Politik

Früher Opium, heute Corona: Wie das Leben von Millionen zerstört wird

Lesezeit: 5 min
14.03.2021 12:52  Aktualisiert: 14.03.2021 12:52
DWN-Kolumnist Christian Kreiß zieht eine historische Parallele, die reichlich Stoff für Diskussionen bietet.
Früher Opium, heute Corona: Wie das Leben von Millionen zerstört wird
Im 19. Jahrhundert breitete sich Opium auf Betreiben der Kolonialmächte in ganz Asien aus (zeitgenössische Zeichnung) - ein Foto aus "Der große Rausch: Das Zeitalter der Imperien". Arte zeigt die Dokumentationsreihe "Der große Rausch" am 31.03.2020. (Foto: dpa)
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Unter dem Vorwand, für den Freihandel einzutreten, schickten im 19. Jahrhundert wirtschaftliche Profiteure und Machtpolitiker die Bürger eines fremden Landes zu Millionen bewusst und sehenden Auges in den gesundheitlichen Ruin und einen elenden Tod. Dadurch schlugen die Drahtzieher zwei Fliegen mit einer Klappe: Zum einen erzielten sie riesige Gewinne. Zum anderen ruinierten sie die ökonomische und soziale Basis des Opfer-Landes nachhaltig und machten seine Einwohner, insbesondere die Eliten, über Generationen schwach und willenlos. Dadurch wurde das Land problemlos beherrschbar und konnte leicht als Kolonie ausgebeutet werden.

Folgendes können wir aus diesem historischen Beispiel lernen: Die Gesundheit von Millionen bewusst zu ruinieren, kann ein sehr erfolgreiches Konzept sein. Erstens kann man damit riesige Gewinne erwirtschaften und ungeheuer reich werden. Zweitens kann man durch ein solches Vorgehen seine politische Macht massiv erhöhen.

Um seine Pläne erfolgreich umzusetzen, sollte man zwei Punkte beachten: Man sollte stets selbstlose Gründe für sein Vorhaben vorschieben und von den eigentlichen finsteren Absichten tunlichst ablenken. Und man sollte die führenden Köpfe des Gegners ausschalten, weil von diesen in aller Regel der größte Widerstand ausgeht. Tatsache ist: Dieses bewährte Erfolgskonzept lässt sich auch heute noch erfolgreich anwenden.

Kanonen gegen Speere: Der große Opiumkrieg

In der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts wurde Opium das wichtigste Exportgut Großbritanniens nach China. In der britischen Kolonie Indien wurde Mohn angebaut und zu Opium verarbeitet. Dann wurde es durch britische Kaufleute mit „fabelhaften Gewinnen“ nach China verkauft. Obwohl der Opiumkonsum in China offiziell verboten war, sorgten Schmugglernetze für dramatisch steigenden Absatz. „Im Zusammenspiel mit Tabak wurden die ´schnapsartigen Dämpfe´ zum viel zitierten ´Allheilmittel für alles menschliche Leid´“ schreibt der Journalist Berthold Seewald in seinem lesenswerten Artikel „So stieg England zum weltgrößten Drogendealer auf“, der 2018 in der „Welt“ erschien. Von 1800 bis 1834 verzehnfachte sich der Opium-Import nach China auf etwa zweieinhalb Millionen Kilo reinen Rauschgifts. Um 1800 hatte China etwa 300 bis 400 Millionen Einwohner, was etwa einem Drittel der Weltbevölkerung entsprach.

Da Opium eine stark abhängig machende, gesundheitsschädigende Droge ist, beschloss der chinesische Kaiser 1839, den Stoff zu verbieten. Unter anderem wurden über 20.000 Kisten Opium, das entsprach etwa der Hälfte der Importe eines ganzen Jahres, von den chinesischen Behörden beschlagnahmt und öffentlich verbrannt. Mit der Begründung, die Ehre Englands wiederherzustellen und den Freihandel zu schützen, begann Großbritannien im Herbst 1840 einen Krieg gegen das Reich der Mitte. Im Wissen um ihre gewaltige militärische Überlegenheit schlugen die Briten von China vorgebrachte Friedensverhandlungen aus, bis sie einen umfassenden Sieg errungen hatten, und zwar ohne nennenswerte Verluste (Großbritannien verlor 530 Soldaten, von denen 69 im Gefecht fielen. Die chinesischen Verluste werden auf 18.000 bis 20.000 Gefallene und Verwundete geschätzt).

