Politik

Dem ersten Eklat werden weitere folgen: Warum Brüssel und Slowenien auf Kollisionskurs sind

Lesezeit: 4 min
09.07.2021 14:31
Slowenien hat die halbjährlich wechselnde EU-Ratspräsidentschaft übernommen. Schon gleich zu Beginn der Amtszeit kam es in Brüssel zum Eklat - und weitere dürften folgen. Denn beide Seiten repräsentieren politisch unterschiedliche Großregionen in Europa.
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Janez Jansa, Ministerpräsident von Slowenien. (Foto: dpa)

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Das Verhältnis zwischen EU-Kommission und slowenischer Regierung hat bereits wenige Tagen nach der Übernahme der alle sechs Monate wechselnden Ratspräsidentschaft durch Ljubljana einen Tiefstand markiert. Grund dafür sind grundlegend verschiedene politische Ausrichtungen zwischen der „linken“ Kommission und der „rechten“ slowenischen Regierung.

Brüssel und Grüne gegen den „Demokratiefeind“

Wenige Tage, nachdem es zu dem handfesten Eklat gekommen war, forderte EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vom slowenischen EU-Ratsvorsitz einen kompromisslosen Einsatz für die „Einhaltung der Rechtsstaatlichkeit in der EU.“ Wie Europa nach der Corona-Pandemie aus der Krise komme, sei eng auch mit der Frage von Vertrauen verbunden, sagte von der Leyen am Dienstag im Europaparlament in Straßburg. Es gehe dabei um das Vertrauen in eine ordentliche Bekämpfung von Korruption und Betrug, das Vertrauen in freie Medien und unabhängige Gerichte und das Vertrauen von Investoren und Unternehmen in verantwortungsvolle Regierungsführung. Wichtig sei das Thema zudem auch für die europäischen Steuerzahler, sagte von der Leyen. Diese trügen am Ende die Kosten für den wirtschaftlichen Wiederaufbau nach der Corona-Krise.

Von der Leyens Einlässe kommen faktisch einer öffentlichen Ermahnung der slowenischen Regierung gleich - eine ungewöhnliche Maßnahme einer Kommissionsführung zu Beginn der Präsidentschaft eines EU-Landes.

Massive Geschütze werden auch von den Grünen im deutschen Bundestag aufgefahren, Jansa wird dabei pauschal als „Demokratiefeind“ bezeichnet, den es aus der konservativen EVP-Fraktion auszuschließen gelte: So sagte die europapolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Franziska Brantner: „Die CDU darf nicht mit Jansa den gleichen falschen Kuschelkurs fahren wie mit Orban. Jansa attackiert genauso wie sein Vorbild Orban gezielt Presse, Justiz und Zivilgesellschaft und behindert die Europäische Staatsanwaltschaft, indem er die Entsendung von Staatsanwälten gestoppt hat. Wer Demokratiefeinde deckt und duldet, macht sie erst salonfähig und groß.“ Die CDU müsse klare Kante zeige und Jansas Partei aus der gemeinsamen europäischen Parteienfamilie EVP ausschließen. „Europäische Werte sind nicht beliebig und keine Verhandlungsmasse.“

Von einer „herausfordernden Zeit“ sprach die Vizepräsidentin des EU-Parlaments, Katarina Barley, neulich in der Zeitung Die Welt. Die SPD-Politikerin appellierte an die europäischen Institutionen, „Jansa keine Bühne für seine demokratieverachtende Rhetorik und Politik zu bieten.“

Slowenien hat den alle sechs Monate wechselnden EU-Ratsvorsitz am Donnerstag vergangener Woche von Portugal übernommen. Dem Land kommt damit für eine halbes Jahr eine wichtige Vermittlerrolle bei Meinungsverschiedenheiten zwischen den EU-Staaten zu. Zudem kann es künftig im Rahmen der EU-Mitgliedsstaaten eigenständig Themen setzen und Initiativen anschieben. So will Ljubljana beispielsweise die EU-Erweiterung auf dem Westbalkan voranbringen.

Ein Eklat zum Auftakt

Beim ersten Treffen der Kommission mit der slowenischen Regierung war es zum Eklat gekommen, ein Foto-Termin wurde abgesagt. Sloweniens Innenminister Ales Hojs sagte daraufhin in einer Pressekonferenz, er werde künftig eventuell ein ranghohes Mitglied der „europäischen Bürokratie“ als „Schwein“ bezeichnen. Grund sei all das, was er am Vortag gehört habe.

Hojs spielte damit offensichtlich auf den Eklat an. Zu ihm war es angeblich gekommen, weil sich Jansa in einer Arbeitssitzung über angeblich kommunistische Richter und Abgeordnete in seinem Land beschwert hatte. Dazu wurde auch ein Foto gezeigt, auf dem von Jansa kritisierte Richter farbig eingekreist waren.

Der sozialdemokratische EU-Kommissionsvize Frans Timmermans boykottierte daraufhin demonstrativ den anschließenden Termin für das Familienfoto und machte Jansa schwere Vorwürfe. Er habe einfach nicht auf demselben Podium mit Jansa stehen können, nachdem dieser zwei Richter und zwei Abgeordnete der sozialdemokratischen Fraktion im EU-Parlament „inakzeptabel angegriffen und diffamiert“ habe, kommentierte der Niederländer. Die Unabhängigkeit der Justiz und die Achtung der Rolle der gewählten Abgeordneten seien ein Grundpfeiler der Rechtsstaatlichkeit, ohne die die EU nicht funktionieren könne.

