Schon vor der flächendeckenden Installierung von Notenbanken hat es Finanzblasen und -krisen gegeben – man denke nur an die Tulpenmanie in Holland (um 1630) oder die „Südsee-Blase“ in England (um 1720). Und Inflation, also der aus Geldmengen-Steigerungen herbeigeführte Kaufkraftverlust des Geldes im Zeitablauf, war schon immer ein stetiger Begleiter menschlichen Wirtschaftens – auch vor der Gründung der ersten Zentralbanken im 17. Jahrhundert. Inflation trat sowohl in privater (Geldfälschung, Vergabe von ungedeckten Krediten) als auch in institutionalisierter (Münzverschlechterung zur Kriegsfinanzierung) Form auf. Seitdem es staatliche Notenbanken gibt, scheinen solche Krisen aber noch häufiger aufzutreten – obwohl die modernen Zentralbanken für gesamtwirtschaftliche Stabilität sorgen und solche Krisen folglich verhindern sollten.
Die ausbaufähige Erfolgsbilanz der Zentralbanken in Sachen Krisenprävention
Die Geschichte des 20. Jahrhunderts ist nicht zuletzt eine Geschichte von Geldentwertungen gigantischen Ausmaßes, von zahlreichen geplatzten Finanzblasen und schweren Krisen des Finanzsystems. Dazu zählen unter anderem:
- die deutsche Hyperinflation (1923)
- der Schwarze Freitag, die anschließende Große Depression in den USA und die Weltwirtschaftskrise (1929-1941)
- die große Ölkrise (1973)
- die Lateinamerikanische Schuldenkrise (1980er Jahre)
- die Aktien- und Immobilienblase sowie Bankenkrise in Japan (frühe 1990er Jahre)
- die Asienkrise (1997-1999)
- der Dotcom-Crash (2000-2002)
- die US-Immobilienblase und große Welt-Finanzkrise (2008)
- die Eurokrise (seit 2010 und de facto noch nicht bewältigt)
- der Corona-Crash (2020)
Insbesondere seit 1971, also nach dem Ende des Bretton-Woods-Systems – welches einen indirekten dollarbasierten Goldstandard festlegte – und der Verbreitung komplett ungedeckter Währungen (oft als „Fiat-Währungssystem“ bezeichnet), häufen sich die Krisen. Obwohl die Notenbanken nicht allein dafür verantwortlich gemacht werden können, ist die zeitliche Koinzidenz dennoch verblüffend.
Einige Episoden kann man sich durchaus ein wenig genauer anschauen:
Die Immobilien- und Aktienblase in Japan kam nicht durch Zufall zustande, sondern war absehbar. In den Jahren vor dem Crash waren die Banken dazu angehalten, ja sogar mit einem Quotensystem faktisch dazu gezwungen worden, die Kreditvergabe massiv zu erhöhen. Gleichzeitig hielten sie hohe Aktienbestände an den einheimischen Konglomeraten. Dabei durften die Banken noch einen erheblichen Teil der (vorübergehenden) Bewertungsreserven auf ihren Aktienbeständen zum Eigenkapital anrechnen. Der Anstieg der Aktienmärkte schaffte zusätzlich mehr Platz zur Kreditvergabe. Mit dem Zusammenbruch des Immobilien- und Aktienmarktes innerhalb von zwei bis drei Jahren hatten die Banken kein Eigenkapital mehr. Seither verfolgt die japanische Zentralbank eine Politik des billigen Geldes. Die Finanzpolitik operiert ununterbrochen mit riesigen primären Defiziten von fast zehn Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Staatshaushalt. Kein Land hat so hohe Staatsschulden wie Japan, die großenteils alle bei der Notenbank liegen. Die „Bank of Japan“ hat darüber hinaus sogar rund ein Viertel der heimischen Aktien aufgekauft – geholfen hat es dem Nikkei-Index nur bedingt. In der Finanzwelt spricht man zuweilen von der „japanischen Sklerose“ und spekuliert darüber, ob uns (anstelle eines harten Crashs) im Westen in den nächsten Jahrzehnten ein ähnliches langanhaltendes Leiden droht.