Die „Ungleichen Verträge“

Durch die sogenannten „Ungleichen Verträge“ von 1842 wurde der Opiumhandel de facto auf Generationen legalisiert, China musste enorme Reparationsleistungen zahlen, und Hongkong wurde zur britischen Kronkolonie. Daraufhin nahm der chinesische Opium-Import bis 1850 um weitere rund 25 Prozent zu. Um 1900 rauchten ungefähr zehn Prozent der chinesischen Bevölkerung Opium, drei bis fünf Prozent der Chinesen exzessiv. Dutzende Millionen von Menschen wurden langsam ausgezehrt und in den Tod getrieben. Von jetzt an war Chinas nicht mehr die unumstrittene Hegemonialmacht Asien, sondern mehr oder minder ein Vasallenstaat. Ein Staat, der in Lethargie, Korruption, Inflation, Hunger, Unsicherheit und Not versank. Auch viele Armee-Einheiten waren wegen Opiumkonsums nicht mehr in der Lage, ihren Dienst zu versehen. Das Land war auf Generation hinaus schachmatt gesetzt.

Wie der Krieg schöngeredet wurde

Interessanterweise ging der Vertrag von 1842 mit keinem Wort auf den Opiumschmuggel ein, eine offizielle Legalisierung des Opiumhandels wurde aus innenpolitischen Gründen von der britischen Regierung vermieden, und die britischen Spitzenpolitiker taten im Nachgang alles, nicht mit dem Begriff „Opium“ in Verbindung gebracht zu werden. Tatsächlich kommt der Begriff in dem ganzen Vertrag nur ein einziges Mal vor, und zwar im Zusammenhang mit von Großbritannien geforderten Reparationszahlungen wegen der Opiumverbrennung durch die Chinesen.

Dies bringt uns zu der Frage: Warum hat das britische Parlament einem Krieg zugestimmt, dessen Hauptzweck es war - wie praktisch alle wussten - eine schlimme Droge zu verbreiten? Denn die führenden Kreise in England und die Parlamentarier waren sich der abhängig machenden, schädlichen Wirkung von Opium durchaus bewusst.

Was die militärische Ausgangssituation anging: Sie war eindeutig. Durch die hohe technische Überlegenheit war klar, dass Großbritannien den Krieg gewinnen würde (die britischen Berufssoldaten waren mit modernen Handfeuerwaffen und Artillerie bewaffnet, die chinesischen Bauernmilizen mit Lanzen und Schwertern). Doch wie sollte man ein solch moralisch fragwürdiges Unternehmen politisch und öffentlich begründen? Immerhin bezeichnete der renommierte US-amerikanische Historiker und Sinologe John K. Fairbank 150 Jahre später die erzwungenen britischen Opiumlieferungen an China als „das am längsten dauernde und systematische internationale Verbrechen der Neuzeit“.

Letztlich wurde in der öffentlichen Meinung sowie in der Parlamentsdiskussion geschickt von der menschlichen, moralischen beziehungsweise gesundheitsruinierenden Frage abgelenkt. Es wurde hervorgehoben, dass die Chinesen britisches Eigentum vernichtet (über 20.000 Kisten Opium öffentlich verbrannt) und damit die britische Krone beleidigt hatten, dass sie die Briten als „Barbaren“ bezeichneten und dass der Handel mit China ohne „Maßnahmen der Stärke und Energie […] nicht länger mit Sicherheit für Leben und Eigentum“ stattfinden könne. Es wurde argumentiert, dass auch China von einer Öffnung seiner Märkte und der Integration in die Weltwirtschaft profitieren würde.

Der britische Außenminister Palmerston, auf dessen Betreiben der Krieg geführt worden war, schrieb kurz nach dem Waffenstillstand gar, der Krieg habe „befriedigende Ergebnisse“ gebracht, und weiter: „Zweifellos wird dieses Ereignis eine Epoche im Fortschritt der Zivilisation der menschlichen Rassen darstelle.“ Kurz gesagt: Man schob vernünftig klingende Argumente als Vorwand vor und ließ dabei die unmenschlichen Auswirkungen geschickt unter den Tisch fallen.

Wie der Krieg eingefädelt wurde

Doch wie wurde das erreicht? Es gab einen maßgeblichen Drahtzieher, heute würde man sagen, einen Lobbyisten, der enormes Interesse an einem Krieg gegen China hatte: William Jardine, ein Opiumhändler, der durch seine Geschäfte ungeheuer reich wurde und zuletzt sogar einen Sitz im britischen Parlament bekam. Jardine fädelte zusammen mit seinem Geschäftspartner Matheson die Argumentation brillant und systematisch ein. Als reichem, einflussreichem Händler gelang es ihm zunächst, das Ohr des Außenministers für seine Ideen zu gewinnen. Dann wandte er sich systematisch an die Öffentlichkeit. Von den beiden Opiumhändlern wurde detailliert geplant, sich die Zustimmung der führenden Zeitungen zu sichern und „literary men“, Autoren und Schriftsteller zu gewinnen, die den Krieg voranbringen sollten.

