Bei gewalttätigen Protesten gegen eine geplante Steuerreform in Kolumbien liefern sich Demonstranten und Polizisten zum Teil heftige Auseinandersetzungen. In der Hauptstadt Bogotá und der Metropole Cali wurden zahlreiche Demonstranten und Polizeibeamte verletzt. Der kolumbianische Präsident Iván Duque verurteilte die „Vandalen-Akte“ auf Twitter.
Rund 50.000 Kolumbianer waren erstmals Ende April 2021 der Zeitung „El Tiempo“ zufolge in verschiedenen Städten des südamerikanischen Landes auf die Straße gegangen. Die Demonstranten ließen sich auch von einem gerichtlichen Verbot und der Corona-Pandemie nicht davon abbringen, gegen die geplante Steuerreform der Regierung zu protestieren.
Die Regierung will unter anderem die steuerlichen Freibeträge senken, die Einkommenssteuer für bestimmte Gruppen erhöhen und die Befreiung von der Mehrwertsteuer für eine Reihe von Waren und Dienstleistungen abschaffen. Damit sollen die von der Corona-Krise verursachten Defizite im Staatshaushalt ausgeglichen werden.
Die Unruhen in Kolumbien haben auch eine geopolitische Komponente. Kolumbiens aktuelle Regierung unterstützte die Lateinamerika-Politik der Trump-Regierung. Zuvor hatte Duque gemeinsam mit den Präsidenten Chiles und Paraguays und dem Generalsekretär der Organisation Amerikanischer Staaten offen zu einem Umsturz in Venezuela aufgerufen. Sie forderten die venezolanischen Streitkräfte zum Ungehorsam gegenüber ihrem Präsidenten Nicolás Maduro auf.
Über die Rolle Kolumbiens bei den Vorkommnissen in Venezuela führt der englischsprachige Dienst von Reuters aus: „Eine von den USA unterstützte Anstrengung, 2019 Hilfe nach Venezuela zu schicken, die in einer gewaltsamen Pattsituation an der kolumbianischen Grenze endete, war laut einer Prüfung der an der Operation beteiligten Hilfsorganisation in Washington nicht im Einklang mit den humanitären Grundsätzen. Die US-Agentur für internationale Entwicklung (USAID) sandte im Februar 2019 Hilfsgüter an die kolumbianische Grenzregion, da es in Venezuela chronisch an Nahrungsmitteln und Medikamenten mangelt und die Unterernährung zunimmt.“
Im Rahmen des „Venezuela Live Aid“-Konzertes, das von dem britischen Milliardär und Unternehmer Nicholas Branson organisiert wurde, sollte am 23. Februar 2019 ohne Zustimmung der venezolanischen Regierung ein LKW-Konvoi mit „humanitären Hilfsgütern“ von der kolumbianischen Grenzstadt Cúcuta aus nach Venezuela durchbrechen, so „Amerika24.de“.
USAID-Funktionäre hatten ihre Mitarbeiter vor Ort angewiesen, das Vorgehen „auf die Stärkung der Glaubwürdigkeit der Übergangsregierung [Guaidós] auszurichten“, führt die Organisation USAID in ihrem aktuellen Bericht aus. „Amerika24.de“ wörtlich: „Demnach soll die Führung der von der US-Regierung finanzierten Behörde auch die Anweisung ausgegeben haben, die Geldmittel für Organisationen der Vereinten Nationen zu minimieren, obwohl diese in Venezuela eine Infrastruktur hatten, um benötigte Hilfsgüter zu liefern.“ Die Selbstkritik von USAID hat handfeste Gründe.
Offenbar unternimmt die US-Regierung unter Joe Biden einen Wechsel in der US-amerikanischen Lateinamerika-Politik, die zuvor unter Trump auf die „Monroe-Doktrin“ ausgerichtet werden sollte. Somit müssen sich die aktuellen Proteste in Kolumbien gegen die Regierung nicht zwangsläufig negativ auf die Interessen der USA auswirken. Ganz im Gegenteil. Die Biden-Regierung wird voraussichtlich wie in der Iran-Frage eine andere Methode anwenden, um die außenpolitischen Ziele der USA zu erreichen. Schließlich plant die US-Regierung, mit den europäischen Mächten weltweit zusammenzuarbeiten. Dies wäre im Rahmen der Monroe-Doktrin, die Trump unterstützt hatte, nur bedingt möglich gewesen.
