Nach wie vor tobt ein Streit um die gesundheitliche Verträglichkeit von 5G-Mobilfunk, der „Echtzeit-Internet“ ermöglichen soll. Die Regierungspolitik vieler Länder bestreitet im Einklang mit Industrie und Wirtschaft, dass bei Einhaltung der Grenzwerte Gefährdungen vorliegen könnten. Begründet wird das hierzulande mit einschlägigen Verlautbarungen des Bundesamts für Strahlenschutz. Die wiederum gründen sich auf wissenschaftliche Studien. Die Einseitigkeit der Argumentation allerdings befremdet bei näherem Hinsehen – und trägt damit zur Spaltung der insgesamt betroffenen Gesellschaft bei.
Grundsätzlich gilt es zu bedenken: Wissenschaft ist in unseren Breitengraden frei und pluralistisch angelegt; zudem ist sie prinzipiell ergebnisoffen und im Zuge stetigen Fortschritts revisionsbereit. Nicht zuletzt gehört es mit zu wissenschaftstheoretischen Überlegungen, die Abhängigkeit vieler Forschungsprojekte durch Geldgeber und diverse Interessenlagen ernsthaft mit ins Kalkül zu ziehen. So gesehen ist es kaum möglich, im Zusammenhang des umstrittenen 5G-Mobilfunks pauschal von „der“ Wissenschaft zu sprechen. Selbst die Berufung auf den „Mainstream“ der Wissenschaft darf aus den genannten Gründen nicht als Totschlag-Argument fungieren.
Forderungen nach einem 5G-Moratorium
Von einer ernsthaft, nämlich wissenschaftlich breit ausgewiesenen Gesundheitsverträglichkeit von 5G-Mobilfunk kann bis heute schwerlich die Rede sein, weil es international durchaus manch warnende Wissenschaftler gibt. So unterzeichneten rund 230 Wissenschaftler und Ärzte aus 36 Ländern einen 5G-Appell, in dem sie seit 2017 davor warnten, „Millionen von Menschen einem Experiment mit unklaren Auswirkungen auf die Gesundheit auszusetzen.“ 2018 bekräftigte die International Society of Doctors for Environment in einer Erklärung zu 5G unter Berufung aufs ethische Vorsorgeprinzip die Forderung nach einem Stillstand beim Ausbau in Europa. In Deutschland plädierte etwa zeitgleich der Stuttgarter Ärztearbeitskreis Digitale Medien in einem Offenen Brief an den „Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur“ für einen Stopp des Ausbaus der 5G-Mobilfunkstruktur. In den USA forderten wegen der zelltoxischen Effekte von 5G dasselbe 2018 zwei Forschergruppen um Noa Betzalel und Cindy L. Russell in der Fachzeitschrift Environmental Research. Desgleichen warnte damals Joel Moskowitz, Direktor am Berkeley Center for Family and Community Health der Universität von Kalifornien: „Der Einsatz der 5G-Technologie ist ein gewaltiges Experiment für die Gesundheit aller Arten.“ In diesem Sinne startete im Herbst 2018 der Internationale 5G-Appell, den bis heute rund 300.000 Menschen unterzeichnet haben. Der Text drängt darauf, 5G auf der Erde und am Himmel – zehntausende Satelliten sollen die Strahlung herabsenden – zu stoppen, weil mit diesem Roll‑out ein planetarischer Notstand drohe. In vielen Ländern der EU haben Städte und Ortschaften sich mittlerweile geweigert, 5G ohne klaren Unschädlichkeitserweis installieren zu lassen.
Die Forderungen nach einem 5G-Moratorium bleiben berechtigt, weil diese neue, für die geplante Weiterentwicklung der Digitalisierung unerlässliche Technologie auf Flächendeckung aus ist. Bislang sollen an die 80 Prozent der Bevölkerung mit ersten 5G-Varianten in Deutschland abgedeckt sein; fast 100 Prozent werden für die kommenden Jahre angestrebt. Deshalb sind Fragen der Gesundheitsverträglichkeit von größtem Gewicht, und reduktionistische oder erkennbar einseitige Behandlungen des wissenschaftlich zu ergründenden Problems sollten sich eigentlich von selbst verbieten.