Beides gelang mit Bravour. Viele Zeitungen berichteten innerhalb kurzer Zeit im Sinne der Kriegsunterstützer. Ein Bestseller-Autor wurde beauftragt, ein Buch zu schreiben, das pünktlich Anfang 1840, also einige Monate vor Kriegsbeginn, erschien. In dem Buch wurden die chinesischen Verantwortlichen beschimpft und nach Vergeltung zur Rettung der nationalen Ehre aufgerufen. Es war also alles andere als Zufall, dass die öffentliche Meinung in Großbritannien beziehungsweise dem britischen Parlament umschlug und die Abstimmung – wenn auch mit 271 zu 262 Stimmen äußerst knapp - letztlich pro-Invasion ausfiel. Reiche, skrupellose Kaufleute hatten ihr Land in einen Krieg getrieben!

Das große Übersehen der Historiker

Was jedoch in praktisch allen historischen Darstellungen fehlt, ist folgendes: Opium ist im Wesentlichen eine Droge für wohlhabende Menschen, denn es ist zum einen relativ teuer, zum anderen macht es seine Konsumenten auf Dauer arbeitsunfähig. Mit anderen Worten: Opium ist eine Droge für die Eliten. Auch zeitgenössische Statistiken bestätigen das. Dadurch können die führenden Vertreter eines Volkes auf Generationen schwach, krank und apathisch beziehungsweise willenlos gemacht werden. Unter machtpolitischen Gesichtspunkten ist es also ein genialer Schachzug, die Eliten eines anderen Volkes auszuschalten. Dadurch macht man ein Land langfristig wehrlos, gefügig und leicht zu unterdrücken.

Die Strategie der Eliten-Vernichtung ist in der Kriegsführung seit langem bekannt und wird seit Jahrtausenden bis heute sehr erfolgreich angewandt. Auch wenn diese Strategie in der mir bekannten offiziellen historischen Literatur zu den Opiumkriegen nie erwähnt wird, dürfte sie meiner Einschätzung nach von den eigentlichen Drahtziehern – damit meine ich nicht die Kaufleute Jardine und Matheson, sondern die britischen Politiker - sehr bewusst zum Tragen gebracht worden sein. Ja, die Eliten-Vernichtung dürfte für Großbritanniens Machthaber der wichtigste oder sogar der Hauptgrund gewesen sein, den Krieg überhaupt zu führen. Tatsächlich hat das Überfluten Chinas mit Opium das Land für die Dauer von rund vier Generation, bis Mao auf die Bildfläche trat, zu einem Heloten-Volk gemacht.

Lehren aus der Geschichte

Jetzt erhebt sich die Frage: Was können wir aus der Geschichte lernen? Die Antwort: Sehr viel. Wir sollten uns aktuell, bezogen auf unseren Umgang mit Corona, folgende Fragen stellen:

Wer sind die heutigen Lobbyisten? Wer hat gegenwärtig welche finanziellen oder machtpolitischen Interessen? Könnte jemand Interesse an der Durchführung von gesundheitsschwächenden Maßnahmen haben? Könnten heute Interessengruppen von einem Niedergang der Wirtschaft, insbesondere von kleinen und mittelständischen Unternehmen profitieren? Wer nimmt heute welchen Einfluss auf unsere Medien? Wie ausgewogen wird heute in Medien und der öffentlichen Meinung argumentiert? Gibt es massiv geförderte Bestseller-Autoren, die gezielt Interessen vertreten, beispielsweise eine neue Wirtschaftsordnung propagieren? Welche wohlklingenden Argumente werden in den Vordergrund gerückt, und welche Argumente unter den Tisch fallengelassen? Wie geht man im öffentlichen Diskurs mit Andersdenkenden um, insbesondere mit den führenden Köpfen, die der herrschenden Meinung gefährlich werden könnten?

Ich denke, wir können eine ganze Menge aus der Geschichte lernen.

                                                                            ***

Prof. Dr. Christian Kreiß, Jahrgang 1962: Studium und Promotion in Volkswirtschaftslehre und Wirtschaftsgeschichte an der LMU München. Neun Jahre Berufstätigkeit als Bankier, davon sieben Jahre als Investment Banker. Seit 2002 Professor an der Hochschule Aalen für Finanzierung und Volkswirtschaftslehre. Autor von sieben Büchern: Gekaufte Wissenschaft (2020); Das Mephisto-Prinzip in unserer Wirtschaft (2019); BWL Blenden Wuchern Lamentieren (2019, zusammen mit Heinz Siebenbrock); Werbung nein danke (2016); Gekaufte Forschung (2015); Geplanter Verschleiß (2014); Profitwahn (2013). Drei Einladungen in den Deutschen Bundestag als unabhängiger Experte (Grüne, Linke, SPD), Gewerkschaftsmitglied bei ver.di. Zahlreiche Fernseh-, Rundfunk- und Zeitschriften-Interviews, öffentliche Vorträge und Veröffentlichungen. Homepage www.menschengerechtewirtschaft.de


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