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Bundesrat winkt Infektionsschutzgesetz durch, Steinmeier unterzeichnet

Lesezeit: 3 min
22.04.2021 15:05  Aktualisiert: 22.04.2021 15:05
Im Bundesrat haben die Länder das neue Infektionsschutzgesetz teils scharf kritisiert und dann verabschiedet. Dann beeilte sich Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, das Gesetz zu unterzeichnen.
Bundesrat winkt Infektionsschutzgesetz durch, Steinmeier unterzeichnet
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn spricht am Donnerstag während der Sondersitzung des Bundesrats. (Foto: dpa)
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Zustimmung mit geballter Faust in der Tasche: Der Bundesrat hat das geänderte Infektionsschutzgesetz mit der Corona-Notbremse des Bundes trotz massiver Kritik passieren lassen. In einer Sondersitzung verzichtete die Länderkammer am Donnerstag darauf, den Vermittlungsausschuss anzurufen. Das Gesetz wurde unmittelbar darauf von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier unterzeichnet. Alle sechs Ministerpräsidenten, die in der gut zweistündigen Debatte sprachen, zerpflückten die Regelungen.

Die Länderchefs hatten durch die Bank verfassungsrechtliche Bedenken - insbesondere wegen der starren Notbremse - und sahen immense Probleme bei der kurzfristigen praktischen Umsetzung. Der vielfach kritisierte "Flickenteppich" an Pandemieregeln werde nun noch größer, hieß es. Die Ministerpräsidenten monierten auch, dass der Bund die Erfahrungen der Länder in der Pandemiebekämpfung nicht berücksichtigt habe.

Die Länder wollten aber offenkundig nicht als Bremser in der Pandemiebekämpfung dastehen, zumal sie wegen der Infektionslage selbst Handlungsbedarf sahen. "Ja, es ist richtig, dass schnell gehandelt wird. Die spannende Frage ist natürlich: wie, in welcher Form und mit welchem Inhalt?", sagte Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU).

Die Zustimmung erfolgte in minimalster Form: Es gab keine förmliche Abstimmung. Eine Zustimmung der Länderkammer war allerdings ohnehin nicht erforderlich. Bundesratspräsident Reiner Haseloff (CDU) stellte nur fest, dass der Vermittlungsausschusses nicht angerufen werde, weil hierfür keine Anträge vorlägen. "Dieses Gesetz kann daher in Kraft treten, wenn der Bundespräsident es ausgefertigt hat und es verkündet wurde."

Gezogen werden soll die Notbremse, wenn in einem Landkreis oder einer Stadt die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner binnen sieben Tagen an drei Tagen hintereinander über 100 liegt. Dann dürfen Menschen ab 22.00 Uhr die eigene Wohnung in der Regel nicht mehr verlassen. Alleine spazierengehen und joggen ist bis Mitternacht erlaubt. Es darf sich höchstens noch ein Haushalt mit einer weiteren Person treffen, wobei Kinder bis 14 Jahre ausgenommen sind. Läden dürfen nur noch für Kunden öffnen, die einen negativen Corona-Test vorlegen und einen Termin gebucht haben. Präsenzunterricht an Schulen soll ab einer Inzidenz von 165 meist gestoppt werden.

Im Bundesrat wurde ein tiefes Zerwürfnis zwischen Bund und Ländern spürbar. Haseloff kritisierte scharf die Kompetenzverlagerung auf den Bund. "Der heutige Tag ist für mich ein Tiefpunkt in der föderalen Kultur der Bundesrepublik Deutschland", sagte der Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt. Die Länderkammer berate über ein Gesetz, "dessen Entstehung, Ausgestaltung und Ergebnis unbefriedigend sind". Der saarländische Regierungschef Tobias Hans (CDU) betonte: "Ob diese Kompetenzverlagerung auf die Bundesebene eine wirkungsvollere Art der Pandemiebekämpfung darstellt, dieser Beweis, der ist noch nicht erbracht. Und der muss erbracht werden."

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) sagte den Ländern in der Sitzung unverblümt, dass sie sich dieses Gesetz selbst zuzuschreiben hätten. "Seit Anfang März sind die Instrumente ja alle benannt, aufgeschrieben, eigentlich vereinbart und geeint, inklusive der Ausgangsbeschränkungen", sagte er mit Blick auf die Bund-Länder-Runde vom 3. März. "Und da müssen wir uns ehrlich machen: Obwohl Bund und Länder dasselbe wollen, ist bei vielen der Eindruck entstanden, wir würden nicht am selben Strang ziehen in den letzten Wochen." Das einheitliche Handeln, so der Eindruck, sei verloren gegangen. Das Gesetz sei "das Ergebnis all dieser Entwicklungen".

Bouffier bezeichnete die starren Ausgangsbeschränkungen als "verfassungsrechtlich problematisch". Es stelle sich auch die Frage, wie zum Beispiel die vorgesehenen Schulschließungen kurzfristig umgesetzt werden sollten. Der Hesse bedauerte es, "dass der Bundestag die Chance hat verstreichen lassen, viele Erfahrungen der Länder, die wir aus einem Jahr praktischem Krisenmanagement gesammelt haben, mehr und intensiver aufzunehmen". Das hätte die Akzeptanz in der Bevölkerung deutlich erhöhen können.

Stephan Weil aus Niedersachsen sagte, die Neuregelungen seien für den Infektionsschutz "kein großer Wurf". Bei den Ausgangsbeschränkungen sei er "sehr gespannt" auf die Rechtsprechung. Seinem Land gebe das Gesetz sogar erhebliche Lockerungsmöglichkeiten. Der SPD-Politiker fasste seine Bewertung so zusammen: "Für mein Land unnötig, aber ich füge hinzu: auch unschädlich." Berlins Regierungschef Michael Müller (SPD) bezeichnete das Gesetz als "eine Ergänzung - vielleicht eine wichtige Ergänzung unseres eigenen Handelns, ein Baustein mehr, nicht mehr und nicht weniger als ein Baustein".

Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow sah allerdings auch Versäumnisse bei den Ländern. Man könne jetzt nicht nur mit dem Finger auf die Bundesregierung zeigen. "Sondern ich zeige auch den Finger auf uns zurück und sage: Nur gemeinsam schaffen wir es, weiterhin der Pandemie die Stirn zu bieten."

Bei einer Veröffentlichung des geänderten Infektionsschutzgesetzes im Bundesgesetzblatt noch am Donnerstag, tritt es an diesem Freitag in Kraft. Nach Angaben des Sprechers des Bundesinnenministeriums, Steve Alter, zieht die Notbremse ab Samstag dann überall dort automatisch, wo am Dienstag, Mittwoch und Donnerstag die Sieben-Tage-Inzidenz über 100 lag. Allerdings müssten die nach Landesrecht zuständigen Behörden in den jeweiligen Gebieten dies am Freitag noch bekannt machen.

Mehr zum Thema: Liste der Grausamkeiten: Was sich mit der Bundes-Notbremse ändert


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