Politik

Nahrungsmittel-Index zeigt: Globale soziale Unruhen sind vorprogrammiert

Der Nahrungsmittelpreis-Index steuert auf ein gefährliches Maß zu. Sobald er die 100-Punkte-Marke überschreitet, drohen immer schwere soziale Unruhen. Im Juni 2021 erreichte der Index 124.6 Punkte.
19.07.2021 19:57
Lesezeit: 2 min
Nahrungsmittel-Index zeigt: Globale soziale Unruhen sind vorprogrammiert
Die weltweite Wirtschaftslage stellt ein Risiko dar. (Foto: dpa)

Wenn es um weltweite Unruhen geht, kann der „Food Price Index“ der UN (FAO Food Price Index) als Hinweisgeber betrachtet werden. Einen großen Sprung erlebte der Index im Jahr 2010 auf 106.7 Punkte. Im Jahr 2011 wurden 131.9 Punkte gemessen. 2010 war das Jahr des sogenannten Arabischen Frühlings. Beim Ausbruch des Arabischen Frühlings in Tunesien spielte die Nahrungsmittelinflation eine große Rolle.

Climate Diplomacy“ berichtete unter der Überschrift „Nahrungsmittelpreisinflation und die Revolte in Tunesien“: „In Tunesien trugen die Inflation der Nahrungsmittelpreise und der sinkende Lebensstandard – verschärft durch die starke Volatilität der internationalen Nahrungsmittelpreise – zu heftigen Beschwerden gegen das autoritäre Regime von Präsident Ben Ali bei, der schließlich im Januar 2011 gestürzt wurde.“

Bis zum Jahr 2014 bewegte sich der Index über der 100-Punkte-Marke. In diesem Zeitraum fanden in den arabischen Ländern nicht nur Proteste, sondern auch der Putsch gegen die ägyptische Regierung statt.

Bis zum September 2020 bewegte sich der Index unter der 100-Punkte-Marke, um im Oktober 2020 auf 101.2 Punkte zu springen. Seitdem stieg der Index stetig an und erreichte im Juni des aktuellen Jahres 124.6 Punkte.

Auch das Magazin „Foreign Policy“ berichtet, dass es einen Zusammenhang zwischen hohen Nahrungsmittelpreise und sozialen Unruhen gibt. Die Universität München führt in einem Papier aus, dass es einen Kausalzusammenhang zwischen Nahrungsmittelpreisen und politischen Unruhen gibt. „Empirische Ergebnisse deuten darauf hin, dass zwischen Januar 1990 und Januar 2011 der Anstieg der Lebensmittelpreise zu erhöhten politischen Unruhen geführt hat“, so die Universität München.

Die Nachrichtenwebseite „Axios“ bestätigt: „Frühere Preisspitzen bei Grundnahrungsmitteln waren mit Perioden sozialer Unruhen verbunden, einschließlich des Arabischen Frühlings. Wenn die Preise weiter steigen – zusätzlich zu den Schmerzen der Pandemie – könnte der Welt eine holprige Zukunft bevorstehen.“

Warum die aktuelle Situation auch für den europäischen Raum problematisch erscheint, liegt in der Tatsache, dass es mehrere bedrohliche Faktoren gibt, die auch in Europa die Nahrungsmittelpreise in die Höhe treiben könnten. Den ersten Faktor stellt eine Störung der internationalen Lieferketten dar. Europäische Blätter haben in den vergangenen Tagen davor gewarnt, dass Cyber-Attacken auf die Nahrungsmittelindustrie die Ernährungssicherheit bedrohen könnten.

Der zweite Faktor orientiert sich an dem „Evergreen“-Tankervorfall, der den Suez-Kanal blockiert hatte. Ähnliche Vorfälle sind auch in Zukunft nicht ausgeschlossen.

Doch auch zerstörerische Unfälle auf Containerhäfen, die sich auf dem Seeweg von Asien nach Europa befinden, könnten die Nahrungsmittelpreise in die Höhe treiben.

Einen zusätzlichen Faktor stellen die Energiepreise dar, die ebenfalls einen erheblichen Einfluss auf die Nahrungsmittelpreise haben.

Der „Food Price Index“ der UN weist jedenfalls darauf hin, dass es in naher Zukunft zu weltweiten Unruhen kommen könnte. Das Umfeld ist aus zwei Gründen sehr toxisch: Erstens werden weltweit viele Unternehmer aufgrund der Corona-Krise ihre Existenzen aufgeben müssen. Zahlreiche Menschen rutschen in die Arbeitslosigkeit. Zweitens haben zahlreiche Banken mit großen Mengen an faulen Krediten zu kämpfen, die von den Kreditnehmern nicht mehr bedient werden können.

