Politik

USA und Russland werden die Arktis unter sich aufteilen

In der Arktis werden die USA und Russland die EU und China voraussichtlich verdrängen. Deutschland könnte sich dennoch an Energie-Projekten in der Region zu beteiligen - es muss dafür allerdings kluge diplomatische Schritte unternehmen.
13.06.2021 10:00
Lesezeit: 4 min
USA und Russland werden die Arktis unter sich aufteilen
Die Arktis ist sehr begehrt. (Grafik: Stratfor)

Die USA, Kanada, China, Russland sowie Dänemark und Norwegen: Sie alle haben Pläne für die Arktis. Ein Abschmelzen des gar nicht mehr ewigen Eises bedeutet neue Schifffahrtswege, Ressourcen-Erkundung und potenzielle militärische Präsenz.

Die Reise von US-Außenminister Antony Blinken nach Island gibt einen frühen Hinweis darauf, wie die Regierung Biden die Geopolitik der Arktis sieht. Seine Reise an sich ist „eine ziemlich starke Aussage über die strategische Bedeutung der Region für die USA in der Zukunft“, so Heather Conley, Expertin für europäische und arktische Sicherheit am "Zentrum für strategische und internationale Studien".

Blinken traf am 26. Mai 2021 in Reykjavik (Island) am Rande einer Sitzung des Arktischen Rates mit dem russischen Außenminister Sergej Lawrow zusammen. Sie tauschten hinter den Kulissen einige angespannte Worte zu einer Reihe heikler Themen aus. Blinken hat öffentlich die Notwendigkeit betont, eine Militarisierung der Arktis zu vermeiden.

Es ist ein sorgfältiger diplomatischer Balanceakt, da Diplomaten versuchen, Themen wie Klimawandel und Umweltzusammenarbeit ganz oben auf der arktischen Agenda zu halten – und Diskussionen über geopolitische Spannungen sorgfältig zu umgehen. Es ist nicht klar, wie nachhaltig dieser Ansatz auf lange Sicht ist, zumal Russland zunehmend mehr militärische Hardware in der Region mobilisiert. Blinken sagte, der Arktische Rat „sollte sich weiterhin darauf konzentrieren, wie wir die friedliche Zusammenarbeit in der Region vorantreiben können“.

Die USA und ihre NATO-Verbündeten arbeiten daran, ihre militärische Präsenz in der Nähe der Arktis zu stärken. Dies bedeutet zwar nicht, dass Flugzeugträger in absehbarer Zeit in die Arktis verlegt werden, aber es bedeutet ein erhöhtes Tempo bei Militärübungen und dem Bau von Anlaufhäfen in Nordeuropa.

Erstens plant Norwegen, den USA den Bau eigener Einrichtungen auf mehreren wichtigen norwegischen Militärstützpunkten zu ermöglichen, wie Reuters berichtete.

Zweitens legte Anfang Mai 2021 ein US-U-Boot, die nuklearbetriebene „Virginia-Klasse USS New Mexico“, im Hafen von Tromsø an – etwas, worüber Russland nach Angaben der Zeitung „The Barents Observer“ nicht erfreut ist, obwohl das Land seine eigene Nordflotte aufstockt.

Drittens verstärken das US-Militär und seine NATO-Verbündeten die Militärübungen in der Region. Im Mai 2021 schicken zehn Länder, einschließlich der USA, Schiffe und Flugzeuge im Rahmen der Übung „Exercise Formidable Shield“ für „Live-Fire-Übungen“ zur Stresstestung der Luft- und Raketenabwehr in den Nordatlantik.

Während Blinken vor militärischen Aufrüstungen in der Arktis warnt, scheinen die US-Streitkräfte das Gegenteil zu tun. Ist das Heuchelei? Es kommt darauf an, wer danach gefragt wird. Russische Spitzenbeamte sind davon überzeugt, dass die USA ein doppeltes Spiel spielt, so das Magazin „Foreign Policy“. Einige westliche Experten sagen jedoch, dass keine dieser Maßnahmen oder militärischen Übungen darauf abziele, Russland in irgendeiner offensiven Weise zu bedrohen, sondern lediglich die Abschreckung zu verstärken. Doch Conley schaut pragmatisch auf die Dinge. Die Arktis sei bereits „militarisiert und jetzt müssen wir es angehen“.

Aus russischer Sicht spielt der Öl-Riese Rosneft eine wichtige Rolle. Rosneft-Chef Igor Setschin hat bekanntgegeben, dass zur Erschließung aller Erdölvorkommen in der Arktis umgerechnet 145 Milliarden Euro an Investitionen benötigt werden. Im Rahmen des diesbezüglichen Projekts, das sich „Vostok Oil“ nennt, könnten über 100.000 Arbeitsplätze geschaffen werden. Die Aussage traf Setschin bei einem Treffen mit Russlands Präsident Wladimir Putin im Kreml. In einer ersten Phase sollen das Payakhskoye-Feld und das West-Irkinskoye-Feld erschlossen werden.

Insgesamt werden 15 Fischerstädte, zwei Flugplätze und ein Hafen entstehen, so der Plan. Es sollen zudem Fernleitungen von 800 und 7.000 Kilometer Länge, ein Stromnetz mit einer Länge von 3.500 Kilometer und Anlagen zur Stromerzeugung mit 2.000 Megawatt gebaut werden.