Tatsächlich einseitig sind Bekundungen oder Behauptungen, wonach die Strahlung von 5G-Mobilfunk erwiesenermaßen gesundheitlich unbedenklich sei. In diesem Sinne äußerte Inge Paulini als Präsidentin des Bundesamtes für Strahlenschutz im Kontext der sogenannten Dialoginitiative „Deutschland spricht über 5G“, niemand müsse Angst vor Mobilfunkstrahlung haben: „Die gesundheitlichen Auswirkungen von Mobilfunk sind in vielen Studien sehr gut erforscht. Wir haben Grenzwerte, die uns sicher schützen, und unterhalb dieser Grenzwerte wurden bis heute keine gesundheitlichen Auswirkungen bewiesen.“ Dass an diesen Grenzwerten aber legitime Zweifel angebracht sind, hat am 6. Juni der DWN-Artikel „Wie WHO und Industrie die Gefahren des Mobilfunks herunterspielen – und die Gesundheit der Bevölkerung aufs Spiel setzen“ dargelegt. Entwarnung findet sich zum Beispiel auch in der Erlanger Universitätszeitschrift friedrich (Nr. 120/2021), die Professor Georg Fischer vom Lehrstuhl für Technische Elektronik mit den Worten zitiert: „Wenn es überhaupt negative Effekte auf die Gesundheit geben sollte – das ist alles noch nicht wissenschaftlich bewiesen –, so denke ich, dass diese eher bei den athermischen Effekten zu suchen sind.“ Diese Wärme-Wirkungen könnten seinen Ausführungen zufolge nur bei den 2G-Systemen wie GSM und TETRA auftreten; die Mobilfunkstandards 3G (UMTS), 4G (LTE) und 5G hätten keine entsprechende Pulsierung. Deshalb meint Fischer sagen zu können: „Gemäß heutigem Stand der Wissenschaft und Technik sind keine negativen Auswirkungen von 5G auf die Gesundheit zu erwarten.“ Immerhin räumt er ein, bei der Frage nach dem Gesundheitsrisiko einer neuen Technologie müsse man sich bewusst sein, dass die betreffenden Erkenntnisse nicht über den aktuellen Stand der Wissenschaft hinausgreifen könnten.
Doch schon der aktuelle Stand „der“ Wissenschaft in Sachen 5G-Mobilfunk ist eben keineswegs so eindeutig, wie Fischer meint. So warnte im Februar 2020 der Wissenschaftliche Dienst des Europäischen Parlaments in einem Abgeordneten-Briefing ausdrücklich vor Risiken durch 5G: „Zusammen mit der Art und Dauer der Exposition scheinen Eigenschaften des 5G-Signals wie das Pulsieren die biologischen und gesundheitlichen Auswirkungen der Exposition zu verstärken, einschließlich der DNA-Schäden, die als Ursache für Krebs angesehen werden.“ Die Pulsation bei 5G ist demnach keineswegs pauschal als unproblematisch hinstellbar. Das erläutert namentlich Martin L. Pall in der Broschüre „5G als ernste globale Herausforderung. Beweise für acht große Gesundheitsgefahren durch elektromagnetische Felder (EMF) und ihre Wirkmechanismen“ (2019). Seiner Argumentation wurde zwar von einigen anderen Wissenschaftlern widersprochen; unklar ist bislang etwa, ob der US-amerikanische Biochemiker recht hat mit der Annahme, dass die 5G-Strahlung nicht an der menschlichen Hautoberfläche endet, sondern auch Effekte in den Körper hinein hat, insofern die magnetischen Anteile der elektromagnetischer Felder tiefer als die elektrischen in den Körper einwirken könnten. Aber insgesamt rechtfertigt die Debattenlage jedenfalls keine pauschale Entwarnung – insbesondere nicht im Blick auf die höheren Frequenzbereiche von 5G, deren Installation hierzulande kaum erst begonnen hat und zu mehreren Hunderttausend neuen Sende-Antennen allein in Deutschland führen dürfte.
Wie neutral ist Technikfolgenabschätzung?
Im Mai haben Deutschland und Frankreich einen Förderaufruf zu 5G gestartet – ungeachtet der Tatsache, dass rund 200 Bürgerinitiativen allein hierzulande vor 5G warnen. Jeder fünfte Deutsche soll einer neueren Umfrage zufolge gesundheitliche Bedenken angesichts von 5G haben. In Österreich ist es sogar jeder dritte Bürger. Dort liegen die aktuellen Zahlen wohl höher, weil die Österreichische Ärztekammer die Dinge kritischer sieht. So erklärt Professor Thomas Szekeres als deren Präsident: „Auf Basis der bisherigen Informationen ist durch den Aufbau von 5G mit einer weiteren, und zwar erheblichen, schon derzeit vielerorts zu intensiven Hochfrequenzexposition der Bevölkerung zu rechnen. Riesige Datenmengen mittels Mikrowellentechnik im unmittelbaren Lebensbereich des Menschen zu übertragen, ist aus ärztlicher Sicht als eine Fehlentwicklung zu sehen.“
Dass mittlerweile in Umfragen aber eine Bevölkerungsmehrheit 5G unkritisch sieht, dürfte mit erfolgreich einlullenden 5G-Werbe-Spots im TV und diversen Propaganda-Maßnahmen von interessierten Seiten zu tun haben. Entscheidend bleibt tatsächlich, was wissenschaftlich erwiesen ist. Aber wie steht es in dieser Hinsicht? Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Bundestag gibt dazu folgende vielsagende Auskunft: Die jahrelange Erforschung der Strahlen-Effekte auf lebende Organismen kam bis heute zu teils nicht eindeutigen, nicht übereinstimmenden Befunden, woraus unterschiedliche und „konträre Interpretationen resultieren.“ Das aber entspricht der pluralistischen Verfasstheit von Wissenschaft. Und es bedeutet im Endeffekt, dass derzeit Risiken keineswegs „wissenschaftlich“ auszuschließen sind.