Die Federal Reserve (Fed) betrieb bereits in den frühen Neunzigerjahren eine Politik des billigen Geldes, aber erst als Reaktion auf den Dotcom-Zusammenbruch (2000) wurden die Schleusen so richtig geöffnet. Die Dotcom- und Immobilienblase wurden aber ursprünglich erst durch Zinssenkungen aktiv befeuert.
Bei den meisten kleinen oder größeren Finanzkrisen und Börseneinbrüchen (in der Grafik als graue Balken markiert) in den USA zeigte sich dasselbe Muster: Zinssenkungen der Fed unter den hypothetischen natürlichen Marktzins, schuldengetriebener Boom (Stichworte: Finanzinnovationen, neue Finanzinstrumente, margin debt), moderate Zinserhöhungen, Crash gefolgt von massiven Zinssenkungen. Auch die Große Depression vor nunmehr fast 100 Jahren verlief nach diesem Muster.
In jüngster Zeit lässt man die temporären Zinserhöhungen gleich ganz weg – der letzte Versuch führte Ende 2018 immerhin zu einem 20-prozentigen Flashcrash an den Aktienmärkten. So schnell wird man es nicht noch einmal wagen. Dies ist einer der Gründe, warum es trotz der historisch gesehen sehr hoch bewerteten US-Aktienmärkte den von einigen Experten schon seit langem vermuteten epochalen Einbruch noch nicht gegeben hat.
Es scheint, als würde die Fed vorwiegend nur Finanz-Blasen und/oder verstärkte Konjunkturzyklen erzeugen (Boom), um dann als Reaktion auf das Platzen dieser Zyklen (Bust) wieder die Geldschleusen zu öffnen, damit neue Krisen zu erzeugen, und so weiter, und so fort. Man meint, mit Zinssenkungen und „Geld-ins-System-pumpen“ könnte man jede Wirtschafts- und Finanzkrise glätten. In Wirklichkeit erschafft oder verschlimmert man diese Krisen teilweise erst durch die eigene Geldpolitik.
Absurder Anleihe-Wahnsinn
In Europa ist der geldpolitische Irrsinn noch ausgeprägter. Seit Beginn der Eurokrise (die immer noch nicht beendet ist) sind insbesondere die Anleihemärkte mehr oder weniger von der EZB übernommen worden. Auch in den Vereinigten Staaten kauft die Federal Reserve eifrig Staatsanleihen auf. Aber nur in Europa gibt es Strafzinsen für Banken auf ihre Guthaben bei der Notenbank in Höhe von 0,75 Prozent wie etwa in der Schweiz.
Die Geschichte der Anleihen beginnt mit Kriegsanleihen, die nie zurückgezahlt wurden. Trotz dieser historischen Last und der Tatsache, dass die Schuldenstände weltweit explosionsartig angestiegen sind, ist die Bepreisung von Schuldtiteln heute erstaunlich hoch. Mittlerweile rentieren rund ein Fünftel (!) aller Anleihen weltweit negativ – das entspricht einem Volumen von ungefähr 20 Billionen Dollar an negativ verzinsten Schuldpapieren. Ein Großteil davon sind Staatsanleihen. In diesem Segment sind die Notenbanken häufig schon der dominante Käufer. Aber auch bei Unternehmens-Emissionen helfen die Währungshüter nach und sorgen dafür, dass immerhin rund eine Billion Dollar an Unternehmens-Anleihen negativ rentiert.
Hundertjährige österreichische Staatsanleihen würden Anlegern bei der aktuellen Bepreisung zum Laufzeitende eine negative Rendite einbringen. Das klingt nicht nur, sondern das ist auch verrückt. Die Zinslandschaft ist inzwischen vollkommen verzerrt; mit Marktpreisen hat dieser Wahnsinn schon lange nichts mehr zu tun. Die Anleihemärkte von heute repräsentieren die wohl größte finanzielle Blase aller Zeiten.
