Energieverluste in der Industrie: Lösung durch smarte Sensoren und elektronische Steuerung
Pumpen, Kompressoren, Rückkühler oder Speichersysteme: Gerade in der Industrie geht viel Energie verloren, weil sie irgendwo im System verpufft. Verschiedene Elemente sind oft nicht optimal aufeinander abgestimmt, sodass unnötig gekühlt, erwärmt oder in die Luft geblasen wird. Dabei verfügen die meisten dieser industriellen Energiesysteme bereits über smarte Sensoren und elektronische Steuerungsmöglichkeiten, die in sogenannten Building Management Systemen (BMS) zusammenlaufen. Dennoch justieren häufig noch Menschen mehr oder weniger manuell, was reaktive Software vorgibt, die die zahlreichen Systemdaten verarbeitet.
Etalytics findet Einsparpotenziale durch KI
"Wir können hier häufig 20 bis in Spitze siebzig Prozent einsparen", sagt Dr.-Ing. Niklas Panten, CEO und Mitgründer von Etalytics. "Je komplexer das System, desto größer das Einsparpotenzial." Das Geheimnis der kleinen Firma aus Darmstadt, die lange unter dem Radar großer Investoren flog?
Eine selbstentwickelte Künstliche Intelligenz, die nach einer Machbarkeitsstudie auf lokaler Infrastruktur oder in der Cloud installiert und etwa zwei Wochen trainiert wird, um dann auf Basis multidimensionaler mathematischer Modelle die Systemsteuerung von Kühl-, Wärme-, Lüftungs- oder Eigenerzeugungssystemen zu übernehmen. Zu bisherigen Kunden zählen unter anderem Volkswagen, Stellantis, Equinix, NTT Data und Merck.
Skepsis und Vertrauen bei Kunden
"Die meisten unserer Kunden stammen aus der kritischen Infrastruktur und sind daher sehr risikoavers. Sie wollen zunächst sehen, dass die KI hält, was wir versprechen", sagt Panten. "Daher erfolgt die Aufschaltung der KI in mehreren Stufen und kann jederzeit wieder deaktiviert werden. Die Betriebsteams behalten die volle Kontrolle. Zudem lassen sich die Entscheidungen unserer Software nachvollziehen – das ist keine Black Box, in der man nicht erkennt, was passiert. Und wir installieren bei Bedarf lokal, also ohne dass Daten jemals das Betriebsgelände verlassen."
Oft seien Kunden zu Beginn skeptisch, erfreuten sich dann jedoch im Verlauf des Prozesses zunehmend höherer Effizienz und Kosteneinsparungen, sodass sich die Anschaffung meist nach einem halben Jahr amortisiere, sagt Panten. Dabei spielten viele Faktoren eine Rolle - etwa auch die klimatischen Bedingungen, erläutert Panten: "Es kann sein, dass wir zu einer anderen Jahreszeit mit veränderten klimatischen Bedingungen nochmal ein Fine-Tuning vornehmen müssen – das Betriebsverhalten im Sommer unterscheidet sich vom Winter. Unsere Modelle extrapolieren aber vergleichsweise gut auch in Bereichen, wo bisher keine Daten verfügbar sind. Am Ende geht es immer darum, in allen Betriebsbereichen die maximale Effizienz dynamisch einzustellen."
Reaktive vs. proaktive Energiesteuerung
Etalytics nutzt also Künstliche Intelligenz, um komplexe Energiesysteme in der Industrie effizient zu steuern und bisher ungenutzte Effizienzpotenziale sichtbar und nutzbar zu machen. Viele Unternehmen agieren im Energiemanagement weiterhin reaktiv – mit starren Regeln und hohem manuellen Aufwand für Analyse, Optimierung und Reporting. "Hunderte Anlagen, tausende Datenpunkte und äußere Einflüsse wie Wetter, interne Lasten oder volatile Energiemärkte wirken aufeinander – das macht es selbst erfahrenen Ingenieuren nahezu unmöglich, dauerhaft ein Optimum zu erkennen und zu halten", erklärt Panten.
Paradigmenwechsel durch etaONE
Die Lösung von Etalytics, etaONE, markiert einen klaren Paradigmenwechsel. Panten vergleicht die KI mit einem Dirigenten, der dem Energiesystem-Orchester aus physikalischen Gegebenheiten und Parametern den Takt vorgibt: "Dieser digitale Dirigent analysiert und optimiert Energieverbundsysteme vorausschauend, datenbasiert und ganzheitlich. Die KI erfasst die Stimmung im Raum in Echtzeit, passt die Komponenten dynamisch aneinander an und antizipiert die nächsten Betriebszustände, bevor ein Problem entsteht." Der harmonische Klang dieses Energie-Orchesters reduziert Verluste und senkt die Kosten.
