Wege zur Einheitbank
Wie weit ist denn die vermeintlich geplante Zentralisierung von Europas Bankensektor bereits fortgeschritten? Eine Einheitswährung mit einer Zentralbank und einem Zins für den gesamten Euroraum gibt es ja immerhin schon. Die Anzahl der Banken in der Eurozone ist laut Professor Werner seit Gründung der EZB um mehr als 4.800 gesunken. Die Transformation der EZB zur einzigen Bank Europas sieht er folglich als konsequenten nächsten Schritt in ihrem Streben nach immer mehr Macht.
Dem geneigten Beobachter stellt sich nun die Frage, mit welchen Mitteln die EZB ihr vermeintliches Endziel erreichen könnte.
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Sie könnte die regulatorischen Auflagen weiter verschärfen, um die Oligopolisierung des Bankensektors zu beschleunigen.
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Sie könnte die Erodierung der Zinserträge vorantreiben, indem man den Leitzins ins Negative drückt.
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Sie könnte neue Wege gehen und beispielsweise den Notenbanken der Schweiz und Japans nacheifern, die schon seit vielen Jahren Aktien aufkaufen, und auf diesem Weg den eigenen Einfluss vergrößern. Verkaufen könnte man das als „Stabilisierungsmaßnahme“ im nächsten größeren Börsencrash.
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Sie könnte die Geldpolitik noch weiter pervertieren und anfangen, auch die jüngst im Zuge des Wiederaufbaufonds aufgelegten Eurobonds in die eigenen Bücher umzuleiten. Die EZB hält heute schon rund 30 Prozent aller offenen Staatspapiere und einen deutlich kleineren aber stetig wachsenden Anteil an Unternehmensanleihen der Euroländer.
Abseits der mehr oder weniger konventionellen Geldpolitik könnte sie sich noch weitreichendere Befugnisse schaffen, indem sie sich – wie schon geschehen – die Bekämpfung des Klimawandels und Nachhaltigkeitsaspekte auf die Agenda setzt. Mit dem Klimaschutz schafft sich die EZB eine schier endlose Quelle von Rechtfertigungen zur Intervention, denn das Klima wandelt sich laufend. Wird es zu warm (oder zu kalt), muss man mehr Geld drucken. Wird es zu stürmisch (oder windstill), muss man mehr Geld drucken. Regnet es zu viel (oder zu wenig), muss man mehr Geld drucken.
Noch „vielversprechendere“ Mittel und Wege würde das digitale Zentralbankgeld bieten. Eine staatliche blockchain-basierten Digitalwährung könnte es für alle Bürger erforderlich machen, ein Konto bei der Zentralbank zu eröffnen, um die „EZB-Coins“ verwenden zu können. Dies, so Werner, ist nichts anderes wie wenn der Schiedsrichter beim Fußballspiel den Ball selbst ins Tor kickt und alle, die ihm im Wege stehen mit roten Karten vom Platz pfeift. In Kombination mit einer Bargeldabschaffung würde in einem solchen Szenario ein Großteil des Zahlungsverkehrs direkt über die Zentralbank-Konten der Bürger laufen.
Die Einführung einer Digitalwährung durch die EZB ist tatsächlich in aller Munde. Dabei handelt es sich laut Professor Werner um den Eintritt der EZB in das tägliche Brot des Bankgeschäfts, indem die EZB sich anschickt, dem allgemeinen Publikum Einlagenkonten anzubieten.
Die Zentralbanken sind auch Bankaufsichtsbehörde. Nun wollen sie aber direkt mit ihren Aufsichts-Hörigen, den Banken, im Bankgeschäft konkurrieren. Dies wirft Fragen über grundlegende Interessenskonflikte auf. Und laut Werner wirft dies auch ein ganz neues Licht auf die Bankenpolitik der EZB in den letzten zwei Jahrzehnten: Denn wenn die EZB schon immer die Absicht hatte, einmal direkt mit den Banken zu konkurrieren, dann erklärt dies natürlich, warum sie seit ihrer Gründung so aggressive Maßnahmen ergriff, dass bereits über 4.800 Banken aus dem Wettbewerb getrieben wurden.
Schöne neue Welt mit smartem digitalen Zentralbankgeld
Wenn man wirklich alle Zahlungsströme kontrollieren will, müssten gleichzeitig alle privaten Kryptowährungen verboten werden. Das wäre durchaus möglich, auch wenn es wohl nie gelingen würde, die Nutzung privater Kryptos komplett einzudämmen. Ebenso müsste man rigorose Kapitalkontrollen einführen, um den Abfluss des Geldes ins Ausland oder in Vermögenswerte wie Aktien zu erschweren.
Die meisten Banken müssten dichtmachen. Wenige Großbanken würden formal weiter existieren, aber de facto als Zweigstellen von der neuen Einheitsbank einverleibt werden. Werner sieht aber auch Szenarien (zum Beispiel in China), in denen die Währungshüter nicht gegen alle Banken agieren, sondern ihre Pläne in Kooperation mit einigen Großbanken umsetzen werden.