„Das Projekt ist natürlich sehr groß und vielversprechend. Es bedeutet eine Steigerung des BIP des Landes insgesamt, eine Steigerung des Güterverkehrs entlang der Nordseeroute und natürlich die Stärkung der Position Russlands in der Arktis insgesamt“, zitiert Rossijskaja gaseta Putin.

Setschin fügte hinzu, dass andere internationale Konzerne an der Erschließung der Ressourcen mitwirken könnten. Anfang Februar 2020 hatte Rosneft einen Vertrag mit der "Indian Oil Corporation Limited" (IOCL) einen Vertrag über die Lieferung von bis zu zwei Millionen Tonnen Öl über den Hafen von Novorossijsk unterzeichnet. Darüber hinaus soll sich die IOCL am Projekt „Vostok Oil“ beteiligen. Der englischsprachige Dienst von Reuters hatte zuvor berichtet, dass Rosneft japanische Investoren an zehn bis 40 Prozent der Entwicklungskosten von „Vostok Oil“ beteiligen möchte.

Bemerkenswert ist, dass im Verlauf der Lieferung des Öls nach Indien die Straße von Hormuz - eine Passage zwischen dem Persischen Golf und dem Golf von Oman - vermieden werde soll. Rosneft teilte mit, dass das kontrahierte Öl „in Suezmax-Schiffen im russischen Hafen Novorossijsk verladen und unter Umgehung der Straße von Hormuz nach Indien gelangen wird.“ Suezmax-Schiffe sind mittelgroße bis große Schiffe mit einer Kapazität von 120.000 bis 200.000 Tonnen , die mit voller Ladung durch den Suezkanal fahren können.

Etwa ein Drittel der weltweiten Produktion von Flüssigerdgas (LNG) und 25 Prozent Öl wird über die Straße von Hormuz transportiert.

Der Drohnenangriff, den die jemenitischen Houthi-Söldner im vergangenen September auf zwei riesige Raffinerien in Saudi-Arabien unternommen hatten, stellten einen Wendepunkt dar, der die Diversifizierung der Importe dringend erforderlich machte, um die Energiesicherheit zu gewährleisten.

„Der Angriff auf die beiden saudischen Raffinerien von Aramco, die zusammen 8,45 Millionen Barrel Rohöl pro Tag verarbeiten, wurde in Neu-Delhi mit großer Besorgnis zur Kenntnis genommen. Zum Glück haben die Saudis mit Reife geantwortet und sich nicht revanchiert“, zitiert The Hindu den ehemaligen Vorsitzenden der Oil and Natural Gas Corporation (ONGC), R.S. Sharma.

Es ist völlig ausgeschlossen, dass Russland und die USA sich wegen der potenziellen Handelsstraße in der Arktis und der dortigen Ressourcen bekriegen werden. Ursprünglich wollten ExxonMobil und Rosneft die Ressourcen in der Arktis gemeinsam ausbeuten, was jedoch durch die Einführung von Sanktionen misslang. ExxonMobil musste Anfang 2018 die meisten seiner Joint Ventures mit der russischen Firma einstellen. Die Partner hätten Berichten zufolge Gewinne in Milliardenhöhe eingebüßt. Im Jahr 2013 haben Rosneft und ExxonMobil ein historisches Abkommen geschlossen, um Öl und Gas in der russischen Arktis und im Schwarzen Meer zu erforschen. Dem Abkommen zwischen ExxonMobil und Rosneft zufolge erhält ExxonMobil einen Zugang zu den riesigen Energieressourcen unter der russischen Arktis. Als Gegenleistung sollte Rosneft in die Auslandsaktivitäten ExxonMobils investieren dürfen, berichtet der Guardian. Das Abkommen zwischen beiden Energie-Riesen wurde aufgrund der Russland-Sanktionen ab dem Jahr 2014 eingefroren.

ExxonMobil beteiligt sich derzeit an dem Großprojekt Sakhalin-1. Sakhalin-1 befindet sich im russischen Fernen Osten und produziert mehr als 200.000 Barrel Rohöl pro Tag. Der Betreiber von Sakhalin-1 ist Exxon Neftegaz Limited. ExxonMobil hält Anteile von 30 Prozent. Die indische Firma ONGC und Rosneft halten jeweils 20 und die japanische Firma SODECO 30 Prozent. Die förderbaren Reserven von Sakhalin-1 belaufen sich auf 307 Millionen Tonnen Öl und 485 Milliarden Kubikmeter Erdgas. Über den russischen Markt berichtet ExxonMobil: „ExxonMobil verfügt seit mehr als 20 Jahren über eine ständige Präsenz in den Bereichen Upstream, Downstream und Chemie. Unsere Upstream-Büros befinden sich in Moskau und Jushno-Sachalinsk, und unsere nachgelagerten Büros befinden sich in Moskau, St. Petersburg, Jekaterinburg, Nowosibirsk und Wladiwostok. Wir haben eine starke Upstream-Präsenz in Russland als Betreiber des Sachalin-1-Projekts.“

Niemanden sollte es wundern, wenn in Zukunft die Kooperation von ExxonMobil und Rosneft wieder aufgenommen wird. Denn die eigentlichen energiepolitischen potenziellen Rivalen von Russland und den USA sind China und die EU. Deutschland könnte durch geschickte diplomatische Schritte in Richtung Moskau und Washington versuchen, an diversen Projekten in der Arktis mitzuwirken. Den Löwenanteil würde Deutschland von den beiden Mächten sicherlich nicht erhalten, doch eine Beteiligung ist durchaus möglich.

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