Was ist die Monroe-Doktrin?
In seiner Ansprache an den Kongress vom 2. Dezember 1823 artikulierte Präsident James Monroe die Politik der USA hinsichtlich der neuen politischen Ordnung, die sich in den übrigen ,Americas’ (Lateinamerika, Anm. d. Red.) entwickelte, und hinsichtlich der Rolle Europas in der westlichen Hemisphäre. Die als Monroe-Doktrin bekannte Aussage wurde von den Großmächten Europas wenig beachtet, wurde aber schließlich zu einem langjährigen Grundsatz der US-Außenpolitik.
Die Doktrin - getrennte Einflussbereiche für Amerika und Europa, Nichtkolonisation und Nichtintervention - sollte einen klaren Bruch zwischen der Neuen Welt und dem autokratischen Bereich Europas darstellen, berichtet das US-Außenministerium. Die Regierung von Monroe warnte die imperialen europäischen Mächte vor einem Eingriff in die Angelegenheiten der neuen unabhängigen lateinamerikanischen Staaten oder potentiellen Territorien der USA.
Während die Amerikaner im Allgemeinen gegen europäische Kolonien in der Neuen Welt waren, wollten sie auch den Einfluss der USA und die Handelsbeziehungen in der gesamten Region nach Süden verstärken. Der europäische Merkantilismus stellte das größte Hindernis für diese wirtschaftliche Expansion dar. Die Amerikaner befürchteten, dass insbesondere Spanien und Frankreich erneut die Herrschaft über die lateinamerikanischen Völker, welche gerade die europäische Hoheit abgeschüttelt hatten, erringen könnten. Beunruhigend waren auch die Anzeichen, dass Russland seine Präsenz von Alaska nach Süden in Richtung des Oregon-Territoriums ausdehnte. Die Briten hatten ihrerseits ein starkes Interesse daran, den Niedergang des spanischen Kolonialreiches auszunutzen, schreibt das US-Außenministerium.
Der britische Außenminister George Canning hatte den Amerikanern bereits 1823 vorgeschlagen, dass die USA und Großbritannien eine gemeinsame Erklärung abgeben, um jede andere Macht von einem Eingreifen in Mittel- und Südamerika abzuhalten. Außenminister John Quincy Adams widersetzte sich jedoch vehement der Zusammenarbeit mit Großbritannien und sagte, eine bilaterale Erklärung könne die Expansion der USA in der Zukunft einschränken. Er argumentierte auch, dass die Briten sich nicht verpflichtet hätten, die lateinamerikanischen Republiken anzuerkennen, und dass sie selbst imperial motiviert gewesen seien.
Die von den Briten vorgeschlagene bilaterale Erklärung wurde schließlich zu einer einseitigen Erklärung der USA. Monroe stellte fest: „Die amerikanischen Kontinente (...) sind fortan nicht mehr Gegenstand zukünftiger Kolonialisierung durch europäische Mächte.“
Monroe skizzierte zwei getrennte Einflusssphären: Amerika und Europa. Die unabhängigen Länder der westlichen Hemisphäre wären ausschließlich die Domäne der USA. Im Gegenzug verpflichteten sich die USA, von einer Beteiligung an den politischen Konflikten in Europa abzusehen. In den späten 1800er Jahren ermöglichte die wirtschaftliche und militärische Macht der USA die Durchsetzung der Monroe-Doktrin. Die größte Erweiterung der Doktrin war „Theodore Roosevelt's Corollary, der die ursprüngliche Bedeutung der Doktrin umkehrte und eine einseitige Intervention der USA in Lateinamerika rechtfertigte“, so das US-Außenministerium.