Der Bundesdatenschutzbeauftragte Ulrich Kelber hat der Bundesregierung vorgeworfen, seiner Behörde bei Stellungnahmen zu neuen Gesetzgebungsvorhaben zu wenig Zeit einzuräumen. Erst in letzter Minute erhalte seine Behörde viel zu oft Gelegenheit dazu, sagte Kelber Ende März in Berlin bei der Vorstellung seines Tätigkeitsberichts für das vergangene Jahr.
Als Beispiel führte der SPD-Politiker die Änderungen des Infektionsschutzgesetzes in der Corona-Pandemie an. Ausgeweitete Meldepflichten und Vorgaben für Verkehrsunternehmen und den Veranstaltungssektor seien oft erhebliche Eingriffe in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, betonte er. „Die Tragweite der Gesetzesänderungen würden eigentlich besondere Sorgfalt erfordern. Das Verhalten des Bundesministeriums für Gesundheit widerspricht dem.“
Vier Stunden Zeit für Stellungnahmen
Bei der ersten Änderung des Infektionsschutzgesetzes habe seine Behörde nur vier Stunden Zeit für eine Stellungnahme bekommen, beklagte Kelber. Bei zwei weiteren Änderungen seien es jeweils anderthalb Tage gewesen. Auch andere Ministerien legten geplante Gesetze und Projekte zunehmend mit sehr kurzen Fristen vor. „Gerne auch am Wochenende mit Stellungnahmefrist von Samstag auf Sonntag.“ Das führe dazu, dass etwa handwerkliche Fehler nicht immer rechtzeitig auffielen.
„Dabei wäre parallel zu der Erstellung der Gesetzentwürfe eine Beratung bereits möglich. Man müsste nur frühzeitig einbinden“, mahnte Kelber an. Sollte sich dieses Verhalten nicht ändern, könne seine Behörde künftig auch prüfen, ob sie die in Gesetzen geregelte Datenverarbeitung zunächst untersage, bis mögliche datenschutzrechtliche Probleme umfassend geprüft worden seien.
Kritik an Kommerzialisierung des Gesundheitswesens
Die Ärzte in Deutschland warnen auch als Lehre aus der Corona-Krise vor Kostendruck und einer weiteren Kommerzialisierung im deutschen Gesundheitswesen. „Erst kommt der Patient und dann der Profit. Das muss sich endlich in das kollektive Gedächtnis einbrennen“, sagte der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt, Anfang Mai beim Deutschen Ärztetag. Die Äußerungen Reinhardts lassen die Schlussfolgerung zu, dass derzeit der Profit in vielen Privat-Krankenhäusern einen höheren Stellenwert als die Interessen der Patienten genießt.
Reinhardt betonte, ökonomisches Handeln sei auch im Gesundheitswesen eine Selbstverständlichkeit. Dies müsse aber den Zielen der Medizin dienen und nicht umgekehrt. „Wir sehen Kliniken und Praxen als Einrichtungen der Daseinsvorsorge und nicht als Industriebetriebe oder lukrative Renditeobjekte finanzstarker Fremdinvestoren.“ Bei Kliniken seien Fehlanreize bei der Finanzierung über Fallpauschalen zu beheben. Die ersten großen Beratungen der Ärzteschaft seit Beginn der Pandemie liefen als Online-Veranstaltung, nachdem der Ärztetag 2020 ganz ausgefallen war. Geplant war nun ein Kongress in Rostock.
E-Patientenakte: Wer zu langsam ist, dem drohen Sanktionen
Reinhardt unterstützt grundsätzlich mehr Tempo bei digitalen Anwendungen. „Ich warne aber vor einer zu engen Taktung bei der Digitalisierung, die keine Zeit mehr dafür lässt, neue Anwendungen mit der dafür notwendigen Gründlichkeit auf ihre Praxistauglichkeit hin zu erproben.“ Etwa bei der E-Patientenakte seien Fristen kaum zu halten - wegen verspäteter Verfügbarkeit elektronischer Heilberufsausweise und bei Geräten zur Anbindung an die Datenautobahn des Gesundheitswesens. Daher sollten auch die vom Gesundheitsministerium vorgesehenen drohenden Sanktionen für Praxen gestrichen werden. Denn bis 1. Juli müssen nach dem Willen von Gesundheitsminister Jens Spahn alle Praxen an die neue elektronische Patientenakte angeschlossen sein, sonst drohen Honorar-Abzüge.
