten oppositionellen Politikers Alexej Nawalny hat alte Gräben wieder aufgerissen. Russlands Außenminister Sergej Lawrow hatte der EU Mitte Februar sogar die Schuld an der „Zerstörung“ des Verhältnisses gegeben. Der Prozess laufe schon seit langem, sagte Lawrow. Er erneuerte zudem seine Äußerungen, wonach Russland auf einen möglichen Abbruch der Beziehungen mit der EU vorbereitet sei.

Lawrow unterstrich die Bedeutung der Vorgänge im Jahr 2014. Zwar sagte er, dass Russland auch bereit sei für eine Wiederherstellung der Kontakte, wenn die EU das wolle. Er wiederholte aber seine Vorwürfe, dass es mit dem Umsturz in der Ukraine zu einem Wendepunkt gekommen sei. Die EU-Mitglieder Deutschland, Frankreich und Polen hätten damals auf ihre Unterschriften unter einer Vereinbarung für einen Ausweg aus der Krise in der Ukraine „gespuckt“. „Die EU hat kontinuierlich ohne Ausnahmen alle Mechanismen zerstört, die auf Grundlage der Vereinbarungen über eine Partnerschaft und Zusammenarbeit existierten“, sagte Lawrow. Als Beispiel nannte er die Aufkündigung regelmäßiger Gipfeltreffen.

Am 22. Februar schließlich hatte die EU wegen der Inhaftierung Nawalnys in Russland neue Sanktionen auf den Weg gebracht, denen sich die US-Regierung Anfang März anschloss. Zur Verhängung der Strafmaßnahmen wird erstmals ein neues, im vergangenen Jahr geschaffenes EU-Sanktionsinstrument genutzt. Dieses ermöglicht es, in der EU vorhandene Vermögenswerte von Akteuren einzufrieren, die schwerwiegende Menschenrechtsverletzungen begehen oder davon profitieren. Zudem würden unter anderem EU-Einreiseverbote verhängt. Als mögliche Betroffene der neuen Sanktionen gelten Generalstaatsanwalt Igor Krasnow und Ermittlungskomitee-Chef Alexander Bastrykin. Zudem werden auch die Namen des Chefs des Gefängnisdienstes, Alexander Kalaschnikow, sowie des Leiters der Nationalgarde, Viktor Solotow, genannt.

Zugleich betonte Außenminister Heiko Maas die Notwendigkeit, mit Moskau im Dialog zu bleiben – auch wenn man „sicherlich an einem Tiefpunkt“ in den Beziehungen angelangt sei. „Wir brauchen Russland, um viele internationale Konflikte beizulegen“, sagte Maas. Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn äußerte die Sorge, dass der Tiefpunkt noch nicht erreicht sein könnte.

Für diese Sicht sprechen auch Äußerungen von Russlands EU-Botschafter Wladimir Tschischow, der die EU vor neuen Sanktionen gegen sein Land warnte. „Wenn und falls das passiert, werden wir vorbereitet sein zu antworten“, sagte er der Welt. Er warf der EU vor, ihre Entscheidungen auf Grundlage von Vermutungen und Emotionen zu treffen. EU-Chefdiplomat Josep Borrell zufolge müsse eine permanente Konfrontation mit einem Russland vermieden werden, das sich „leider entschieden habe, als Gegner aufzutreten.“ Die Außenminister seien sich einig in der Einschätzung, dass sich Russland in Richtung eines autoritären Staates und weg von Europa entwickle, erklärte der Spanier.

Zu Teil 1 des Artikels gelangen Sie hier.


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