Sollten die Zentralbanken nicht eigentlich für eine systemische Stabilität sorgen und solche Ungleichgewichte gar nicht erst entstehen lassen? In der Theorie ja, die Praxis sieht allerdings anders aus. Die Federal Reserve gibt es seit 1913: Seitdem gab es etliche Asset-Blasen und Finanzkrisen, aber kein einziger Fed-Banker hat jemals etwas kommen sehen. An den Märkten wurden Greenspan, Bernanke, Draghi, Yellen jeweils gefeiert, dabei sind es Irrsinnige im Kleid und Habitus von Biedermännern beziehungsweise einer biederen Großmutter.
Jede Krise wird von der Fed mit der gleichen Taktik bekämpft: Man öffnet den Geldhahn. Die absehbare Politik der US-Notenbank in Kombination mit der erwarteten Reaktion der Finanzmärkte – insbesondere der Aktienmärkte – bezeichnet man als „Fed-Put“. Analog dazu heißt es an der Wall Street: „Wette niemals gegen die Fed“.
Ob man diesen Put im übertragenen Sinne kaufen sollte oder doch gegen die Fed wetten will, ist eine individuelle Chancen-Risiko-Abwägung. Gefahrlos ist auch das Wetten auf einen ständigen Bailout der Finanzmärkte durch die Zentralbanken nicht. Denn Spielraum für Zinssenkungen besteht bei (annähernd) Nullzinsen faktisch nicht – höchstens noch in den negativen Bereich.
Was an den Finanzmärkten noch funktioniert, verpufft jetzt schon größtenteils wirkungslos in der Realwirtschaft. Die Schulden der Weltwirtschaft betragen mittlerweile 365 Prozent relativ zur Weltwirtschaftsleistung. In den USA und Europa dominiert die Staatsverschuldung das Bild, während in Asien und insbesondere China vor allem die Unternehmen hoch verschuldet sind.
Es zeigt sich das Gesetz des abnehmenden Grenznutzens von „gedrucktem“ Geld beziehungsweise der Neuverschuldung. Es braucht eine immer höhere Verschuldung, um kurzfristig überhaupt das sehr bescheidene durchschnittliche Wachstum zu halten.
Besonders deutlich ist das in den USA, wo sich Geldmenge und reale Wirtschaftsleistung seit der Jahrtausendwende voneinander entkoppelt haben. Der Verschuldungszyklus ist offensichtlich in die Jahre gekommen. Die Politik der monetären Lockerung („Quantitative Easing“) ist in dieser Hinsicht ineffektiv, wenn nicht sogar kontraproduktiv.
In Europa wächst die breitgefasste Geldmenge M3 in der jüngeren Vergangenheit im Vergleich zur Wirtschaft etwa doppelt so schnell.
Und in China kann seit knapp zehn Jahren nicht einmal mehr das nominale BIP-Wachstum mit der Zunahme der Verschuldung des Gesamtsystems mithalten.
Fazit: Mangelhafte Zielerfüllung
Das ursprüngliche Ziel der ersten Zentralbanken – die Staatsfinanzierung – wird heute zumindest indirekt ganz gut erfüllt. Die Stabilisierung der Gesamtwirtschaft und Prävention von Finanzkrisen ist dagegen weniger gut geglückt. Impliziert dieses Ziel nicht auch, dass etwaigen finanziellen Ungleichgewichten und Verwerfungen vorzubeugen ist, bevor sie sich richtig entfalten können? Man muss gar nicht daran glauben, dass Zentralbanken für alle Verwerfungen in der jüngeren Geschichte mitverantwortlich sind. Es reicht aus, dass es überhaupt zu Fehlentwicklungen gekommen ist, um die Nichterfüllung des Stabilitäts-Ziels zu begründen.
Kurz- bis mittelfristiges Wachstum konnten die fast konstanten Geldmengenerhöhungen dabei – wenn überhaupt – nur sehr begrenzt stimulieren; besonders deutlich zeigt sich das seit der Jahrtausendwende. Von wirklich nachhaltigem Wachstum ganz zu schweigen. Mit der Nullzinspolitik hat man außerdem die Wirtschaft in eine Zombie-Landschaft verwandelt.