Finanzierung und Expansion
Das Darmstädter Deep-Tech-Unternehmen hat kürzlich seine Series-A-Finanzierungsrunde um acht Millionen Euro erweitert – angeführt vom Microsoft-Venture-Fonds M12. Damit steigt das Gesamtvolumen auf sechzehn Millionen Euro. Auch die bestehenden Investoren Alstin Capital (Carsten Maschmeyer), ebm-papst und die Beteiligungs-Managementgesellschaft des Landes Hessen (BMH) unterstützen Etalytics weiterhin. Mit dem frischen Kapital will das Unternehmen seine internationale Präsenz ausbauen, insbesondere in Nordamerika, Europa und Asien, und die Entwicklung der KI-Plattform etaONE beschleunigen.
Strategische Partnerschaften
"Wir freuen uns, M12 als strategischen Partner an Bord zu haben", sagt Panten. "Das Investment ist ein entscheidender Meilenstein auf unserem Weg, industrielle Energiesysteme intelligenter, resilienter und nachhaltiger zu gestalten. Mit Microsofts Technologie-Ökosystem beschleunigen wir die digitale Transformation energieintensiver Branchen weltweit."
"Etalytics verändert, wie einige der energieintensivsten Industrien der Welt arbeiten", sagt Michael Stewart, Managing Partner bei M12. "Die Plattform adressiert eine zentrale globale Herausforderung: industrielle Energieverbräuche großflächig zu optimieren und gleichzeitig Nachhaltigkeit messbar zu machen."
Teamaufbau und internationale Märkte
Mit der neuen Finanzierung plant Etalytics im Zuge der Expansion, das Team auf über 120 Mitarbeiter zu erweitern und die KI-Funktionalitäten für industrielle Energiesysteme auszubauen. So soll eine internationale Plattform für skalierbare, softwarebasierte Energieoptimierung entstehen. "Kurz gesagt: Wir entwickeln ein intelligentes, skalierbares Betriebssystem für Energiesysteme – mit dem Anspruch, Energieeffizienz, Wirtschaftlichkeit und Klimaschutz global und über den gesamten Systemlebenszyklus messbar und realisierbar zu machen", fasst Panten zusammen.
"Ich werde selbst nach Kalifornien gehen und unser Unternehmen dort gemeinsam mit neuen Mitarbeitern, auch aus den USA, weiter aufbauen. Ich freue mich aufs Silicon Valley." Das KI-Umfeld sei in den USA sehr dynamisch, es gebe große Herausforderungen, aber auch Chancen. Besonders im Visier von Etalytics: Rechenzentren. Durch ihr Energiemanagement könnten diese effizienter und damit sowohl günstiger als auch ressourcenschonender betrieben werden.
"In Deutschland gibt es weniger als 600 Rechenzentren, in den USA fast 6.000", sagt Panten. Und es werden immer mehr: Dank des KI-Booms planen Hyperscaler wie Google, Amazon, Meta und Co. aktuell riesige Neuprojekte. Der Markt ist also groß, und der Zeitpunkt für den Eintritt günstig. "Wir expandieren aber auch innerhalb Europas, insbesondere im Fokus die Niederlande, Großbritannien, Frankreich, Spanien und Italien. Und in Asien, dort besonders Singapur." Der Markt sei besonders dort interessant, wo Energieeffizienz gesetzlich verankert werde.
Forschung mit Praxisbezug
Die Motivation liegt im Potenzial bestehender Energieinfrastrukturen: "Wenn man den Endenergieverbrauch in Deutschland betrachtet, fällt auf: Industrie sowie Gewerbe, Handel und Dienstleistungen machen zusammen fast die Hälfte des gesamten Verbrauchs aus", sagt Panten. Besonders in Querschnittstechnologien wie Kälte, Wärme, Lüftung oder Druckluft sowie in der Gebäude- und Prozessklimatisierung schlummern enorme Effizienzpotenziale. Forschungsarbeiten an der TU Darmstadt und der Aufbau der ETA-Fabrik als Realdemonstrator zeigen: Selbst moderne Energieverbundsysteme laufen noch erstaunlich ineffizient, einfach weil niemand das Gesamtsystem ganzheitlich steuert.
Etalytics ist ein Spin-off der Technischen Universität Darmstadt und entstand aus mehreren Forschungsprojekten zur KI-gestützten Energiesystemanalyse. Panten und Thomas Weber (CRO) begleiteten die Projekte sechs Jahre lang, ehe daraus ein Unternehmen wurde – mit dem Ziel, Forschungsergebnisse in industrielle Praxiswirkung zu übersetzen. "So wird aus Forschung mit Anspruch echte Wirkung in der Praxis: Ein intelligentes Energiemanagement, das nicht nur reagiert, sondern gestaltet", sagt Panten.
