Finanzen

Verrückte Rohstoffwelt: Minenbetreiber und Kapitalgeber handeln völlig irrational

Lesezeit: 8 min
26.06.2021 09:14  Aktualisiert: 26.06.2021 09:14
Im historischen Maßstab recht niedrige Preise machen Rohstoffe aktuell zu einer interessanten Anlage-Option. Aber Vorsicht: Die Rohstoffmärkte sind ein sehr turbulentes Spielfeld, denn die Preise überschießen gerne mal extrem – und zwar in beide Richtungen.
Verrückte Rohstoffwelt: Minenbetreiber und Kapitalgeber handeln völlig irrational
Bergleute sind raue Gesellen - hier demonstrieren chilenische Kumpel dagegen, dass die Bundesregierung Abbaurechte in staatlichen Lithium-Minen an ausländische Investoren verkauft hat. (Foto: dpa)
Foto: Mario Ruiz

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Nahezu unisono prognostizieren Finanzexperten derzeit einen neuen Bullenmarkt für Rohstoffe – das heißt, einen langfristigen Trend von steigenden Rohstoff-Preisen. Im Gegenzug müsste es sich dann in der Vergangenheit um einen jahrzehntelangen Bärenmarkt gehandelt haben. Tatsächlich haben Rohstoffe von 1980 bis 2020 im Vergleich zu anderen Assets wie Beteiligungskapital (Aktien) nämlich ziemlich schlecht abgeschnitten.

Vermögenswerte und Inflation

Stark verallgemeinernd kann man im Vergleich von Aktien und Rohstoffen auf die Inflationszyklen verweisen: In Zeiten hoher Inflationsraten performen Rohstoffe gegenüber Aktien gut, in Zeiten niedriger Inflationsraten performen sie schlecht. Der nachfolgende Chart zeigt das Verhältnis des breitgefassten Aktienindex S&P 500 zum Produzentenpreis-Index (dieser korreliert stark mit Rohstoffpreisen) in den USA für die letzten 100 Jahre. Perioden hoher und niedriger (beziehungsweise negativer) Inflationsraten sind dabei unterschiedlich gekennzeichnet. Das Verhältnis steigt tendenziell, also Aktien performen besser, wenn eher niedrige Inflation herrscht.

Ein Beispiel: 1973 war die große Ölkrise, die neben den explodierenden Preisen für fossile Energieträger auch grassierende Inflationsraten (über zehn Prozent pro Jahr) zur Folge hatte. Während Aktien strauchelten, waren Rohstoffe allgemein – und nicht nur Erdöl – in diesem Zeitraum ein gutes Asset. Langfristig gesehen ergibt sich ein anderes Bild: Aktien erleb(t)en von 1970 bis heute den längten Bullenmarkt ihrer Geschichte. Breit investierte Rohstoff-Anleger mussten dagegen viel Geduld und Verlusttoleranz beweisen.

Rohstoffe als Anlageklasse befinden sich auf einem historisch gesehen ziemlich tiefen Preisniveau. Die folgende Grafik zeigt den inflationsbereinigten Kursverlauf des „CRB Commodities Index“ (basiert auf 19 Rohstoffen – darunter Erdöl, Nahrungsmittel, Edel- und Industriemetalle sowie Textilstoffe) seit 1981. Zwar konnten sich einige Edelmetalle wie Gold im Preis vervielfachen, aber über alle Rohstoffe betrachtet zeigt sich ein ziemliches Trauerspiel.

Neuer „Superzyklus“ Rohstoffe?

Rohstoffexperten der US-Großbanken Citigroup und Goldman Sachs sprechen vom Beginn eines neuen „Superzyklus“. Einen solchen habe es zuletzt Anfang des Jahrtausends gegeben – getragen vor allem durch den steilen wirtschaftlichen Aufstieg Chinas. Diesen erkennt man im obigen Chart zwar durchaus, aber wie gesagt – sehr langfristig gesehen – bestand auch damals noch viel Luft nach oben. In den letzten zwölf Monaten ist der CRB-Index zwar um mehr als 70 Prozent gestiegen, aber wenn wir uns tatsächlich jetzt schon in einer Rohstoff-Hausse befinden, dann kann es nur ganz am Anfang sein.

Aktuell gibt es durchaus Gründe, die für weiter steigende Rohstoffpreise sprechen. Dazu gehören die immense Nachfrage aus Schwellenländern wie Indien und die durch viele Industrieländer angestrebte Umstellung der Wirtschaft auf grüne Technologien, die ebenfalls viele Rohstoffe benötigt. Hinzu kommt der Sonderfaktor namens Dauer-Coronakrise: In Erwartung von Versorgungsengpässen und höheren Preisen decken sich die Unternehmen mit Vorräten ein. Hamsterkäufe strapazieren die Lieferketten. Es kommt teilweise zu Engpässen bei Grundstoffen wie Kupfer, Eisenerz, Stahl, Weizen, Sojabohnen, Holz, Halbleitern und Plastik. Auch die Transportmöglichkeiten werden knapp und teuer.