Hojs beteuerte kurz nach der Pressekonferenz im Brdo Congress Center in einer Twitter-Nachricht, dass er bei seinen Äußerungen nicht Timmermans im Sinn gehabt habe. Er schrieb allerdings auch nicht, an wen er gedacht habe. In der Pressekonferenz hatte er gesagt, er wolle dies vorerst geheim halten.

Jansa verteidigte hingegen die Präsentation des Fotos, auf dem Richter als Teilnehmer bei einer linken politischen Veranstaltung zu sehen waren. Dieses sollte seinen Angaben zufolge deutlich machen, dass sich hohe Richter in Slowenien an linken politischen Kampagnen beteiligten. Diese Richter schickten dann Leute ins Gefängnis, die auf der anderen Seite des politischen Spektrums stünden, sagte Jansa. Das sei keine Unabhängigkeit.

Jansa wies die Vorwürfe zurück und beschuldigte hingegen die EU-Kommission, voreingenommen zu sein. Er habe überhaupt gar kein Problem damit, dass jemand die Situation der Rechtsstaatlichkeit oder die Medienfreiheit in Slowenien untersuche, sagte er. Slowenien sei allerdings kein „Zweite-Klasse-Mitglied“ der EU und verlange wie alle anderen auch behandelt zu werden.

Slowenien repräsentiert Zentraleuropa, Brüssel den Westen

Vor ziemlich genau 30 Jahren wurde Slowenien ein unabhängiger Staat. Am 25. Juni 1991 verließ die damalige Teilrepublik das vor dem Zerfall stehende sozialistische Jugoslawien. Der zehntägige Krieg, den der Angriff der jugoslawischen Armee auslöste, verlief vergleichsweise glimpflich. Das unabhängige Slowenien blickt auf eine Erfolgsgeschichte zurück. Die parlamentarische Demokratie und die Marktwirtschaft fassten Fuß. 2004 erfolgte der Beitritt zur Nato und zur EU. 2007 übernahm es den Euro, im selben Jahr wurde der Beitritt zur Schengen-Zone wirksam. 2008 übernahm es turnusgemäß den EU-Ratsvorsitz. Ab 1. Juli wird Slowenien nun zum zweiten Mal für ein halbes Jahr den Vorsitz in den EU-Räten führen.

Jansas Regierung pflegt eine politische Freundschaft zu Ungarns Regierungschef Viktor Orban. Der nationalkonservative Ungar bekennt sich zur Errichtung einer „illiberalen Demokratie“ und weiß dabei innerhalb der EU vor allem Polen an seiner Seite. Orban nahe stehende Geschäftsleute unterstützen Jansas Medien mit Geld und Know-how. Ungarische Konzerne mit Regierungsnähe kaufen in Slowenien Banken, Tankstellenketten und Thermalhotels.

„Die slowenische Ratspräsidentschaft wird eine verantwortungsvolle Rolle dabei spielen, um ein gemeinsames Verständnis darüber zu erzielen, wie die Rechtsstaatlichkeit in der EU gestärkt werden kann“, erklärte der slowenische Staatssekretär Gasper Dovzan im Vormonat auf einer Konferenz in Portugal. Dabei müssten aber auch unterschiedliche Traditionen und Bedingungen in den einzelnen Mitgliedsländern der EU Berücksichtigung finden - einen von der Kommission vorgezeichneten, alleinig gültigen Weg in die Zukunft gäbe es nicht.

„Internationale Medien“, so Dovzan, hätten jedoch Slowenien in Misskredit gebracht, seit die Rechte im Land regiert. Dabei tue diese nichts anderes, als die so empfundene Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit durch vorangegangene linke und links-liberale Regierungen zu reparieren. Jansa selbst bezeichnet die Politiker des linken und liberalen Lagers zusammen mit Medienleuten, unabhängigen Richtern, kritischen Intellektuellen und zivilen Aktivisten als Mitglieder oder Höflinge der „kommunistischen Elite“ von anno dazumal.

Im Rahmen der Corona-Bekämpfung hob die Regierung in Ljubljana die Versammlungsfreiheit auf. Demonstranten belegte die Polizei mit Geldstrafen. Das Regierungspresseamt enthält der Nachrichtenagentur STA die öffentlichen Gelder vor, die ihr von Rechts wegen zustehen. Zugleich fordert es Einsicht in Dokumente der Agentur, was gesetzlich nicht gedeckt ist. Jansa blockiert zudem die Entsendung zweier slowenischer Ankläger für die neue Europäische Staatsanwaltschaft. Über Twitter greift er Journalistinnen und Journalisten mit unflätigen Ausdrücken an. Er war auch der einzige Regierungschef, der Donald Trump nach seiner Abwahl zum „Wahlsieg“ gratulierte.

Bemerkenswert ist, dass der tiefe Graben zwischen Ljubljana und Brüssel einzig auf unterschiedlichen Vorstellungen in der Innen- und Gesellschaftspolitik beruht. In der Außen-, Sicherheits- und Wirtschaftspolitik verfolgt der Balkanstaat im Prinzip die gleichen Ziele wie die anderen EU-Staaten auch.

Schlussendlich treffen mit der Brüsseler Kommission und dem slowenischen Ratsvorsitz Vertreter zweier unterschiedlicher politischer Großräume in Europa aufeinander. Slowenien vertritt das nationalkonservative Zentraleuropa - bestehend aus den Staaten Polen, Tschechien, Ungarn, Slowakei und eben auch Slowenien - während die Politik der EU-Kommission in Brüssel den eher linksliberalen Vorstellungen der wohlhabenden städtischen Schichten Westeuropas folgt. In diesem Spannungsfeld dürften sich in den kommenden Monaten noch weitere Auseinandersetzungen entladen.


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