Spahn - der seine politische Laufbahn als Pharma-Lobbyist begonnen hatte - sagte, mehr Tempo sei gerade im sensiblen Gesundheitsbereich wichtig, um Angebote aus Deutschland mit deutschem und europäischem Datenschutz zu schaffen. Nach jahrelangem Stillstand könne von einer „überhasteten“ Digitalisierung keine Rede sein. Der Minister verwies darauf, dass es beim E-Heilberufsausweis als Voraussetzung fürs Einstellen von Dokumenten in die E-Patientenakte aktuell weniger Bestellungen von Ärzten gebe als produziert werde. Er machte zugleich deutlich, dass auf Sanktionen für Praxen verzichtet werden könne, wo Fristerfüllungen objektiv nicht möglich seien.
Die E-Akte als freiwilliges Angebot für die 73 Millionen gesetzlich Versicherten war am 1. Januar mit einer Testphase gestartet und soll schrittweise mehr Funktionen bekommen. Spahn sagte, die Krankenkassen hätten pünktlich geliefert und böten Apps dafür an. Digital abgelegt werden können zuerst etwa Arztbefunde und Röntgenbilder. Patienten können dies zunächst für sich selbst nutzen, die Vernetzung mit Praxen soll erst regional getestet werden.
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) fordert, an die Stelle der Sanktionen für Ärzte, die sich nicht die Telematikinfrastruktur anschließen lassen wollen oder dies noch nicht veranlasst haben, systemische Anreize zu setzen, berichtete die Ärzte Zeitung im Mai vergangenen Jahres.
Digitalisierung wirft Fragen zum Datenschutz auf
Die schrittweise vom Gesundheitsministerium geplante Digitalisierung des Gesundheitswesens birgt neben Vorteilen auch Risiken für den Schutz der persönlichen Daten. Prinzipiell gilt, dass alle digitalen Anwendung und die dazu notwendige Speicherung in einer Cloud gehackt oder manipuliert werden können.
Das Bundesverfassungsgericht hatte Ende Januar eine Verfassungsbeschwerde und einen Eilantrag zur elektronischen Patientenakte abgewiesen. Dabei ging es jeweils um die Auswertung von Patientendaten durch die Krankenkassen für neue Angebote und zur Qualitätssicherung. Beide Kläger sehen sich in ihrem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung verletzt, scheiterten aber schon an formalen Kriterien, wie das höchste deutsche Gericht in Karlsruhe damals mitteilte. (Az. 1 BvR 619/20 u.a.)
Die elektronische Patientenakte ist ein Ort, an dem Dokumente wie Arztbefunde, Röntgenbilder oder der Impfpass digital gespeichert werden können. Das soll es Praxen ermöglichen, sich besser zu vernetzen und Doppel-Untersuchungen zu vermeiden. Die Einführung erfolgt schrittweise und ist zum Jahreswechsel gestartet. Jeder Patient kann derzeit noch selbst entscheiden, ob er sich daran beteiligen möchte.
Deshalb nahmen die Richter die Verfassungsbeschwerde gar nicht erst zur Entscheidung an. Weil die Nutzung derzeit noch freiwillig sei, habe der Kläger es selbst in der Hand, eine Verletzung seiner Rechte abzuwenden. Der Mann befürchtet, dass die Datensammlung nicht ausreichend gesichert sei und Ziel von Hackerangriffen werden könnte. Außerdem könnten immer aussagekräftigere Gesundheitsprofile erstellt werden.
Der zweite Kläger wollte mit seinem Eilantrag verhindern, dass die Krankenkassen gespeicherte Sozialdaten leichter nutzen können. Bisher war die Einwilligung der Versicherten erforderlich. Jetzt haben diese nur noch die Möglichkeit, auf sie zugeschnittene Informationen und Angeboten zu widersprechen. Dagegen hätte der Kläger aber zunächst an den Sozialgerichten vorgehen müssen, um die fachrechtlichen Fragen zu klären, hieß es. Erst dann könne über die Verfassungsmäßigkeit der Vorschriften entschieden werden. Das Patientendaten-Schutz-Gesetz, in dem die Regelungen stehen, war Mitte Oktober in Kraft getreten.