Diese Argumentation ist auf den ersten Blick durchaus schlüssig. Die konjunkturelle Entwicklung oder noch allgemeiner die Gesamtnachfrage der Weltwirtschaft hat natürlich einen erheblichen Einfluss auf die Bewertung von Rohstoffen. Nicht umsonst gelten Industriemetalle wie Kupfer als Frühindikatoren für die Weltwirtschaft. Rohstoff-Preise sind wichtige Inputpreise für weiterführende Produktionsprozesse in anderen Industrie-Segmenten, sie haben also einen großen Einfluss auf andere Preise und letztlich auch auf die Inflationsraten einer Volkswirtschaft.

Diese Betrachtungsweise ist aber etwas zu kurz gedacht. Während einigen Rohstoffe wohl zurecht eine glorreiche Zukunft prognostiziert wird, stehen parallel andere, zum Beispiel Erdöl, vor unsicheren Zeiten. Man sollte auch beachten, dass Rohstoffe immer vor dem Risiko stehen, in ihren industriellen Anwendungen durch günstigere Materialien ersetzt oder im Zuge technologischen Fortschritts (Stichwort: 3D-Druck) komplett überflüssig zu werden.

Außerdem: Selbst wenn wir uns wirklich in einem durchweg positiven Nachfragezyklus befinden würden, müssen trotzdem immer das Angebot und damit die Aktivitäten der Abbau-Firmen berücksichtigt werden. Die momentane Lieferketten-Problematik mag die Preise für den Endkunden in die Höhe treiben, doch für einen echten „Superzyklus“ muss der Versorgungs-Engpass fundamentalere Ursachen haben.

Die Tücken der Rohstoff-Förderung

Eine steigende Rohstoff-Nachfrage ist das eine, aber diese muss auf ein entsprechend fallendes, stagnierendes oder zumindest langsamer steigendes Angebot treffen, damit nachhaltige Preisexplosionen möglich sind. In der Tat begünstigt das unflexible Angebot von Rohstoffen die Entstehung solcher Konstellationen. Die Produktionsmengen können nicht so einfach ausgeweitet werden, wie es in anderen Sektoren der Fall ist.

Rohstoffe – zumindest solche, die in Minen abgebaut werden (Minerale) – sind weder in unendlicher Menge auffindbar noch unbegrenzt abbaubar. Vorkommen müssen technisch erschließbar sein, auf lange Sicht kostendeckend und am besten mit Gewinn.

Das ist leichter gesagt als getan. Der Abbau von Rohstoffen erfordert gerade zu Beginn einen großen Kapitaleinsatz (also hohe Fixkosten) für die Erforschung von Vorkommen, den Bau von Minen-Anlagen und die Ausstattung mit notwendigen Geräten. Oftmals kann es daher sehr lange dauern, bis die Investition nach Abzug der immensen Anlaufkosten endlich einen Gewinn abwirft. In der Kalkulation der Minen-Projekte ist folglich ein hohes Preisänderungsrisiko zu beachten.

Wenn der Rohstoffpreis in der Zwischenzeit massiv fällt, dann kann so manche vielversprechende Unternehmung zu einem Milliardengrab mutieren. Hier helfen Derivate (Termingeschäfte) zum „Hedgen“ des Preisrisikos, aber diese Absicherung kann umgekehrt bei einer positiven Preisentwicklung auf die Gewinne drücken. Ganz dicke kommt es, wenn das Minen-Unternehmen mit Produktionsausfällen konfrontiert wird und einen Teil der bereits auf Termin verkauften Menge nicht aus der Produktion decken kann – diese Bestände müssen dann am Spotmarkt nachgekauft werden. So können teilweise absurde Situationen entstehen, wenn große Minen-Konzerne trotz explodierender Preise ihrer Abbau-Erzeugnisse massive Verluste anhäufen, weil sie zu viel auf Termin verkauft haben.

Der ewige Schweinezyklus

Schaut man sich bestimmte Rohstoff-Sektoren (beispielsweise Platinmetalle) oder einzelne Rohstoffe (beispielsweise Aluminium) an, so ordnen Analysten die längerfristigen Entwicklungen auf der Angebots-Seite gerne im Kontext bestimmter Zyklen ein, allerdings spricht man dabei eher selten von den oben genannten „Superzyklen“. Weitläufig bekannt ist dagegen die Theorie des Schweinezyklus“, welche auf eine 1927 veröffentlichte Dissertation des deutschen Agrarwissenschaftlers Arthur Hanau zurückgeht.

Wie funktioniert der Schweinezyklus? Vereinfacht gesagt, neigen kapitalintensive Branchen wie der Minensektor zum prozyklischen Aufbau von Überkapazitäten, und genau dieses Verhalten trägt in Kombination mit den Zeitverzögerungen bei den Anpassungen von Abbaumengen an den Preis (und umgekehrt) zu vermeintlich extremen Preisentwicklungen bei Grundstoffen bei.

