Die Europäische Union hilft den sechs nicht zur EU gehörenden Ländern des Balkans mit 651.000 Impfdosen bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie. Dies sei ein erster Schritt, dem noch weitere folgen würden, sagte Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg. Österreich koordiniere die von Mai bis August laufende Aktion im Auftrag der EU. "Als Europäische Union signalisieren wir ganz klar, wir betreiben nicht nur Nabelschau, wir schauen über den Tellerrand und uns ist ganz klar, dass wir selber erst dann in Sicherheit sind, wenn unsere engsten Nachbarn es auch sind."
Die Dosen von Biontech/Pfizer seien von vorneherein für diese Art von Nachbarschaftshilfe reserviert worden. Die Hilfsaktion habe keinen Einfluss auf das Impftempo in der EU.
Die Impfstoffe würden nicht pro Kopf, sondern nach Notwendigkeit verteilt. So erhielten Bosnien-Herzegowina, Nordmazedonien und Albanien, wo erst sehr wenige Menschen geimpft sind, fast 500.000 Dosen. Der Rest gehe in das Kosovo, nach Montenegro und Serbien. Die Hilfe sei vor allem für das Gesundheits- und Pflegepersonal gedacht. Das letzte Wort aber hätten die Staaten selbst.
Serbien ist am wenigsten auf die Hilfe angewiesen. Das Balkanland verabreicht massiv auch russische und chinesische Vakzine und hat deshalb bereits 26 Prozent der Bevölkerung zumindest einmal geimpft. Im Rahmen des Programms erhält es im Verhältnis zur Bevölkerungszahl eher die kleine Menge von 36.000 Impfdosen von der EU.
Impfstoff-Diplomatie
Es ist kein Zufall, dass die EU den sechs nicht zum Block gehörenden Staaten im westlichen Balkan hilft. Wie bereits erwähnt, haben sowohl Chinesen als auch Russen in den vergangenen Monaten mehrfach Länder der Region mit ihren Vakzinen unterstützt. Die EU fürchtet, dass damit eine Verstärkung des Einflusses beider Länder in der Region einhergeht, welche in Brüssel als „Hinterhof“ betrachtet wird und zu der die EU-Beitrittskandidaten Serbien, Albanien, Nordmazedonien und Montenegro gehören. Zudem hatte auch die Türkei in der jüngeren Vergangenheit versucht, ihren Einfluss in der Region – die sie Jahrhundertelang in Form des Osmanischen Reiches besetzt hielt – zu verstärken.
Die Grünen im Bundestag schrieben im Februar in einem Antrag, die Europäische Union lasse eine Lücke bei der Verteilung von in der EU entwickelten Impfstoffen auf dem Balkan, in Afrika, Lateinamerika und anderen Weltregionen. Diese werde zum Teil von China und Russland gefüllt, auch zur „Erzeugung finanzieller und politischer Abhängigkeiten“, behauptete die Partei, ohne Beweise für diese Vermutungen vorzulegen.
Zur Entwicklung auf dem Balkan schrieb die lettische Tageszeitung „Diena“ im Mai 2020:
„Die sechs Länder auf dem westlichen Balkan leiden weiterhin unter wirtschaftlicher Instabilität, die durch die negativen Auswirkungen der Pandemiebeschränkungen verstärkt wird. Die wirtschaftliche Unterstützung durch die EU ist daher von wesentlicher Bedeutung. Dies ist besonders wichtig in diesem Jahr, in dem die einflussreichsten EU-Mitgliedstaaten zu Beginn der Corona-Krise so sehr mit ihren eigenen Problemen beschäftigt waren, dass sich ihre Nachbarn auf dem westlichen Balkan völlig verlassen fühlten. Dies gab Russland, China und der Türkei, die nie ihr Interesse an einem wachsendem Einfluss in der Region verborgen haben, weitere Trümpfe in die Hand. Sowohl Russland als auch China haben bereits das Zögern der EU bereits erkannt und ausgenutzt, um öffentlich ihre Unterstützung für den Balkan zu bekunden.“
EU-Osterweiterung innerhalb der EU umstritten
Dabei darf nicht vergessen werden, dass eine Aufnahme der vier Beitrittskandidaten in die EU innerhalb dieser umstritten ist.
Die Bundesregierung hatte zum Ende ihrer halbjährigen EU-Ratspräsidentschaft im Dezember des vergangenen Jahres einen weiteren Rückschlag bei der Suche nach Kompromissen in der EU-Balkan-Politik erlitten. Tschechien und die Slowakei blockierten die Verabschiedung eines wichtigen Textes zu den Fortschritten im EU-Erweiterungsprozess. Zuvor hatte bereits Bulgarien ein Veto gegen den Start der EU-Beitrittsverhandlungen mit Nordmazedonien eingelegt. Dieses blockiert auch den ebenfalls geplanten Start der EU-Beitrittsverhandlungen mit Albanien.
Als problematisch gilt die Situation, weil die Balkanstaaten auch von Ländern wie Russland, China und der Türkei umworben werden. Schleppende Fortschritte beim Ausbau der Beziehungen zur EU könnten deswegen dazu führen, dass von Brüssel eingeforderte Reformen für mehr Demokratie und Rechtsstaatlichkeit vernachlässigt werden.
EU-Diplomaten äußerten sich Mitte Dezember dementsprechend frustriert. „Es ist tragisch für den westlichen Balkan, dass sich bei der EU-Erweiterungspolitik mehrere Lager in der EU gegenseitig blockieren“, hieß es in Brüssel. Dies alles sendet ein „verheerendes Signal“ in Richtung Balkan und eröffne die Chance für andere Akteure.
Als besonders ärgerlich wurde gewertet, dass die Botschafter aus Tschechien und der Slowakei dem Text am Mittwoch noch zugestimmt hatten und das Veto erst am Donnerstag im Ministerrat gezogen wurde.
Als Hauptgrund für die derzeitige Blockade der Balkan-Politik gilt ein Streit zwischen Bulgarien und Nordmazedonien um die teils gemeinsame Geschichte. Darin wirft Bulgarien Nordmazedonien einen „Diebstahl von Geschichte“ vor. Zudem weigert sich Bulgarien, die mazedonische Sprache als eigenständig anzuerkennen, da Sofia sie für einen bulgarischen Dialekt hält.
Tschechien und die Slowakei begründeten ihr Veto mit ihrer Verärgerung über die Blockade der Beitrittsverhandlungen mit Albanien und Nordmazedonien. Konkret kritisierten sie zudem, dass in die Erklärung zum Erweiterungsprozess unter dem Druck Bulgariens ein Verweis auf Geschichtsstreitigkeiten mit Nordmazedonien aufgenommen worden war.
Die deutsche Ratspräsidentschaft hatte sich zuletzt intensiv dafür eingesetzt, Bulgarien im Streit mit Nordmazedonien zum Einlenken zu bewegen. Die Regierung in Sofia war allerdings hart geblieben.
Zu den Balkanstaaten, die einen EU-Beitritt anstreben, werden neben Serbien und Montenegro die Länder Albanien, Nordmazedonien, Bosnien-Herzegowina sowie das Kosovo gezählt. Mit Montenegro und Serbien führt die EU bereits offizielle Beitrittsverhandlungen, die Aufnahme von Gesprächen mit Albanien und Nordmazedonien wurde im Frühjahr nach monatelangen EU-internen Diskussionen beschlossen. Bosnien-Herzegowina und das Kosovo gelten bislang lediglich als potenzielle Kandidaten für Verhandlungen.