Echtzeitoptimierung und digitale Zwillinge
Die KI-Lösung erstellt digitale Zwillinge der Anlagen, überwacht den Betrieb rund um die Uhr, erkennt Anomalien frühzeitig und optimiert das System vorausschauend – je nach Ziel, sei es Kosten, Stabilität oder Nachhaltigkeit. Rechenzentren, Chemie- oder Automobilunternehmen können den Energieverbrauch um zwanzig bis vierzig Prozent senken, bei Lüftungsanlagen sogar bis zu siebzig Prozent. "Dieser Effekt entsteht, weil etaONE die bestehenden Anlagen effizienter auslastet – etwa durch bessere Nutzung der Freikühlung, adaptive Temperatursollwerte oder verkürzte Laufzeiten energieintensiver Komponenten", erläutert Panten. Die Etalytics-Optimierung berücksichtige aber auch dynamische, untertägige Änderungen von Energiepreisen und passe flexibel das Betriebsverhalten an. In Hochpreisphasen werden dann verstärkt Speicherpotenziale genutzt oder falls möglich auf andere Energiequellen umgestellt.
Neben der Energieeinsparung sorgt etaONE durch die vorausschauende Fahrweise für stabilere Prozesse und schafft Transparenz. Gerade für Rechenzentrumsbetreiber ist das entscheidend, da enge Temperaturbänder eingehalten werden müssen. Digitale Zwillinge vergleichen kontinuierlich das erwartete mit dem tatsächlichen Verhalten einzelner Anlagen. Abweichungen – etwa durch verschmutzte Wärmetauscher oder ineffiziente Aggregate – werden früh erkannt. Das reduziert Fehlalarme, manuelle Eingriffe und ungeplante Stillstände deutlich. Gleichzeitig liefert etaONE automatisch alle relevanten Betriebs- und Verbrauchsdaten für interne und externe Berichtspflichten – etwa zur Umsetzung von EnEfG-Vorgaben oder CSRD-Reporting.
KI als Hebel der Energiewende
Die Technologie soll die Energiewende voranbringen. "Unser System nutzt vorhandene Energiedaten, um Effizienzpotenziale sichtbar zu machen, den Energieeinsatz zu optimieren und CO₂-Emissionen deutlich zu senken – und das ganz ohne neue Hardware. Wir steigern die Intelligenz des Systems, nicht die Komplexität", betont Panten. Besonders in energieintensiven Branchen wie Chemie, Pharma, Automotive oder Rechenzentren entfaltet etaONE seine Wirkung: "Wird dieses Modell global skaliert, lassen sich ganze Kraftwerkskapazitäten vermeiden und Milliarden Euro an Energiekosten sparen", sagt Panten.
Abgrenzung zu klassischen Anbietern
Was Etalytics von klassischen Energiemanagement-Anbietern unterscheidet, ist der tief integrierte Einsatz von KI und digitalen Zwillingen. "Unser Ansatz endet nicht wie bei Anderen mit der Visualisierung von Energiedaten, sondern erst nach der intelligenten Steuerung komplexer Energieverbundsysteme – mit dem Ziel, betriebliche Einsparungen, CO₂-Reduktion und Prozessstabilität gleichzeitig zu realisieren", so Panten. Während viele Systeme auf Monitoring oder regelbasierte Logiken setzen, übernimmt etaONE also aktiv die vorausschauende Betriebsführung und realisiert messbare Einsparungen.
Herausforderungen und Chancen
Die aktuelle Energiesituation in Deutschland erfordert genau diesen Ansatz: steigende Preise, volatile Märkte, geopolitische Spannungen und der Umbau hin zu Klimaneutralität erhöhen den Druck auf Industrie und Mittelstand. "Die Energiewende kann nicht allein durch neue Technologien, Netzausbau oder Erzeugungskapazitäten gelingen. Wir müssen auch die Effizienz und Intelligenz im Verbrauch drastisch steigern", sagt Panten. KI könne dabei als "Betriebssystem für das Energiesystem von morgen wirken– effizient, resilient und skalierbar".
Mitarbeiter und Unternehmensstolz
Worauf Panten besonders stolz ist? "Wir veranstalten zweimal im Jahr ein großes Fest, einmal im Sommer und einmal zu Weihnachten. Unsere rund 70 Mitarbeiter kommen dann zusammen, mit ihren Partnern und Kindern. Und klar freue ich mich über unseren wirtschaftlichen Erfolg und das Vertrauen unserer Investoren. Aber die Menschen da zu sehen, die alle die Extrameile für die Firma gehen, zu spüren, was wir aufgebaut haben, wie viele Arbeitsplätze wir geschaffen haben, welche Verantwortung wir tragen – das erfüllt mich mit Stolz", sagt Panten. "Ich denke dann: Das habe ich mit aufgebaut."
Verglichen mit der akademischen Welt, in der die Uhren etwas anders ticken, ist Panten froh, in der Wirtschaft zu sein. "Das war auch immer mein Ziel. Ich will etwas bewegen, etwas umsetzen. Nicht nur darüber nachdenken."
Gründern im Greentech- und Industrie-Software-Bereich rät er zu Geduld, Praxisnähe und Verständnis für industrielle Prozesse: "Früh raus aus der Theorie – rein in den echten Betrieb. Nur wer früh mit Pilotkunden arbeitet, lernt, worauf es in der Praxis wirklich ankommt."