Auf eine Phase der Versorgungs-Knappheit eines Rohstoffes folgen meistens drastisch steigende Preise, die dann einen Investitionsboom auslösen. Kleinere Abbau-Firmen, die vor dem starken Preisanstieg ums nackte Überleben kämpfen mussten, rutschen in die Gewinnzone und locken Nachahmer an, während die großen Bergbaukonzerne gigantische Summen in Minenprojekte investieren. Die hohen Anlaufkosten der massiven Investitionen können trotz des hohen Preisniveaus bei weitem nicht aus den laufenden Erträgen (Cashflow) finanziert werden, sondern erfordern externe Geldgeber. Diese finden sich zuhauf, denn in einem Bullenmarkt kann man sich am Kapitalmarkt reichlich Eigen- (Aktien) und Fremdkapital (Schulden) beschaffen.

In der Hoch- und Spätphase des Zyklus kommt es – von irrationalem Optimismus getrieben – zu massiven und größtenteils schuldenfinanzierten Überinvestitionen, von denen sich weite Teile niemals rentieren. In der Annahme weiter steigender oder zumindest stabiler Preise wurden die Förder-Kapazitäten zum vielleicht ungünstigsten Zeitpunkt massiv ausgeweitet. Das Angebot übersteigt die Nachfrage mittlerweile deutlich und so werden riesige Lagerbestände aufgebaut. Der Preisauftrieb endet und die Preise beginnen zu sinken.

In der Endphase kommt es zu (Teil-)Verkäufen von Förderstätten, Stilllegungen und schmerzlichen Abschreibungen, was zahlreiche Bergbaufirmen in die Insolvenz treibt. Möglicherweise liegen die durchschnittlichen laufenden Förderkosten des Gesamtsektors jetzt sogar über dem Preis. Die aufgenommen Schulden können kaum noch bedient werden. Profitabilität ist jetzt zweitrangig. Hauptsache man kann irgendwie noch Einnahmen generieren – notfalls mit Schleuderpreisen, wodurch aber natürlich der Trend fallender Preise verstärkt wird.

Die Investoren haben sich teilweise die Finger verbrannt und das Interesse an einer Finanzierung solcher Rohstoff-Vorhaben ist – genau wie der Preis – erstmal im Keller. Wo vorher selbst für defizitäre Förderer genügend Liquidität vorhanden war, interessiert sich jetzt nur noch wenig Risikokapital für den Sektor.

Die überlebenden Minen-Unternehmen fahren ihre Investitionen und die laufende Produktion zurück. In der Bereinigungsphase sinkt die Fördermenge, das Überangebot verschwindet, die Preise steigen langsam und allmählich baut sich sogar wieder eine Knappheit auf. Der Zyklus beginnt erneut.

Übertriebene Preisbewegungen

Die Preise der Grundstoffe an den Finanzmärkten nehmen diese Phasen des Schweinezyklus zum Teil vorweg, tragen allerdings durch Übertreibungs-Tendenzen auch zu eben jenem Zyklus bei. Traditionell überschießen die Rohstoff-Bewertungen drastisch – sowohl nach oben als auch nach unten.

Das momentan krasseste Beispiel für eine (frühe oder späte?) Hochphase eines längerfristigen Schweinezyklus an den Rohstoffmärkten ist Rhodium. Das „edelste aller Metalle“ scheint zunehmend jedweden Preisrahmen zu sprengen.

Die Versorgungs-Situation ist hier aber noch zusätzlich verkompliziert, weil Rhodium nur als Kuppelprodukt bei der Produktion von Platin und Palladium anfällt – welche wiederum selbst nur Nebenerzeugnisse des Abbaus anderer Metalle wie Kupfer, Nickel, Eisenerz und Silber sind.

Ein einfacheres Beispiel, hier aber für ein sehr schnelles Durchlaufen von Spätphase und Neubeginn des Schweinezyklus, ist die extreme Entwicklung bei Eisenerz von 2008 bis 2012.

Wo im Schweinezyklus mögen wir uns aktuell wohl bei Rhodium oder anderen Höhenfliegern wie Kupfer und Bauholz befinden? Und kommt es wirklich zu einem generellen „Superzyklus“ für Rohstoffe? Auf solche Fragestellungen gibt es keine seriöse Antwort. Man kann zwar mit Gewissheit behaupten, dass Rohstoffe gewissen Zyklen folgen. Inwiefern man diese Zyklen exakt prognostizieren kann, ist eine ganz andere Frage. Die Schwankungsbreite bei den Rohstoffpreisen ist enorm, und welches Stadium innerhalb eines Zyklus vorliegt, weiß man erst dann mit letzter Sicherheit, wenn es schon wieder vorbei ist.


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