In Österreich hatte das dortige „Institut für Technikfolgenabschätzung“ dem Parlament eine Studie vorgelegt, die ihrerseits unterstreicht: Gesundheitliche Risiken des etablierten Mobilfunks werden trotz großer Forschungsbemühungen weiterhin kontrovers diskutiert, und zu 5G stehen einschlägige Studien noch fast gänzlich aus. Angesichts dieser Sachlage hat in Deutschland das "Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag" (TAB) eine Studie zu Gesundheitsgefahren der 5G-Strahlung in Auftrag gegeben – allerdings offenbar bei der Schweizer 5G-Mobilfunk-Lobby, nämlich der „Forschungsstiftung Strom und Mobilfunkkommunikation“. Da kann man sich im Voraus denken, dass demnächst behördlich erneut Entwarnung gegeben werden wird. Das entspricht dann dem Willen des EU-Rats, der voriges Jahr in seinen „Schlussfolgerungen zur Gestaltung der digitalen Zukunft Europas“ Informationen, wonach das 5G-Netz eine Gefahr für die Gesundheit darstelle, ausdrücklich als Falschbehauptung eingestuft hat, gegen deren Verbreitung vorzugehen sei.
In Wahrheit ist die wissenschaftliche Lage so, dass auch umgekehrt die pauschale Behauptung, das 5G-Netz stelle keine Gefahr für die Gesundheit dar, als Falschbehauptung hingestellt werden könnte. Wenn sich diesbezüglich also letztlich eine derzeit verbleibende Uneindeutigkeit in Sachen 5G feststellen lässt, dann gilt umso mehr das Vorsorge-Gebot, das in den EU-Verträgen verankert ist. Doch von Seiten des bis 2019 amtierenden EU-Gesundheitskommissars Vytenis Andriukaitis war bezeichnenderweise zu hören, die Anwendung des Vorsorgeprinzips auf die Mobilfunk-Technologien sei „eine zu drastische Maßnahme“. Dagegen betont Jörn Gutbier als Vorstand der Verbraucherorganisation Diagnose: Funk: „Ich bin immer wieder erstaunt, mit welcher Arroganz die Verursacher dieser Entwicklung, und das sind nun mal die Industrie und ihr zu Diensten stehende Mietmäuler, die eine Vorsorgepolitik aktiv verhindern, uns Kritiker in die Ecke der Fortschrittsfeinde stellen wollen. Auf diesen Fortschritt, der zerstört, muss die Menschheit verzichten, wenn sie weiter bestehen will.“
Nicht von ungefähr hat die SWISS RE, einer der weltweit größten Rückversicherer, bei der 5G-Technologie „Bedenken hinsichtlich gesundheitlicher, Datenschutz- und Sicherheitsrisiken“ geäußert. Es wird höchste Zeit, dass einseitige Verlautbarungen zum Thema differenzierteren weichen. Und dass in der politischen Konsequenz das Vorsorge-Gebot wieder verantwortlicher umgesetzt wird – im Interesse der gesamten Bevölkerung. Angesichts des wissenschaftlich keineswegs auszuschließenden Schädigungspotenzials von Mobilfunkstrahlung sollten sich künftig Unterlassungs- und Abwehransprüche, ja gegebenenfalls Schadensersatzansprüche auch juristisch durchsetzen lassen. Es sei denn, die Unschädlichkeit der künstlich gepulsten elektromagnetischen Emissionen, die uns durch 5G zum Teil mehr als bisher auf den Leib zu rücken drohen, wäre wissenschaftlich absolut klar erwiesen. Davon aber kann aufs Ganze gesehen keine Rede sein.
Näheres bieten Prof. Werner Thiedes 5G-Broschüren im pad-Verlag (je 90 S., 6 €):
- Die digitale Fortschrittsfalle. Warum der Gigabit-Gesellschaft mit 5G-Mobilfunk freiheitliche und gesundheitliche Rückschritte drohen, 2. Aufl. 2019
- Digitalisierung als Weltanschauung. Wie die rigorose Vernetzungspolitik mit 5G-Mobilfunk ideologische Züge offenbart, 2019