Für Professor Werner ist der hypothetische Zustand, in welchem die EZB die einzige Bank im Euroraum ist, der Endpunkt im großen EZB-Plan zur „Zerstörung des europäischen Bankensektors“. Einen solchen Plan könnte man aber nicht einfach öffentlich verkünden, sondern müsste ihn anders verpacken.
Im Kontext des digitalen Zentralbankgeldes könnte man darauf hinweisen, dass Mikrozahlungen vereinfacht, kleine Unternehmen wettbewerbsfähiger und der gesamte Zahlungsverkehr massiv verbilligt und deutlich effizienter werden würde. Besonders schmackhaft wäre die Aussicht auf ein bedingungsloses Grundeinkommen, dieses würde dann eben exklusiv in Form von EZB-Coins verteilt.
Sobald sich der EZB-Coin zum dominierenden Zahlungsmittel entwickelt, würden Banken als Intermediäre zunehmend überflüssig und auch nicht mehr lebensfähig. Die gesamte Zahlungsabwicklung wäre in der Hand der Zentralbank. Kredite könnte man irgendwann nur noch bei der EZB aufnehmen. Die europäische Einheitsbank wäre eine Mischung aus zentraler und normaler Bank.
Gleichzeitig würde die Regierung auf unvorstellbare Möglichkeiten der sozialen Kontrolle zurückgreifen können, denn das digitale Zentralbankgeld könnte ganz schnell zum „Überwachungsgeld“ werden. Man würde nicht nur riesige Datenmengen über das Kaufverhalten der Bürger anhäufen, sondern könnte auch – bei sozialem Fehlverhalten – ausgewählte Transaktionen blockieren oder gleich das ganze Zentralbank-Konto sperren.
Möglicherweise würde man sogar Negativzinsen auf die Bürgereinlagen verlangen, denn legale Ausweichmöglichkeiten gäbe es dann ja nicht mehr. Zentralbankstrategen sprechen sogar ganz offen über tiefe Negativzinsen als ein wichtiger Grund, warum digitales Zentralbankgeld eingeführt werden soll. Wirklich nötig hätte das die europäische Einheitsbank aber nicht – man könnte sich schließlich einfach aus der Druckerpresse refinanzieren.
Die monetäre Moderne - wirklich zum Wohle aller?
Moderne monetäre Ideen wie das Helikoptergeld ließen sich sehr viel einfacher umsetzen. Deratige Massengeschenke würde man vermutlich mit einem Ablaufdatum und eingeschränkten Verwendungszwecken versehen, um unmittelbar den Konsum anzukurbeln. Auch selbst erarbeitetes Digitalgeld könnte die Einheitsbank mit der Zeit automatisch an Wert verlieren lassen, wenn es pro Bürger nur noch dieses eine Konto bei der EZB gäbe.
Noch vor der Einführung dieses digitalen Zentralbankgeldes und nachdem die EZB in einem möglichen Szenario fast den gesamten Markt an Aktien, Anleihen, verbrieften Krediten und unter Umständen sogar Immobilien leergekauft hat, wäre eine große Währungs- und Finanzmarktreform denkbar. An deren Ende bekommt beispielsweise jeder Bürger ein kleines Startguthaben in EZB-Coins plus einen Anteil am verschmolzenen Volksvermögen, welches fortan als Pseudo-Deckung der digitalen Einheitswährung dient. Jeder Bürger bekäme exakt denselben prozentualen Anteil, versteht sich. Ganz im sozialistischen Stil würde die Einheitsbank bei der Verteilung niemanden bevorzugen.
Das könnte dann der Startschuss in eine vermeintlich bessere und gerechtere Welt sein. Und falls mehrere große Zentralbanken dem Beispiel der EZB folgen, dann wäre es mit ein wenig Koordinierungsarbeit bis zur Einführung einer digitalen Weltzentralbank-Währung vielleicht nicht mehr weit.
Und wenn es doch Probleme geben sollte, den Bürgern diese schöne neue Welt mit Einheitsgeld und Einheitsbank zu verkaufen, dann werden womöglich härtere Register gefahren und es könnte frei nach Orwell heißen: „Ein Konto bei der europäischen Freiheitsbank ist Pflicht“.
Über Professor Werner:
Prof. Dr. Richard Werner ist derzeit Lehrstuhlinhaber für Banking und Finance an der De Montfort University in England. Er war von 2011 bis 2019 Mitglied des EZB-Schattenrats. Werner ist ein großer Fan des dezentralen Bankings und ist seit einigen Jahren dabei, in England „Community Banks“ nach deutschem Vorbild zu gründen. 2003 erschien sein Buch „Princes of the Yen“, welches in Japan zu einem Bestseller wurde. Er hat eine eigene Homepage (www.professorwerner.org) und ist auf Twitter unter @professorwerner und @scientificecon aktiv.