Das bedeutet, dass auch eine Banken-Krise nicht ausgeschlossen ist. Drittens spielt der psychologische Faktor eine Rolle. Denn viele Menschen sind nicht mehr gewillt, erneute Corona-Restriktionen hinzunehmen, was die Gefahr von Unruhen zusätzlich nährt.

In Deutschland und in der EU müssen die Parteien wenigstens in dieser Frage zusammenarbeiten, um diese Risiken zu thematisieren und möglichst schnelle Notfallmaßnahmen auszuarbeiten. Es geht schließlich um die nationale Sicherheit. Dabei darf das Problem nicht nur auf der europäischen, sondern muss auf der internationalen Ebene betrachtet werden.

Wenn es beispielsweise in den Anrainer-Regionen der EU zu sozialen Unruhen und Problemen bei der Ernährungssicherheit kommen sollte, stünde die nächste Flüchtlings-Krise vor der Tür. Die Menschen wären verständlicherweise gezwungen, aus ihren Ländern zu fliehen, um zu überleben.

All diese Gefahren, die sich aus dem Nahrungsmittelpreis-Index der UN herauslesen lassen, sollten ernst genommen werden.

+++Dieser Artikel wurde erstmals am 12. Juli 2021 veröffentlicht+++

Mehr zum Thema
article:fokus_txt
Anzeige
DWN
Finanzen
Finanzen Kryptowährungsmarkt im Fokus: ETFs, XRP und Moon Hash – Weihnachtsbonusverträge beflügeln Cloud-Computing-Trends

Zum Jahresende erlebt der Kryptowährungsmarkt einen neuen Aufschwung. Kryptowährungs-ETFs und XRP ziehen zunehmend Gelder traditioneller...

X

DWN-Wochenrückblick

Weniger E-Mails, mehr Substanz: Der DWN-Wochenrückblick liefert 1x/Woche die wichtigsten Themen kompakt und Podcast. Für alle, deren Postfach überläuft.

E-mail: *

Ich habe die Datenschutzerklärung sowie die AGB gelesen und erkläre mich einverstanden.

DWN
Unternehmen
Unternehmen Leadership-Coach Lars Krimpenfort: „Klopp ist ein gutes Beispiel für klare Führung unter Druck“
21.12.2025

Im Mittelstand steigen die Belastungen gefühlt täglich. Wie gelingt es Führungskräften dennoch, unter Druck richtig zu entscheiden?...

DWN
Politik
Politik EU-Kapitalmarktunion: Warum kleine Staaten um ihre Finanzmacht kämpfen
21.12.2025

Die EU will ihren Kapitalmarkt neu ordnen und zentrale Aufsichtsrechte nach Paris verlagern, während kleinere Staaten den Verlust ihrer...

DWN
Panorama
Panorama DWN-Wochenrückblick KW 51: Die wichtigsten Analysen der Woche
21.12.2025

Im DWN Wochenrückblick KW 51 fassen wir die zentralen wirtschaftlichen und politischen Entwicklungen der vergangenen Woche zusammen....

DWN
Unternehmen
Unternehmen Mittelstand vor existenziellen Problemen: Keine Aufträge und schlechte Rahmenbedingungen
21.12.2025

Wie eine aktuelle Umfrage des ifo-Instituts ergab, sehen sich 8,1 Prozent der befragten Firmen direkt in ihrer wirtschaftlichen Existenz...

DWN
Wirtschaft
Wirtschaft EU-Zölle auf Kleinsendungen: Neue Abgabe trifft Online-Bestellungen aus Drittstaaten
21.12.2025

Der Online-Handel mit günstigen Waren aus Drittstaaten wächst rasant und stellt den europäischen Binnenmarkt vor strukturelle...

DWN
Finanzen
Finanzen Topanalyst enthüllt: Das sind die attraktivsten Rüstungsaktien
21.12.2025

Die globale Sicherheitslage wandelt sich rasant, und die Verteidigungsindustrie gewinnt an Bedeutung für Regierungen und Kapitalmärkte....

DWN
Technologie
Technologie Natrium-Batterien: Wie China die nächste Akkurevolution vorantreibt
20.12.2025

Chinesische Hersteller treiben die Entwicklung von Natrium-Batterien rasant voran und bedrohen damit das bisherige Lithium-Dominanzmodell...

DWN
Politik
Politik Härtefallfonds für bedürftige Ostrentner schliesst: 425 Millionen Euro ungenutzt
20.12.2025

Aus dem Härtefallfonds für bedürftige Rentner aus der ehemaligen DDR und Osteuropa fließen zu Jahresende mehrere Hundert Millionen Euro...